VIP-Karten-Affäre: Diese Rolle spielten Hamburgs Innensenator und Generalstaatsanwalt
Es ist ein Prozess, der einer vermeintlich alten Geschichte wieder neue Brisanz verliehen hat: Vor einer Woche mussten sich zwei Finanzbeamte wegen Vorteilsnahme vor Gericht verantworten. Zuvor hatten sie Freikarten für Spiele vom FC St. Pauli angenommen. Die Stimmung im Gerichtssaal war gereizt – warum? Es könnte daran gelegen haben, dass 2019 im Fall der Vergabe von VIP-Freikarten an den Innensenator Andy Grote (SPD), den Polizeipräsidenten Ralf Meyer sowie an den ehemaligen Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos) juristisch anders entschieden wurde. Wie kann das sein? Die MOPO erklärt beide Fälle, ordnet sie rechtlich ein und beantwortet die Fragen: Was dürfen Beamte eigentlich annehmen und wo liegt der Unterschied zu Politikern?
Es ist ein Prozess, der einer vermeintlich alten Geschichte wieder neue Brisanz verliehen hat: Vor einer Woche mussten sich zwei Finanzbeamte wegen Vorteilsnahme vor Gericht verantworten. Zuvor hatten sie Freikarten für Spiele vom FC St. Pauli angenommen. Die Stimmung im Gerichtssaal war gereizt – warum? Es könnte daran gelegen haben, dass 2019 im Fall der Vergabe von VIP-Freikarten an den Innensenator Andy Grote (SPD), den Polizeipräsidenten Ralf Meyer sowie an den ehemaligen Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos) juristisch anders entschieden wurde. Wie kann das sein? Die MOPO erklärt beide Fälle, ordnet sie rechtlich ein und beantwortet die Fragen: Was dürfen Beamte eigentlich annehmen und wo liegt der Unterschied zu Politikern?
Was ist beim Fall Grote und Co. im Jahr 2019 passiert?
Bei der Betriebsprüfung in den Büchern des FC St. Pauli waren vor drei Jahren Unregelmäßigkeiten aufgefallen. Dabei handelte es sich um die freie Vergabe von VIP-Karten im Jahr 2015 an Andy Grote (SPD), damals noch Bezirksamtsleiter von Hamburg-Mitte, den Hamburger Polizei-Chef Ralf Meyer sowie den ehemaligen Wirtschaftssenator Frank Horch (parteilos).
Wie reagierte die Staatsanwaltschaft?
Wie „t-online“ berichtet, denen neue Dokumente zu den damaligen Geschehen vorliegen, habe die zuständige Staatsanwaltschaft zunächst Vorermittlungen aufgenommen und sah den Anfangsverdacht einer Vorteilsnahme gegeben. Sie habe sogar den Entwurf eines Durchsuchungsbeschlusses erstellt. Durchsucht werden sollten Grotes Büro in der Behörde und auch seine Privatwohnung. Doch dazu kam es nie. Verschont wurde allerdings nicht der FC St. Pauli, dessen Geschäftsstelle von Mitarbeitern der Finanzbehörde auf den Kopf gestellt wurde.
Warum wurden die Ermittlungen gegen Grote eingestellt?
Wie die Generalstaatsanwaltschaft auf MOPO-Anfrage mitteilte, sei das Verfahren abgeschlossen worden, „da sich im Rahmen der Vorprüfung zu ihren Gunsten herausgestellt hat, dass die Annahme der (…) Eintrittskarten zu repräsentativen Zwecken sowohl bei Herrn Grote als auch bei Herrn Meyer genehmigungsfähig war.“ Es habe nur an einer schriftlichen Genehmigung des Dienstherrn gefehlt – diese wäre im Zweifel auch erteilt worden. Heißt im Klartext: Die Politiker und der Polizeichef hätten sowieso die Erlaubnis bekommen, diese Karten anzunehmen, um am städtischen Leben teilzunehmen und die Stadt zu repräsentieren.

Was hat der Generalstaatsanwalt mit der Sache zu tun?
„T-online“ berichtete mit neuen Details aus Aktenvermerkten über ein Treffen des Hamburger Generalstaatsanwalts Jörg Fröhlich mit der zuständigen Korruptionsstaatsanwaltschaft sowie leitenden Staatsanwälten. Dort hätten sich mehrere Anwesenden für Durchsuchungen ausgesprochen, doch der Generalstaatsanwalt habe sich dafür stark gemacht, den „Beurteilungsspielraum“ zugunsten der Betroffenen auszulegen. Außerdem lasse sich ein Polizeipräsident nicht bestechen, „zumal er HSV-Fan“ sei, soll Fröhlich laut „t-online“ gesagt haben.
Auch müsse man ein Hochkochen vor der Bürgerschaftswahl 2020 vermeiden, weil sonst ein „politischer Tsunami“ drohe. Besonders brisant: Fröhlich habe laut den Vermerken bei den Treffen gesagt, dass er selbst Grote „nicht für integer“ halte. Grotes Behörde schrieb auf MOPO-Nachfrage, dass man zu diesen Aussagen keine Stellung nehmen könne. Grund: Ihnen lägen keine Erkenntnisse über den internen Schriftverkehr der Staatsanwaltschaft vor. Aus der Justizbehörde hieß es wiederum, man sei damals lediglich über die Einstellung des Verfahrens informiert worden. „Entscheidungen über die Durchführung konkreter Ermittlungsmaßnahmen sind grundsätzlich nicht Gegenstand des Berichtswesens“, sagte Sprecherin Linda Luft. Aber: Die Behörde habe jetzt einen neuen Bericht zu dem genannten Sachverhalt eingefordert.
Wie reagiert die Opposition?
Die schäumt vor Wut: „Wieder Andy Grote. Und wieder geht es um die Frage, ob der Innensenator möglicherweise über dem Gesetz steht“, sagte Deniz Celik von der Hamburger Linken. Die Vorwürfe, ob Grote von der Justiz geschützt wurde, müssten dringend aufgeklärt werden. CDU-Politiker Richard Seelmaecker schlägt in die gleiche Kerbe: „Sollte sich bewahrheiten, dass Grote politisch vor Ermittlungen geschützt wurde, wäre das der nächste Skandal. Allerdings hätten die strafbaren Handlungen in der Vergangenheit bereits gezeigt, dass „viele Genossen glauben, alles machen zu können.“ Seelmaecker zählt unter anderem die illegale Corona-Party von Grote auf, bei der er 2020 trotz Corona-Beschränkungen seine Wiederwahl feierte und 1000 Euro Bußgeld zahlen musste.
Warum kocht das Grote-Thema von 2019 wieder hoch?
Horch, Meyer und Grote mussten sich für die Annahme der Tickets nie verantworten – im Gegensatz zu dem Finanzbeamten K. und der Sachgebietsleiterin M. Beide waren zuständig für die Betriebsprüfung einer Vermarktungsfirma des FC St. Pauli und hatten privat vom Verein VIP-Tickets angenommen. Das Verfahren wurde zwar eingestellt, gegen beide wurden vergangene Woche aber Geldauflagen verhängt. Besonders auffällig: Die wütende Stimmung unter den Prozess-Zuschauern, hauptsächlich Finanzbeamte. Waren sie so aufgeregt, weil sie den Eindruck hatten, man hänge die „Kleinen“ und lasse die „Großen“ laufen?
Was dürfen Beamte annehmen und was nicht?
„Beamte dürfen grundsätzlich überhaupt nichts annehmen, außer es sind kleine Dinge für den alltäglichen Bedarf wie ein Kugelschreiber oder eine Tasse“, erklärt Rudolf Klüver, Vorsitzender des Hamburger Beamtenbundes der MOPO. „Ansonsten ist das ein absolutes No-Go.“
Womit müssen die Beamten sonst noch rechnen?
Wird ein Gerichtsverfahren eröffnet, startet parallel auch ein internes Disziplinarverfahren. „Im Falle einer Verurteilung wird der Beamte dann nicht nur privatrechtlich belangt durch ein Bußgeld, sondern es kann sein, dass er zusätzlich zumindest einen Verweis bekommt“, erklärt Hamburgs Beamtenbund-Vorsitzender Klüver. Auch Lohn-Zurückstufungen seien möglich. „Wird ein Beamter zu einer Freiheitsstrafe von über einem Jahr ohne Bewährung schuldig gesprochen, wird er aus dem Beamtenstatus entlassen und hat keinerlei Ansprüche mehr.“
Gibt es einen Unterschied zu Politikern?
„Der Eid, den die Politiker auf die Verfassung schwören ist nicht vergleichbar oder kompatibel mit dem der Beamten“, sagt Klüver. „Wir Beamte werden auf die Hamburger Verfassung und das Grundgesetz vereidigt und unterliegen dem Dienst- und Treueverhältnis. Politiker können da unabhängiger agieren.“
Hamburg berief sich zudem bereits 2019 in einer Kleinen Anfrage der CDU-Politiker Richard Seelmaecker und Dennis Gladiator darauf, dass es zu den zentralen Aufgaben des Senats gehöre, die Stadt zu vertreten und zu repräsentieren. „Weder der Senat noch die herausgehobenen städtischen Funktionsträger dürfen sich einer offenen gesellschaftlichen Begegnung verschließen.“ Dazu gehörten Empfänge, Festveranstaltungen, Premieren aber eben auch Sportveranstaltungen
Was ist der Unterschied zum Stones-Prozess?
Im April wurde der ehemalige Bezirkschef von Hamburg-Nord, Harald Rösler (SPD), zu einer Geldstrafe von 21.600 Euro verurteilt. Auch hier ging es um Freikarten, in diesem Fall für ein Rolling Stones Konzert im Jahr 2017. Rösler hatte laut Anklage vom Veranstalter 300 Kauf- und 100 Freikarten bekommen. Davon soll er Karten an 40 Mitarbeiter gegeben haben, zum Dank für deren Arbeit. Rösler habe mit der Weitergabe sein persönliches Image verbessern wollen, so der Vorwurf. Der Unterschied zu Grote, Meyer und Horch: Hier konnte die Erklärung der Repräsentation nicht greifen. Er wurde der Vorteilannahme und -gewährung schuldig gesprochen.