x
x
x
  • Hamburg-Veddel: Blick in einen typischen Innenhof
  • Foto: Patrick Sun

Verzweifelte Anwohner können nicht mal einkaufen: Ein Stadtteil wird im Stich gelassen

Die Veddel – anderthalb Jahrzehnte mein Zuhause. Ich wohne seit einigen Monaten nicht mehr da, denke aber gerne an die Jahre zurück, denn die Veddel ist weit besser als ihr Ruf. Zurzeit beobachte ich allerdings mit Sorge, nein, mit Zorn, was in meiner alten Heimat vor sich geht.

Auf der Veddel mangelt es an allem. Das hat schon fast Tradition. Viele Jahre gab es keine Apotheke, eine richtige Postfiliale gibt es immer noch nicht, es existiert kaum vernünftige Gastronomie, es braucht dringend eine Drogerie und ein zweiter Discounter wäre auch sehr von Vorteil. Aber nichts tut sich, seit einer gefühlten Ewigkeit. Mit der Veddel, so glauben viele im Rathaus anscheinend, kann man’s ja machen.

„Veddeler Norden“ mit der alten Zollabfertigung

Dabei hätte das Problem längst behoben sein können. Da ist der sogenannte „Veddeler Norden“: die alte Zollabfertigung. Gebäude, die seit Langem vor sich hin gammeln. Der Bezirk Mitte wollte dort ein Nahversorgungszentrum inklusive Discounter, Supermarkt, Drogerie, Ärztehaus und Hochzeitssaal schaffen – eine super Idee. Wenn da nicht die Denkmalschutzbehörde gewesen wäre.

Neuer Inhalt (21)

Hier sollte eigentlich ein Nahversorgungszentrum entstehen – aber dann fiel der Denkmalbehörde ein, dass diese alten Zollruinen ein Denkmal sind …

Foto:

Quandt

Die kam plötzlich auf die Idee, es handele sich bei den Zollgebäuden um Denkmäler. Wer diese Bruchbuden schon mal gesehen hat, kann sich nur an den Kopf fassen. Ruinen sind das. An denen ist nichts Erhaltenswertes – und ich  bin, weiß Gott, jemand, der Sinn für Historisches hat.

Einziger Discounter: Penny im Dezember abgebrannt

In vielen anderen Fällen hat sich in der Vergangenheit die Stadtentwicklungsbehörde über das Votum der Denkmalschützer hinweggesetzt – etwa, wenn ein Investor in den Startlöchern stand. Oder eine einflussreiche Lobby Druck ausübte. Da, wo es aber nur um die Versorgung eines Stadtteils geht, noch dazu der Veddel, ist der Denkmalschutz aber plötzlich heilig. Klar. Mit der Veddel kann man es ja machen.

Penny brennt Mitte Dezember

Mitte Dezember brennt der Penny-Markt, damit fällt auf der Veddel für Monate der einzige Discounter aus.

Foto:

imago images/Blaulicht News

Als nun Penny, der einzige Discounter auf der Insel, Mitte Dezember abbrannte, ist der Super-GAU eingetreten. Bis März wird es dauern, ihn wieder aufzubauen.  Damit hat sich die Versorgungslage der Bevölkerung dramatisch verschlechtert. Zumindest diejenigen, die nicht motorisiert sind, können sich – abgesehen vom einen oder anderen türkischen Gemüseladen – nirgendwo mehr mit Lebensmitteln versorgen. Der „rollende Tante-Emma-Laden“, der jetzt donnerstags auf dem Gelände des Penny-Marktes steht, löst das Problem auch nicht wirklich. Vor allem ältere Bewohner sind verzweifelt.

Veddel: Kaum Dialog mit den Anwohnern

Wie anderswo solche Situationen gemeistert werden, zeigt das Beispiel Edeka Böcker in der HafenCity. Da gab es zum Jahreswechsel einen Wasserschaden – noch bis April wird es dauern, den Laden zu sanieren. Ist deshalb die Lebensmittelversorgung infrage gestellt? Nein. Der Edeka hat sofort gehandelt und einen Pop-up-Container-Markt aus dem Boden gestampft, der in der Übergangszeit Obst, Gemüse, Fleisch, Käse, Milch und vieles mehr verkauft.Tja, so was geht. In der HafenCity. Aber nicht auf der Veddel.

Neuer Inhalt (21)

Klaus Lübke, SPD-Politiker von der Veddel. Der „Stadtteilkümmerer“.

Foto:

Florian Quandt

Klaus Lübke, SPD-Politiker und sogenannter „Stadtteilkümmerer“, ist stinksauer. Er wünsche sich, sagt er, dass die Verantwortlichen in der Stadtentwicklungsbehörde mal damit anfangen würden, mit den Bewohnern vor Ort zu reden, ihnen zuzuhören. Aber stattdessen werden Planungen grundsätzlich über die Köpfe der Bürger hinweg gemacht. Zurzeit ist im Gespräch, auf einer Fläche nahe der S-Bahn-Station Veddel den sogenannten „Elbdome“ zu bauen – eine Mehrzweckhalle mit 6000 Plätzen, wo u. a. die Basketballer der Hamburg-Towers spielen sollen. Schön für die Sportler. Aber was bringt das der Veddel?

Olaf Wunder

Olaf Wunder (56), Chefreporter der MOPO, bricht eine Lanze für seine alte Heimat

Foto:

Röer

Es ist unverschämt und ignorant, wie sich die Entscheidungsträger verhalten. Christel Strohsahl, Bewohnerin  aus der Slomanstraße, drückt jetzt aus, was viele auf der Veddel denken: Sie hat einen Brief an die MOPO geschickt, in dem sie schreibt: „Wir haben das Gefühl, dass die Veddeler nicht so ganz ernst genommen werden. Ich wünsche mir, dass sich die Politik nicht nur, wenn gerade Wahlkampf ist, auf der Insel sehen lässt. Hier besteht großer Handlungsbedarf – aber nichts geschieht.“

Bewohner der Veddel genervt von katastrophaler Parksituation

Und dabei geht es nicht nur um die Versorgung mit Lebensmitteln. Christel Strohlsahl ist auch genervt von der katastrophalen Parksituation an der Slomanstraße. Da gibt es eigentlich einen großen Parkplatz, aber der wird laufend von auswärtigen Lkw und Transportern und teils sogar von abgemeldeten Fahrzeugen zugestellt. „Wir hätten gerne eine Anwohner-Parkzone, um auch mal wieder zum Zuge zu kommen. Anderswo gibt es so was doch auch. Wieso nicht bei uns?“ Antwort: Weil es doch bloß die Veddel ist!

Das Goldene Haus von der Veddel

Das berühmte „Goldene Haus“ aus der Veddeler Brückenstraße

Foto:

dpa

Es mag sich um einen armen Stadtteil handeln. Nirgendwo ist der Anteil der Hartz-IV-Empfänger höher. Auch der sehenswerteste Stadtteil ist die Veddel vielleicht nicht, obwohl es immerhin das Goldene Haus gibt, eine herrliche Fischgaststätte und das tolle Ballinstadt-Museum. In einem aber übertrifft dieses Viertel alle anderen um Längen: in puncto Nachbarschaftshilfe. Tja, es schweißt halt zusammen, von oben herab behandelt oder gar als „Klo Hamburgs“ verunglimpft zu werden – wie im Liedtext von „Mein Hamburg lieb ich sehr“.

Das könnte Sie auch interessieren: In diesen Stadtteilen gibt es die meisten Sozialwohnungen 

Wie eng der Zusammenhalt auf der Veddel ist, das zeigt sich in der aktuellen Krise: Die Leute helfen sich, als wäre es das Selbstverständlichste von der Welt. Nachbarn, die über ein Auto verfügen, bringen für die Nachbarn, die keins haben, Lebensmittel aus Rothenburgsort oder Wilhelmsburg mit. Einkaufsinitiativen haben sich gebildet.

Was die Politik nicht fertigbringt, dafür sorgen die Leute dort eben selbst. Das ist toll. Das ist typisch Veddel. Dafür liebe ich diese Insel.

Die Veddel: Eingeklemmt zwischen Bahn, Elbe und Autobahn

Die Veddel befindet sich südöstlich der Innenstadt, eingeklemmt zwischen Bahngleisen, Elbe und Autobahn. 4600 Einwohner leben auf der 4,4 Quadratkilometer großen Elbinsel. Ausländeranteil: 45 Prozent, Arbeitslosenquote: 9,5 Prozent. Die Insel besteht aus einer in den 1920er Jahren entstandenen Wohnsiedlung aus Backsteinbauten, die zu den ersten kommunalen Kleinwohnungs-Bauprojekten zählt. An die Veddel grenzen die Stadtteile Rothenburgsort, Wilhelmsburg und Kleiner Grasbrook. Der Name Veddel leitet sich ab vom niederdeutschen Begriff Wede – was bewaldetes Weideland bedeutet. Tatsächlich wurde auf der Veddel bis ins 19. Jahrhundert Milchwirtschaft betrieben.

Email
Share on facebook
Share on twitter
Share on whatsapp