Hamburg: Der ungesühnte Mord an einer jungen Frau
„Schönes Hotel“, murmelte der Täter, dann schoss er den Portier des Hotels „Eden“ in St. Georg nieder. Wenig später wird eine junge Frau an der Eiffestraße entführt, vergewaltigt und ermordet. Das war vor 38 Jahren. Schnell kann die Polizei damals einen Verdächtigen fassen, doch dann gibt es eine überraschende Wende.
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„Schönes Hotel“, murmelte der Täter, dann schoss er den Portier des Hotels „Eden“ in St. Georg nieder. Wenig später wird eine junge Frau an der Eiffestraße entführt, vergewaltigt und ermordet. Das war vor 38 Jahren. Schnell kann die Polizei damals einen Verdächtigen fassen, doch dann gibt es eine überraschende Wende.
Am 26. September 1985 hatte Hotelportier Otto B. abends noch mit Gästen gescherzt, ihnen Tipps für ihren Hamburg-Besuch gegeben und Geld gewechselt. Dann erscheint gegen 21 Uhr ein hagerer junger Mann im Foyer des Hotels unweit des Hauptbahnhofs. Der Täter zieht eine Pistole vom Kaliber 7,65 Millimeter und schießt dem Österreicher in den Bauch.
Hotelportier in Hamburg-St. Georg niedergeschossen
Das Geschoss zerfetzt die Milz, bleibt im Körper des Opfers stecken. Obwohl die Verletzung des Portiers lebensgefährlich ist, läuft er noch hinter dem Verbrecher her, ruft um Hilfe, verliert ihn aber aus den Augen. Dann geht Otto B. zurück ins Hotel und ruft erst mal seinen Chef an: „Ich bin überfallen worden, hab einen Bauchschuss!“ Doch dann bricht der 55-Jährige zusammen. Per Notarztwagen kommt der Portier ins Krankenhaus St. Georg.
Noch während in St. Georg die Fahndung nach dem Schützen läuft, verlässt gegen 21.30 Uhr Karin S. die Wohnung ihrer 23-jährigen Schwester an der Eiffestraße in Hamm. Die hatte die 21-Jährige noch aufgefordert, doch noch zu bleiben. Doch Karin S. war frisch verliebt, wollte heim zu ihrem Freund in Barsbüttel. Als sie gerade an der Eiffestraße ihren blauen Opel Manta besteigen will, wird sie von einem jungen Mann mit einer Pistole bedroht. Er zwingt Karin S., mit dem Auto nach Harburg zu fahren.
Karin S. wird missbraucht und getötet
Gegen 22.30 Uhr missbraucht und tötet der Entführer die junge Frau an der Bundesstraße 3 bei Rade (Landkreis Harburg) mit drei Schüssen. Erst am nächsten Morgen wird die Leiche entdeckt. Der Mörder fährt mit dem Opel Manta seines Opfers nach Ottensen und stellt ihn an der Lisztstraße ab. Zunächst wird kein Zusammenhang zwischen den beiden Verbrechen gesehen. Doch dann ergab die Untersuchung der Kriminaltechniker, dass beide Male mit derselben 7,65er Pistole geschossen worden war.
Am 16. Oktober 1985 nimmt die Polizei den 21-jährigen Karl N. (Name geändert) in seiner Wohnung in Hamm fest. Die Beamten hatten einen Tipp bekommen. Der Gehörlose steht damals im Verdacht, zusammen mit seinem Bruder (27) und drei weiteren Männern Einbrüche begangen zu haben. Ihr Treffpunkt ist ein Heim für Gehörlose in Ottensen.
In der Hammer Wohnung des 21-Jährigen entdeckt die Polizei Diebesgut und eine scharfe Pistole – die Tatwaffe! Der Verdächtige macht keine Aussage.
Verdächtiger wird vor Gericht frei gesprochen
Dafür redet er im Juni 1986 umso mehr. Mord, Mordversuch und Vergewaltigung werden ihm vorgeworfen. Karl N. beteuert vor der Schwurgerichtskammer: „Ich könnte keinen Menschen überfallen, keinem Menschen wehtun.“ Der Angeklagte spricht sehr undeutlich, eine Dolmetscherin für Gebärdensprache übersetzt jeden Satz von ihm.
Zeugenaussagen und ein Fingerabdruck im Opel Manta des Opfers belasten den 21-Jährigen schwer. Doch der beteuert, dass er zu den Tatzeiten mit zwei Freunden in seiner Wohnung den Film „Terminator“ mit Arnold Schwarzenegger angeschaut hätte.
Der Autor
Thomas Hirschbiegel (hier am Tatort Ellmenreichstraße) ist seit 1977 bei der MOPO. Der 62-Jährige war fast 40 Jahre Polizeireporter, schreibt heute als Chefreporter auch über Stadtentwicklung oder „Lost Places“. Er sagt: „Zwei Tötungsdelikte innerhalb weniger Stunden, das war auch in den wilden 1980er-Jahren in Hamburg ungewöhnlich.“ Schnell meldete die Kripo damals die Aufklärung und präsentierte einen Tatverdächtigen. Die Indizien sprachen gegen den jungen Mann und er landete vor Gericht. Sein Freispruch war für mich damals schon eine Überraschung.
Dann belastet Karl N. seinen Bruder. Tatsächlich erkennt der niedergeschossene Hotelportier bei einer erneuten Gegenüberstellung während des Prozesses dann auch den älteren Bruder und nicht den Angeklagten als Täter wieder. Bekannte des Angeklagten wiederum belasten Karl N.
Trotz der eher diffusen Beweis- und Indizienlage fordert die Staatsanwältin lebenslange Haft für den Angeklagten. Doch am 10. Juli 1986 wird Karl N. freigesprochen. Der Vorsitzende Richter Jürgen Schenck sagt: „Es langte einfach nicht. Auch eine Gesamtschau der sehr dürftigen Indizien kann uns nicht zur Überzeugung bringen, dass der Angeklagte der Täter ist.“ Der Richter äußert sein Bedauern darüber, dass der Mord an einer jungen Frau nun ungesühnt bleibe, und ergänzt: „Aber die Verurteilung eines nur Tatverdächtigen bedeutet neues Unrecht.“ Karl N. fällt seinen beiden Verteidigern in die Arme. Er verlässt den Gerichtssaal als freier Mann.