Warum hat die Polizei die illegale Bauernblockade nicht geräumt?
Misthaufen auf der Fahrbahn, wandhohe Traktoren, Bauern, die die ganze Nacht bei illegalen Hafen-Blockaden ausharrten – was die Landwirte am Montag und Dienstag in Hamburg veranstaltet haben, ging weit über die bisherigen Proteste hinaus. Pendler bissen verzweifelt ins Lenkrad, Busse kamen nicht vom Fleck, noch am Dienstag bekamen tausende Hamburger keine Pakete und Finkenwerder Grundschüler warteten vergeblich auf ihren Caterer. Warum sah die Polizei dem Chaos so lange zu? Was sagen die Unternehmen im Hafen dazu? Und stimmt es, dass es den Bauern Wurst sein kann, ob sie die Sympathien der Bevölkerung verlieren?
Der erste Eindruck ist klar: Bei allen anderen Protesten hätte die Polizei anders reagiert. Klima-Kleber auf der Köhlbrandbrücke? Die Polizei kam mit Lösungsmitteln und Betonschneidern und ruckzuck floss der Verkehr wieder. Wenn Linksradikale Barrikaden aufbauen, rückt flugs der Wasserwerfer an. „Hätten die Bauern Antifa-Fahnen dabei, wären sie längst geräumt“, lautet einer von vielen erbosten Kommentaren in den Sozialen Medien. Ist das so einfach?
- Deutsch (Deutschland)
MOPO+ Abo
für 1,00 €Jetzt sichern!Neukunden lesen die ersten 4 Wochen für nur 1 €!Zugriff auf alle M+-ArtikelWeniger Werbung
Danach nur 7,90 € alle 4 Wochen //
online kündbarMOPO+ Jahresabo
für 79,00 €Jetzt sichern!Spare 23 Prozent!Zugriff auf alle M+-ArtikelWeniger Werbung
Danach zum gleichen Preis lesen //
online kündbar
Wenn Sie E-Paper Kunde sind, betrifft diese Änderung Sie nicht.
Misthaufen auf der Fahrbahn, wandhohe Traktoren, Bauern, die die ganze Nacht bei illegalen Hafen-Blockaden ausharrten – was die Landwirte am Montag und Dienstag in Hamburg veranstaltet haben, ging weit über die bisherigen Proteste hinaus. Pendler bissen verzweifelt ins Lenkrad, Busse kamen nicht vom Fleck, noch am Dienstag bekamen tausende Hamburger keine Pakete und Finkenwerder Grundschüler warteten vergeblich auf ihren Caterer. Warum sah die Polizei dem Chaos so lange zu? Was sagen die Unternehmen im Hafen dazu? Und stimmt es, dass es den Bauern Wurst sein kann, ob sie die Sympathien der Bevölkerung verlieren?
Der erste Eindruck ist klar: Bei allen anderen Protesten hätte die Polizei anders reagiert. Klima-Kleber auf der Köhlbrandbrücke? Die Polizei kam mit Lösungsmitteln und Betonschneidern und ruckzuck floss der Verkehr wieder. Wenn Linksradikale Barrikaden aufbauen, rückt flugs der Wasserwerfer an. „Hätten die Bauern Antifa-Fahnen dabei, wären sie längst geräumt“, lautet einer von vielen erbosten Kommentaren in den Sozialen Medien. Ist das so einfach?
Bauern-Blockade: Ermittlungen wegen Nötigung
Tatsächlich ließ die Polizei – total überrumpelt von den unangemeldeten Aktionen der bisher braven Bauern – die Blockierer zunächst gewähren, wehrt sich aber gegen den Vorwurf der Untätigkeit: „Sehr wohl hat die Polizei im Hintergrund die Durchführung weiterer Maßnahmen vorbereitet“ heißt es auf MOPO-Anfrage. Überraschend hatte sich eine Routine-Demo-Lage in einen komplexen Einsatz entwickelt. Neben den fünf angemeldeten Trecker-Strecken waren plötzlich drei Blockaden mit insgesamt mehr als 150 Traktoren aufgetaucht, zwei in Finkenwerder – eine davon am Airbus-Gelände – und eine in Wilhelmsburg.
Und gegen diese Blockaden sind ein paar festgeklebte Hände ein Klacks. Ein paar Klima-Aktivisten, einmal von der Straße gelöst, trägt man flott von der Straße. Aber kreuz und quer stehende tonnenschwere Schlepper an unterschiedlichen Orten in der Stadt, dazu 500 renitente Landwirte alleine in Finkenwerder, da muss man erstmal umplanen als Polizei. „Wir hätten uns für die von den Blockaden Betroffenen natürlich auch ein früheres Ende gewünscht“, sagt Polizeisprecher Florian Abbenseth zur MOPO.
Die Blockade-Bauern bleiben nicht ungeschoren, betont er: Es wird ermittelt, unter anderem wegen des Verdachts der Nötigung, zahlreiche Ordnungswidrigkeitenverfahren sind eingeleitet und die Personalien der Landwirte wurden festgestellt.
Aber während sich die bäuerlichen Hafenblockierer in Wilhelmsburg gegen 2.30 Uhr am Dienstagmorgen heim zum Acker machten, blieb die A7-Anschlussstelle Waltershof von rund 40 Treckern weiter versperrt. Die Folge: 14 Kilometer Stau, aus Neugraben war bis zum Mittag kein Rauskommen, viele Lkw versuchten, über die Anschlussstelle Heimfeld in den Hafen zu kommen und sorgten für Verstopfung auch auf den Ausweichstrecken.
Die Eltern der Finkenwerder Grundschüler wurden informiert, dass der Caterer die Aueschule „aufgrund des Streiks der Bauern“ leider nicht beliefern kann: Der Fahrer kommt nicht durch den Stau. DHL informierte derweil, dass angekündigte Pakete doch nicht am Dienstag ausgeliefert werden können: „Leider kam es auf dem Transportweg zu unerwarteten Verzögerungen.“
Erst als ein riesiger Kran der Feuerwehr anrückte, gaben die letzten Treckerfahrer am Dienstagvormittag auch die Blockade in Finkenwerder auf. Seine teure Landmaschine auf einen Tieflader wuchten lassen, als Beweismittel in einem Strafverfahren, das wollte dann doch keiner. Motto: Alle haben Angst vor den Bauern, die Bauern haben Angst vor dem Kran.
Bauern-Blockade: Hafenwirtschaft ist sauer
Die Hafenwirtschaft ist sauer. Ulfert Cornelius, Präsident des Unternehmensverbandes Hafen Hamburg, versteht die Bauern zwar, aber: „Es ist für uns weder nachvollziehbar noch akzeptabel, dass der Hafen blockiert wird. Unserer Branche entstehen durch die Streikmaßnahmen ein hoher wirtschaftlicher Schaden und ein großer internationaler Imageverlust. Da wir als Branche nicht für die bundespolitischen Entscheidungen verantwortlich sind, gegen die die Landwirte zurzeit protestieren, bitten wir die Organisatoren der Blockaden darauf einzuwirken, dass das Hafengebiet von künftigen Streikmaßnahmen ausgenommen wird.“
Auch Terminalbetreiber HHLA hatte zu leiden, so eine Sprecherin: „Insbesondere Lkw und teilweise auch die Beschäftigten der HHLA erreichten die Terminals verspätet. Die Abfertigung an den Terminals war kurzfristig eingeschränkt.“
Das steckt hinter der Eskalation der Bauern
Was steckt hinter dieser Eskalation der Landwirte? Nils Kumkar, Soziologe und Protestforscher vom Bremer „Forschungsinstitut Gesellschaftlicher Zusammenhalt“: „Ich kann nur mutmaßen, dass dieser Strategiewechsel auch damit zu tun hat, dass die Bauern für angemeldete Trecker-Kolonnen nicht mehr die Aufmerksamkeit bekommen, die sie Anfang Januar noch hatten. Und disruptive Aktionen erzeugen mit kleinerem Personalaufwand große Aufmerksamkeit, das haben wir auch bei der Letzten Generation gesehen. Je mehr Chaos angerichtet wird, desto mehr wird berichtet.“
Und so eine Wand von Treckern wirkt außerdem eindrucksvoller als alles, was andere Bevölkerungsgruppen so auffahren können: „Traktorenprotest ist eine sehr exklusive Protestform“, so Kumkar „da kann man sich nicht einfach so anschließen. Und sie wirkt auch sehr einschüchternd und groß, dabei können die Bauernproteste rein mengenmäßig nicht mit dem mithalten, was etwa Fridays for Future zu ihren guten Zeiten auf die Straße bekommen haben.“
Das könnte Sie auch interessieren: Die Ampel am Galgen: Bauern protestieren in Hamburg
Warum verspielen die Bauern mit Misthaufen und Stau-Chaos gerade so leichtfertig die Sympathie der Bevölkerung? „Was wir aus der Protestforschung wissen, ist: Bei den meisten Protesten weltweit ist die Frage, ob die Bevölkerung die Protestform gutheißt, von sehr geringer Bedeutung“, sagt der Wissenschaftler: „Sobald es um Blockaden und Chaos geht, ist Ablehnung vorhanden, selbst bei Anliegen, die die Bevölkerung teilt. Solange die Ablehnung aber nicht überhandnimmt, ist sie für die Protestler zunächst egal. Adressat ist ja die Politik, nicht die Bevölkerung.“ Die steht halt nur im Stau und hat Puls.