Verwirrung um Professoren-Titel: Vorwürfe gegen Chef einer wichtigen Hamburger Klinik
In der Klinik gilt er als „der Professor“. Die Ärzte nennen ihn so, die Pfleger, das Verwaltungspersonal und auch die Patienten. Dabei geht seit mindestens drei Jahren ein Raunen durch die Flure der Endo-Klinik auf St. Pauli, dass der Ärztliche Direktor Prof. Dr. med. Thorsten Gehrke gar kein richtiger Professor ist. Ist der Mann ein Hochstapler?
In der Klinik gilt er als „der Professor“. Die Ärzte nennen ihn so, die Pfleger, das Verwaltungspersonal und auch die Patienten. Dabei geht seit mindestens drei Jahren ein Raunen durch die Flure der Endo-Klinik (Altona-Altstadt), dass der Ärztliche Direktor Prof. Dr. med. Thorsten Gehrke gar kein richtiger Professor ist.
Wer über den Korridor im Hochparterre der Helios Endo-Klinik geht, kommt am Arztbüro des Ärztlichen Direktors der Spezialklinik für Knochen-, Gelenk- und Wirbelsäulenchirurgie an der Holstenstraße vorbei. Am Schild neben der Tür ist der Name des Chefs vermerkt: Prof. Dr. med. Thorsten Gehrke.
Keine Habilitation: Trotzdem verwendet der Ärztliche Direktor der Endo-Klinik auf St. Pauli den Professoren-Titel
Der Titel steht auch im Intranet der Klinik auf den Seiten, die Gehrke als Leiter der Abteilungen „Orthopädie und Gelenkchirurgie“ oder „Septische Gelenkchirurgie und Revisionen“ aufweisen. Auch in E-Mails, die der Chirurg verschicken lässt, schmückt er sich mit dem Professoren-Titel. In Interviews, die er verschiedenen Zeitungen oder Fernseh-Magazinen gegeben hat, wird er ebenfalls als „Professor“ zitiert.

Nur: Wo ist die Habilitation, die einen zum Tragen des höchsten akademischen Titels ermächtigt? Im Katalog der Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg findet sich neben einem von Gehrke verfassten Lehrbuch zur „Sportanatomie“ lediglich seine Doktorarbeit.
Auch eine Suche der Plagiatsprüfer von Vroniplag nach der Habilitation blieb nach MOPO-Informationen erfolglos. Gründer Martin Heidingsfelder stellte 2020 einen „Titelmissbrauch“ fest und teilte diesen der Helios-Personalgeschäftsführung in einer E-Mail mit, in der er auch seine Befürchtungen um den „Ruf als Klinikbetreiber“ zum Ausdruck brachte. Die Mail blieb offenbar ohne Folgen.
Helios-Sprecher: Titel wurde bei Gastaufenthalten in Südamerika „verliehen“
Von der MOPO nach der Habilitation des vermeintlichen Professors gefragt, erklärte ein Helios-Sprecher: „Prof. Gehrke wurden 2012 und 2013 zwei Gastprofessuren von ausländischen Universitäten in Buenos Aires (Argentinien) und Santiago de Chile (Chile) verliehen. Diese Gastprofessuren sind unter Einhaltung aller Auflagen bis heute gültig.“ Gehrke wollte sich nicht persönlich gegenüber der MOPO äußern, ließ die Helios-Pressestelle antworten. Der Sprecher sagt darüber hinaus, es existiere eine Stellungnahme der Ärztekammer, dass das Hamburger Hochschulamt den Titel anerkenne.
Merkwürdig: Aus der zuständigen Abteilung „Berufsordnung“ der Ärztekammer heißt es, dass man zu dem „Vorgang keine Kenntnisse hat“. Auskünfte zu Mitgliedern der Kammer wollte ein Sprecher „aus Datenschutzgründen nicht erteilen“.
Auf der Behördenhomepage findet sich zwar noch ein Hinweis auf das vom Helios-Sprecher erwähnte Hochschulamt. Laut eines Behördensprechers gibt es dieses Amt aber schon eine Weile nicht mehr, es sei in andere Strukturen überführt worden. Die zuständige Wissenschaftsbehörde weist darauf hin, dass zu dem Fall zu wenig Informationen vorlägen. Man könne nur grundsätzlich sagen, dass die Führung eines verliehenen Gastprofessoren-Titels lediglich zulässig ist, erstens wenn „die verleihende Hochschule die Berechtigung zur Verleihung hat“ sowie zweitens ausschließlich „unter Angabe der verleihenden Institution“.
Mediziner verwendete Professoren-Titel schon vor den Aufenthalten in Südamerika
Heißt: Ohne die Zusätze „Buenos Aires“ und „Santiago de Chile“ darf der „Professor“ diesen Titel nicht verwenden. Während der „Professor“ innerhalb des Hauses gegen diese Regel verstieß, wurde die Außendarstellung offenbar kürzlich korrigiert. Nach Aufkommen der ersten Gerüchte wurde Gehrkes Mitarbeiterprofil auf der Webseite der Klinik geändert – dort ist er jetzt als „Profesor Visitante (Buenos Aires/Santiago de Chile) Dr. med. Thorsten Gehrke“ aufgeführt.

Allerdings: Nach MOPO-Recherchen tauchte der Professoren-Titel aber auch schon vor seinen Gastaufenthalten in den Hauptstädten Argentiniens und Chiles auf. In der Ausgabe vom August 2010 der Zeitung „Management & Krankenhaus“ wird er in einem Artikel über Lärmbelästigungen im OP als „Prof. Dr. med. Gehrke“ zitiert. Auch der Ärztezeitung gibt er im Februar 2011 als Professor Auskunft zu einem Thema.
Das könnte Sie auch interessieren: 18-Jähriger sticht Zahnarzt nieder – Mitarbeiterin springt aus dem Fenster
Im Internet ist ein Lebenslauf zu finden, den Gehrke selbst auf Englisch verfasst hat. Unter „Wissenschaftliche Publikationen“ ist einzig seine Doktorarbeit aufgeführt – und keine Habilitation. Unter seinen Berufserfahrungen listet er einen „seit 2010“ bestehenden Lehrauftrag an der „Medical School Hamburg“ auf, den er mit „professorship“ übersetzt. Von beiden südamerikanischen Universitäten war trotz mehrerer Nachfragen keine Stellungnahme zu dem Vorgang zu bekommen.
Anmerkung der Redaktion: Nach Erscheinen dieses Artikels hat Helios der MOPO mitgeteilt, dass die Hamburg Medical School im Zeitraum 2010/2011 Dr. Gehrke die akademische Bezeichnung „Professor“ verliehen habe. Wir haben den letzten Absatz des Artikels nachträglich präzisiert. Das Beschäftigungsverhältnis endete laut Hamburg Medical School Ende 2012: In der Folge habe man die Hamburger Wissenschaftsbehörde informiert, dass die Professur und damit die Berechtigung zum Tragen des Titels erloschen sei.