„Unmittelbare Folgen“: Was bedeutet ein russischer Gas-Stopp für Hamburg?
„Die Versorgungssicherheit ist gewährleistet“ – das meinte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) noch letzte Woche, als er vorsorglich die erste Frühwarnstufe des „Notfallplans Gas“ ausrief. Doch nicht nur Russland könnte den Gashahn zudrehen – möglich ist auch ein vom Westen verhängtes Embargo. So oder so: Was würde ein Gas-Stopp für Hamburg bedeuten?
„Hamburg ist die größte Industriestadt Deutschlands, das vergessen viele“, sagt André Trepoll (CDU), Vorsitzender des Industrieverbands Hamburg e.V. (IVH), im Gespräch mit der MOPO. „Mit dem Hafen haben wir das größte zusammenhängende Industrie- und Gewerbegebiet.“
Ein Gas-Embargo hätte demnach drastische Folgen – für Airbus und andere große Industriebetriebe in unserer Stadt, die Stahl-, Kupfer oder Aluminiumwerke, aber auch für Arbeitsplätze in anderen Branchen, den gesamten Wirtschaftsstandort und die Konjunktur. Wem als erstes das Gas abgedreht würde, wie die Auswirkungen für Hamburger mit Gasheizung wären, erklärt Hamburgs Behörde für Umwelt und Energie.
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„Die Versorgungssicherheit ist gewährleistet“ – das meinte Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) noch letzte Woche, als er vorsorglich die erste Frühwarnstufe des „Notfallplans Gas“ ausrief. Doch nicht nur Russland könnte den Gashahn zudrehen – möglich ist auch ein vom Westen verhängtes Embargo. So oder so: Was würde ein Gas-Stopp für Hamburg bedeuten?
„Hamburg ist die größte Industriestadt Deutschlands, das vergessen viele“, sagt André Trepoll (CDU), Vizepräsident der Hamburgischen Bürgerschaft und Vorsitzender des Industrieverbands Hamburg e.V. (IVH), im Gespräch mit der MOPO. „Mit dem Hafen haben wir das größte zusammenhängende Industrie- und Gewerbegebiet.“
In diesem Gebiet um den Hafen sind nicht nur große, wirtschaftsstarke Unternehmen wie Airbus angesiedelt, auch die Grundstoffindustrie stellt am Standort Hamburg vor allem Aluminium, Kupfer und Stahl her, wie der IVH-Chef erklärt. Und dabei wird vor allem eines gebraucht: Energie.
So viel Hamburger Gas kommt aus Russland
Die kam für die Stromeinspeisung laut statistischem Bundesamt im dritten Quartal 2021 deutschlandweit etwa zu rund neun Prozent aus Erdgas, im Vorjahr waren es noch mehr als 14 Prozent. Der Grund für den Rückgang seien demnach die gestiegenen Preise für Gas.
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Der Anteil von Erdgas ist laut der Hamburger Behörde für Umwelt, Klima, Energie und Agrarwirtschaft (BUKEA) dennoch bedeutsam: Allein Hamburg verbraucht pro Jahr rund 20 Terawattstunden Gas. „Da das in Hamburg verbrauchte Gas aus dem Fernleitungsnetz stammt, ist der Anteil des russischen Gases im Fernleitungsnetz auch für Hamburg ausschlaggebend“, wie BUKEA-Sprecherin Renate Pinzke der MOPO erklärte. Im Fernleitungsnetz macht russisches Gas im Schnitt rund 55 Prozent aus, wobei der Anteil zum Ende des ersten Quartals auf 40 Prozent gesunken ist.
Was ein russischer Gas-Stopp für Hamburg bedeuten würde
Was würde da ein Importstopp von russischem Gas bedeuten? „Ein Embargo hätte unmittelbare Folgen für die Industrie. Insbesondere die Grundstoffindustrie wäre direkt betroffen, später dann auch die weiterverarbeitenden wertschöpfenden Ketten, was auch auf Handel und Dienstleistungsprozesse ausstrahlt,“ so IVH-Geschäftsführer Trepoll.
Das unterstreicht auch Bernd Eilitz, Pressesprecher von Gasnetz Hamburg: „In Hamburg zählen Unternehmen der Stahl-, Alu-. Kupfer-, Öl- und Chemieindustrie zu den größten Gasabnehmern.“ Wie er der MOPO schilderte, entfällt rund die Hälfte des jährlichen Gasverbrauchs in Hamburg auf Industrie und Gewerbe.
Auch die Handelskammer Hamburg antwortet auf die Frage mit einer ähnlich düsteren Prognose: „Es wäre nicht nur die Grundstoffindustrie betroffen, auch die Lebensmittelproduktion müsste mit Störungen rechnen. Langfristige Konsequenzen wären Produktionsstopps, Jobverluste und Unternehmensschließungen“, wie Pressesprecherin Kerstin Kramer sagt.
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Probleme bei der Energieversorgung gefährden demnach nicht nur Wertschöpfungsketten, auch Arbeitsplätze und die gesamte Wirtschaftskonjunktur sind betroffen, wie auch André Trepoll bestätigt. Laut der Handelskammer ist jeder vierte Job in Hamburg von der Industrie abhängig, es drohen sogar dauerhafte Schließungen bei ausbleibenden Lieferungen von russischen Energieträgern, so Pressesprecherin Kerstin Kramer.
Um solchen wirtschaftlichen Folgen entgegenzuwirken, hat Gasnetz Hamburg schon einige Wochen vor dem „Notfallplan Gas“ Daten und Informationen zu Industrie und Gewerbe gesammelt und auf den neuesten Stand gebracht: „Dabei geht es unter anderem um die Fragen, welche Unternehmen vorübergehend mit Öl oder Kohle weiterarbeiten können und welche Vorlaufzeiten für die Reduktion des Gasverbrauchs individuell zu berücksichtigen sind“, so Sprecher Eilitz.
Im Falle einer Gasknappheit wird die Verteilung auf Bundesebene geregelt
Sollte das Gas dann tatsächlich knapp werden, wird die Verteilung jedoch auf Bundesebene geregelt, wie BUKEA-Sprecherin Pinzke erklärt: „Dafür sieht das Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) in einer Definition ‚geschützte Kunden‘ vor, die weiter Gas nutzen dürften.“ Darunter zählen etwa Privathaushalte, Krankenhäuser sowie Stellen der kritischen Infrastruktur. Wer dann in Industrie und Gewerbe mit weniger Gas auskommen muss, entscheidet die Bundesnetzagentur „im Einzelfall unter Berücksichtigung der Gesamtlage“, so Pinzke.
Zudem gibt es auch Alternativen, wie Trepoll sagte. Neben mehr Gas aus Norwegen, aktuell Deutschlands zweitgrößter Zulieferer, ist auch Flüssiggas (LNG) im Gespräch. Dafür gibt es aber aktuell keine Terminals, erst in 2023 könnte in Wilhelmshaven das Erste einsatzbereit sein. Deshalb werden aktuell schwimmende LNG-Terminals geprüft – auch im Hamburger Hafen, wie die BUKEA vergangene Woche mitteilte: „Geplant ist derzeit die Anmietung von drei schwimmenden LNG Terminals in Deutschland, die bereits zum Winter 2022/2023 zusätzliche Kapazitäten zur Verfügung stellen sollen.“ Bis Alternativen zu Erdgas verfügbar sind, wird es also noch einige Zeit brauchen.