• Gedränge, Innenraum, laute Stimmen: In Clubs können einzelne Infizierte für große Corona-Ausbrüche sorgen.
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Verantwortlich für Corona-Ausbreitung: Welche Rolle spielen die „Superspreader“?

Restaurants öffnen, Kinder gehen tageweise wieder zur Schule, der Sommerurlaub an der Küste scheint in greifbarer Nähe. Mit den zunehmenden Lockerungen steigen aber auch die Sorgen. Internationale Studien deuten nun daraufhin, dass nicht jeder Kontakt mit Infizierten in gleichem Maße gefährlich ist. Es gibt aber Situationen, die man möglichst vermeiden sollte.

Die Virologin Müge Cevik von der britischen University of St. Andrews hat Kontaktverfolgungs-Studien aus der ganzen Welt zusammengetragen. Überraschende Erkenntnis: Offenbar sind 9 Prozent aller Corona-Infizierten für 80 Prozent der Ansteckungen verantwortlich. Das bedeutet: Die meisten Virenträger stecken niemanden oder höchstens eine weitere Person an. Die hohen Ansteckungsraten gehen auf so genannte „Superspreader“, also „Superverbreiter“, zurück.

Corona: Das sind die Risikosituationen im Privatleben

Je näher ein Infizierter mit Gesunden in einem geschlossenen Raum zusammenkommt  und je länger das Zusammentreffen andauert, desto höher die Gefahr, dass er zum „Superspreader“ wird: Familienfeiern, Chorproben, Gottesdienste, Essen mit Freunden, lange Fahrten in öffentlichen Verkehrsmitteln, das sind die Risikosituationen im Privatleben, die sich bisher aus der weltweiten Erforschung der Infektionsketten ergaben.

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Das Restaurant „Alte Scheune“ in Leer, in dem sich an einem Abend zahlreiche Gäste ansteckten.

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Dazu passt auch der aktuelle Corona-Ausbruch im Landkreis Leer (Niedersachsen), bei dem sich viele Besucher bei einer Restauranteröffnung angesteckt haben. 

Dass hingegen ein infizierter Jogger einen Passanten ansteckt, oder ein Wochenmarktkunde im Vorübergehen einen anderen Kunden infiziert, das ist unwahrscheinlich. Fast alle Ansteckungen erfolgen in Innenräumen, so eine chinesische Studie, die hunderte Ansteckungsketten verfolgte.

Corona-Hotspots: So geht Japan mit der Pandemie um

Einzelne Corona-Ausbrüche („Cluster“) möglichst schnell zu entdecken und dann nur diese Ansteckungs-Hotspots zu schließen, das ist die Strategie Japans, die sich als sehr erfolgreich zeigt. Virologe Hitoshi Oshitani im Wissenschaftsmagazin „Science“: „Wir versuchen, die Cluster zu identifizieren und ihre gemeinsamen Merkmale zu finden.“ Als Ansteckungsherde wurden dabei Fitnessstudios, Kneipen, Live-Konzerte und die beliebten Karaoke-Bars identifiziert.

Dazu passt auch ein millionenfach angeklickter Blogeintrag, in dem Erin Bromage (erinbronage.com), Biologieprofessor an der Universität von Massachussetts, schreibt: „Machen Sie sich keine Sorgen um die Jogger und Radfahrer, die sie draußen ohne Maske sehen. Hüten Sie sich lieber vor Menschen, die mit lauter Stimme in vollen, geschlossenen Räumen sprechen.“

Corona: Diese Rolle spielt die Lautstärke

Laute Stimme, voller Raum: Auf diese Weise wurde ein Barmann im Skiort Ischgl zum „Superspreader“, dessen Gäste das Virus mit in ihre Heimatländer trugen.

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Auch Chorproben haben sich bereits als Corona-Hotspots gezeigt (Symbolfoto).

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Auch die Corona-Ausbrüche unter Schlachthof-Arbeitern auf der ganzen Welt passen in dieses Muster. Die Männer und Frauen sind nicht nur in engen Unterkünften untergebracht, sie müssen auch über den Lärm hinweg schreien, verbreiten das Virus aus dem Rachen dabei in einem größeren Umkreis als bei normaler Gesprächslautstärke. Außerdem scheint Corona auch die kalten Temperaturen in Schlachthöfen gut zu vertragen.

Corona: So verbreitet es sich in Familien

Die weit verbreitete Angst, dass Kontakt zu einem Infizierten automatisch zu einer Ansteckung führt, ist  dennoch unbegründet. Selbst innerhalb einer Familie stecken sich nicht zwingend alle Mitglieder an: Die chinesischen Wissenschaftler stellten fest, dass sich von 2147 engen Kontaktpersonen im Schnitt sechs Prozent angesteckt hatten.

Besonders hoch ist die Ansteckungsgefahr laut der Studie in den eigenen vier Wänden: 16 Prozent der Familienmitglieder im Haushalt eines Infizierten steckten sich an, wobei sich nur vier Prozent der Kinder an einem Erwachsenen ansteckten. Je enger der Kontakt, desto höher das Risiko: Unter den Ehepartnern stieg die Ansteckungsquote auf fast 28 Prozent.

Corona: Ansteckungsgefahr unter Freunden

Traf sich ein Infizierter mit Freunden, waren anschließend statistisch 11 Prozent infiziert.

Eine der Studien, die die Virologin Müge Cevik auf Twitter zitiert, befasst sich mit einem Patienten in Chicago, der erst auf einer Beerdigung und später bei einer Geburtstagsfeier mehrere Menschen infizierte, kurz bevor er selbst Symptome entwickelte.

Das Virus scheint rund um das Auftreten der ersten Symptome herum maximal ansteckend zu sein. Welche Rolle symptomfreie Virusträger bei der Verbreitung spielen, gehört derzeit noch zu einem der großen Corona-Rätsel.

Corona: Ansteckungsgefahr bei der Chorprobe

Einer der Angesteckten gab das Virus später bei einer Chorprobe weiter (Menschen, die in geschlossenen Räumen die Stimme erheben und das Virus weiträumig verteilen!). Insgesamt, so stellte sich bei der Verfolgung der Ansteckungskette heraus, war der Patient für 16 Covid-19-Fälle verantwortlich, im Alter zwischen 5 und 86 Jahren. Drei Patienten im Alter von über 60 Jahren und mit Vorerkrankungen starben.

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Virologe Hitoshi Oshitani

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Das Fazit der britischen Virologin Müge Cevik nach der Lektüre der Studien aus aller Welt – immer mit dem Hinweis, dass es sich um vorläufige Ergebnisse handele: Enger, anhaltender Kontakt mit Menschen in Innenräumen und in Verkehrsmitteln sollte vermieden werden. Masken können die Zahl von infektiösen Tröpfchen in der Luft verringern. Und: Wir brauchen neue Belüftungskonzepte für Räume, in denen viele Menschen aufeinandertreffen. Denn wo keine Zirkulation herrscht, können sich so viele Viruströpfchen in der Luft anreichern, dass es für Gesunde gefährlich werden kann.

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