Ernte-Desaster: Bauern vernichten Erdbeeren, Spargel wird nicht gestochen
Auf Spargel und Erdbeeren freuen sich viele Hamburger das ganze Frühjahr über. Doch diese Saison ist anders als sonst: Viele Bauern im Land erleben ein Absatz-Desaster und entscheiden sich für einen radikalen Schritt: Anstatt ihre Früchte zu ernten, werden die Erdbeeren in einigen Regionen einfach unter gepflügt. Und selbst Spargel, eigentlich ein Verkaufsschlager, wird teilweise nicht mal mehr gestochen. Die Wut der Landwirte richtet sich dabei gegen die Supermärkte. Die MOPO hat mit Anbauern in der Region Hamburg über das Problem gesprochen. Was die Entscheidung für Verbraucher bedeutet ...
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Das ist krass: Während bei uns im Norden jetzt die Ernte von Freiland-Erdbeeren erst beginnt, pflügen im Münsterland (NRW) die ersten Bauern ihre Felder mit schönen roten Früchten einfach unter, statt sie zu pflücken. Der Grund: Der Anbau lohnt sich laut der Landwirte einfach nicht, sie zahlen drauf. Denn bei den Kunden sitzt das Geld aktuell nicht so locker. Auf einigen Feldern wird auch schon kein grüner Spargel mehr geerntet. Die MOPO sprach mit Anbauern in der Region Hamburg.
Andreas Rahmann aus Coesfeld gehört zu dem Münsterländer Bauern, die jetzt ihre Erdbeeren unterpflügen. Er will schnell Mais einsäen, damit der Acker dieses Jahr noch Geld einbringt. „Man könnte weinen – das ist die Arbeit eines Jahres oder sogar mehrerer Jahre. Wenn man das dann kaputt machen muss, ist das schon sehr ärgerlich“, sagte Rahmann dem WDR.
Aus Protest: Bauern pflügen Erdbeeren unter
Als Schuldigen sieht er den Lebensmitteleinzelhandel. Der kaufe aktuell lieber Billig-Erdbeeren in Spanien und den Niederlanden ein und biete die oft minderwertige Ware dann zu günstigen Preisen im Supermarkt oder Discounter an. Dabei sei nämlich die Marge für den Händler deutlich höher. Deutsche Ware habe das Nachsehen.
Die schwache Nachfrage führt Branchenfachmann Bernhard Rüb von der Landwirtschaftskammer NRW unter anderem auf die Auswirkungen der Inflation zurück: Der Alltag sei für die Menschen so teuer geworden, dass sie auf bestimmte Lebensmittel verzichten. Bei einem weiteren Grund verweist Rüb auf die Corona-Pandemie: „In den vergangenen zwei Jahren sind viele Stadtbewohner aufs Land gefahren, um dort in Hofläden oder auf dem Markt Erdbeeren zu kaufen.“ Dieser Boom sei nun aber vorbei. Auch wegen der Spritpreise.
Hamburg: Erdbeeren ab jetzt im Freiland geerntet
Auf dem Erdbeerhof Löscher in Winsen (Landkreis Harburg) startet am Mittwoch die Freilandernte. Bisher kamen die Früchte noch aus dem Tunnelanbau. „Ich kann den Ärger der Kollegen verstehen“, sagt Felix Löscher. Der Einzelhandel schmücke sich ständig mit seiner Regionalität und trotzdem hätten Edeka und Co. sehr lange Zeit Erdbeeren aus Spanien, Griechenland und den Niederlanden angeboten, statt deutsche Früchte in die Regale zu stellen.
Da der Familienbetrieb Löscher in erster Linie an eigenen Ständen verkauft, ist er nicht so direkt betroffen. Aber auch die Löschers merken die Zurückhaltung der Kunden. „Wir werden im nächsten Jahr wohl auch Flächen reduzieren“, sagt Felix Löscher.
Das steht beim Spargelhof Glantz noch nicht zur Debatte. „Wir pflügen nicht unter und reduzieren nicht, ich bin Optimist“, sagt Chef Enno Glantz. Aber die Umsätze seien leider nicht wie im vergangenen Jahr. „Aber ich appelliere an die Verbraucher, zur hochwertigen einheimischen Ware zu stehen.“
Die Kunden kauften im Lebensmitteleinzelhandel derzeit vor allem Grundnahrungsmittel und No-Name-Produkte, sagt Fred Eickhorst, Vorstandssprecher der Vereinigung der Spargel- und Beerenanbauer in Niedersachsen, in Sandhatten (Landkreis Oldenburg). „Davon sind wir mit Spargel und Erdbeeren stark betroffen.“
In dieser Saison sei eine deutlich geringere Einkaufsmenge registriert worden, bestätigt Claudio Gläßer von der Agrarmarkt-Informations-Gesellschaft (AMI) in Bonn. Spargel sei ein „verzichtbares Gemüse“, das viele Menschen mit höheren Preisen in Verbindung brächten: „Es schauen doch viele Leute darauf, für was sie das Geld ausgeben und was nach dem Tanken noch übrig ist, was man zurücklegen muss für kommende höhere Rechnungen.“
Experte: Leute geben Geld lieber fürs Reisen aus
Und die Menschen, die nicht so stark auf den Preis achten müssten, würden ihr Geld derzeit lieber für Reisen ausgeben – hier gebe es offenbar einen großen Nachholbedarf nach zwei Jahren coronabedingter Enthaltsamkeit. Die Kaufzurückhaltung werde Auswirkungen haben, sagte Eickhorst. Schon jetzt seien viele Spargel-Flächen aus der Produktion genommen worden, und das mitten in der Saison. Besonders grüner Spargel wird teils nicht mehr geerntet, weil die billige Konkurrenz aus Italien und Spanien so groß ist.
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Mit der Einführung des Mindestlohnes von zwölf Euro ab Oktober werde sich die Wettbewerbssituation der deutschen Landwirte im Vergleich mit der Konkurrenz aus Italien oder Spanien noch weiter verschlechtern, sagte Eickhorst. Es sei absehbar, dass weitere Landwirte aufgeben werden.