Obdachloser in Altona angezündet – bizarre Wende vor Gericht
Arkadiusz W. (35) soll einen schlafenden Obdachlosen angezündet haben. Seit Mittwoch muss er sich deshalb vor dem Landgericht Hamburg verantworten. Der Vorwurf: Versuchter Mord. Doch als das Opfer auf den Angeklagten trifft, passiert etwas Unerwartetes.
Arkadiusz W. (35) soll einen schlafenden Obdachlosen angezündet haben. Seit Mittwoch muss er sich deshalb vor dem Landgericht Hamburg verantworten. Der Vorwurf: versuchter Mord. Doch als das Opfer auf den Angeklagten trifft, passiert etwas Unerwartetes.
Arkadiusz W., tiefliegende Augen, markante Brauen, sitzt reglos neben seinem Verteidiger. Sein Gesichtsausdruck ist hart, seine Mimik maskenhaft. Heute, am ersten Prozesstag, will er nicht aussagen. Schweigend folgt er der Anklageverlesung, die für ihn vom Polnischen ins Deutsche übersetzt wird.
„Heimtückisch und grausam“ habe Arkadiusz W. (35) gehandelt, so die Einschätzung der Staatsanwaltschaft. Der Angeklagte soll im Zeitraum vom 17. Mai bis zum 13. Juni 2022 gleich mehrere Straftaten begannen haben. Der heftigste Vorwurf: versuchter Mord in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung. Die anderen Anklagepunkte: Sachbeschädigung sowie vorsätzliche Körperverletzung in zwei Fällen.
Hamburg: Angeklagter soll zwei Männer geschlagen haben
Die Staatsanwaltschaft zeichnet mit der Anklage das Bild eines Mannes, der eine extrem kurze Zündschnur und großes Gewaltpotenzial hat. Am 17. Mai soll Arkadiusz W. einem Mann auf dem Parkplatz am Hachmannplatz (Hauptbahnhof) bei einer Auseinandersetzung einen Schlag ins Gesicht verpasst haben. Der Geschlagene ging zu Boden. Der erste Zeuge, ein Polizeibeamter, bestätigt den Vorwurf der Anklage.
Nur zwei Tage später, am 19. Mai, soll der Angeklagte erneut ausgerastet sein. Er habe den wohnungslosen Ulrich T. geschlagen und dessen Schlaflager am Altonaer Bahnhof angezündet, heißt es in der Anklage. Lidl-Mitarbeiter Dennis M. (26), Schal mit Burberry-Muster und Ohrring, hat den körperlichen Angriff beobachtet – von der Sachbeschädigung habe ihm das Opfer erzählt. „Er hat gesagt, dass sein Schlafsack brannte und er traurig darüber ist“, so der Zeuge. „Er wusste nicht, was er jetzt machen soll“. Ein dritter Zeuge, ein Polizist, bestätigt die Aussage des Lidl-Mitarbeiters. Ulrich T. kann nicht mehr aussagen, verkündet der Richter, er sei am 5. Dezember in einer Obdachloseneinrichtung verstorben.
Prozess: Mann soll Obdachlosen im Schlaf angezündet haben
Doch beide Fälle verblassen neben der Anklage wegen versuchten Mordes. Am Abend des 13. Juni soll Arkadiusz W. im Bahnhof Altona auf einer öffentlichen Toilette den Jackenärmel des schlafenden Christopher A. (34) mit einer brennbaren Flüssigkeit übergossen, angezündet und sich dann entfernt haben. Die Tat sei von einem weiteren Mann aufgenommen worden, das Video wurde auf dem Handy des Angeklagten gefunden. Das Opfer sei jedoch rechtzeitig aufgewacht und konnte den Brand mit seinem Bier löschen. Der Mann habe Verbrennungen am Oberarm erlitten, heißt es in der Anklage.
Christopher A. ist an diesem Tag vor Gericht geladen. Er soll über den Angriff aussagen. Als er im Saal Platz nimmt, nicken sich Arkadiusz W. und er zu. Christopher A. ist obdachlos, gelernter Metallbauer und hat heute – nach eigener Aussage – bereits 20 Schnäpse intus. Er beginnt Sätze gerne mit: „Oh, da muss ich lügen.“ Beim ersten Mal reagiert der Richter grinsend: „Bitte nicht!“
Er sei aufgewacht, weil es warm an seinem Arm war, berichtet das Opfer. Doch er habe niemanden mehr gesehen. Und so schlimm sei es auch nicht, ergänzt A. schnell, er habe keine Schmerzen mehr. Dann sorgt er beim Richter vollends für Irritation: „Wir sind befreundet“, sagt er mit Blick auf den Angeklagten. Sie hätten sich nie geprügelt, sondern zusammen getrunken und Kippen geteilt. „Wenn mir kalt war, hat er mir seine Jacke gegeben“, erzählt er.
Ob er denn erlebt habe, dass der Angeklagte sich anderen gegenüber gewalttätig verhalten habe, fragt der Staatsanwalt. „Nein, nur normaler Kumpelstreit“, sagt Christopher A. und fügt hinzu: „Aber nichts Gravierendes.“ Das Gericht wirkt etwas ratlos. Doch irgendwann gibt es keine weiteren Fragen mehr, er darf gehen.
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Auf dem Weg zur Tür bleibt das Opfer vor Arkadiusz W. stehen. Die Männer geben sich die Hand. Dann verlässt Christopher A. den Gerichtssaal. Der Prozess wird fortgesetzt.