Ukrainer floh nach Hamburg: „Im russischen Folterkeller wollte ich mich selbst töten“
Die Wahrheit wollten sie nicht hören: Weil der ukrainische Journalist Stanislav Aseyev schonungslos über die Zustände im Separatistengebiet Donbas berichtete, wurde er von den russischen Besatzern festgenommen und in einen Folter-Knast geworfen. Was er dort erlebte, hat sein Leben für immer verändert. Seit Mitte Dezember lebt der 33-Jährige in Hamburg – und versucht hier, das Erlebte zu verarbeiten.
Die Wahrheit wollten sie nicht hören: Weil der ukrainische Journalist Stanislav Aseyev schonungslos über die Zustände im Separatistengebiet Donbas berichtete, wurde er von den russischen Besatzern festgenommen und in einen Folter-Knast geworfen. Was er dort erlebte, hat sein Leben für immer verändert. Seit Mitte Dezember lebt der 33-Jährige in Hamburg – und versucht hier, das Erlebte zu verarbeiten.
Im Wohnzimmer steht noch der Koffer. So ganz angekommen ist Stanislav Aseyev noch nicht in seiner kleinen Wohnung, in die er sich dank der Hilfe der Hamburger Stiftung für politisch Verfolgte flüchten konnte. Wo genau er lebt, muss geheim bleiben. Zu groß ist die Angst vor seinen Häschern, die Aseyevs Seele so sehr verletzt haben, das sein Gesicht fast immer ernst bleibt.
Die russischen Besatzer warfen ihn in einen dunklen, feuchten Keller
Stanislav Aseyev stammt aus dem Donbas, aus Donezk. Dort erlebte er ab 2014 die Interventionen der von Russland gesteuerten paramilitärischen Gruppen, die nach und nach die Kontrolle in den ostukrainischen Provinzen übernahmen. Für den Sender „Radio Free Europe“ begann Aseyev über das, was er sah, zu berichten. Über den Alltag der Menschen, aber auch über die Machtspiele, über Repressionen und über die Unterdrückung der freien Presse.
„Die wichtigste Informationsquelle waren die ukrainischen Blogger. Doch die waren auf einmal spurlos verschwunden. Man warf sie in Keller“, erzählt Stanislav Aseyev. Was das bedeutet, hat der Journalist am eigenen Leib erfahren. Er schrieb über dieses System von Orten, an denen Menschen illegal festgehalten wurden und geriet so immer mehr ins Visier der Besatzer. Als er es dann auch noch wagte, das Wort „Volksrepublik“ ironisch in Anführungszeichen zu setzen, wurde er geschnappt und selbst in eines der berüchtigten Verliese geworfen.
Grausam: Ein altes sowjetischen Feld-Telefon diente als Folterinstrument
„Es war ein dunkles Loch. Feucht und so kalt, dass der Atem selbst im Sommer Dampfwolken bildete“, sagt Aseyev. Anderthalb Monate hauste Aseyev 2017 alleine in dem Keller. Bei einem Verhör im Ministerium des russischen Geheimdienstes FSB wurden ihm Extremismus und Spionage vorgeworfen.

„Ich habe das zunächst abgestritten. Dann haben sie mich gefoltert“, sagt Aseyev und stockt. Es fällt ihm schwer, zu beschreiben, was dann passierte. Sein Körper wurde an ein altes sowjetisches Feld-Telefon angeschlossen, dessen Energiezufuhr per Kurbel erfolgt. Die Stromstöße waren heftig. Sie gingen in die Daumen und in Aseyevs linkes Ohr. „Nach einer Stunde habe ich alles unterschrieben, was sie wollten und die angebliche Schuld auf mich genommen.“
Stromstöße auf Füße und Genitalien
Aseyev wurde in den berüchtigten Folter-Kerker „Isolazija“ verlegt. Dort traf er auf zahlreiche Menschen, die wie er ohne Urteil gefangen gehalten wurden. „Alle wurden gefoltert. Viele an den Genitalien. Danach schälte sich die Haut von ihren Hoden ab. An den Füßen hatten sie Verbrennungen.“
Aseyev fing an, sich Notizen zu machen. In winzigen Buchstaben notierte er auf Gefängnispapier, was er sah und vor allem, was es mit ihm machte. „Die Folter tötet dich nicht, aber sie bringt dich dahin, dass du dich selbst töten willst.“ Diese Veränderung der Persönlichkeit durch die zugefügten Qualen beschäftigt ihn bis heute.
Die Folter fügte dem Journalisten schwere seelische Schäden zu
„Die Folter nimmt dir die Bedeutung als Persönlichkeit. Du bekommst das Gefühl, dass du nichts bist. Du existierst nicht mehr. Du bist ein Feind, mit dem man alles machen kann. Demütigen – oder vernichten.“ Er und die zehn Mitgefangenen in seiner Zelle hätten sich gefühlt wie Vieh. Nur zwei Dinge hätten sie noch unterschieden von Tieren: Humor und die Möglichkeit, Suizid zu begehen.

Aseyev hat durchgehalten. Zwei Jahre lang. Dann wurde er zu 15 Jahren Haft verurteilt. Einen Anwalt durfte er sich nicht nehmen. Nach dem Urteil wurde er von „Isolazija“ in ein Lager für politische Gefangene verlegt. Dort waren die Bedingungen ein wenig besser als im Gefängnis, die Regeln weniger streng. Doch eines Morgens hieß es plötzlich: „Sachen packen! Alle raus! Alle in Reih und Glied aufstellen! Ihr kommt hier weg!“
Nach zweieinhalb Jahren kam Stanislav Aseyev durch einen Gefangenenaustausch frei
Niemand wusste, was los war. Die Unsicherheit war groß. Aber dann geschah etwas, das den Häftlingen Vertrauen einflößte: Sie bekamen Kleidung vom Roten Kreuz. „Da ahnten wir, dass man uns nicht erschießen würde“, sagt Aseyev.
Mit Bussen wurden sie zum Grenzposten nahe Kramatorsk verfrachtet. Auch dort standen Zelte vom Roten Kreuz.„Wir ahnten, dass es ein Gefangenenaustausch sein könnte.“ Und so war es auch: Während Aseyev und die anderen Gefangenen in Linie Richtung Westen marschierten, lief neben ihnen eine Kolonne von etwa hundert Russen nach Osten. Das war am 29. Dezember 2019.
Mit einem Militärflugzeug wurden sie nach Kiew gebracht. „Ich kann nie wieder zurück nach Donezk“, sagt Aseyev. Zumindest nicht, solange die Russen dort sind. Er würde sofort verhaftet. Auch in Kiew fühlte er sich nicht sicher vor seinen Verfolgern. Schon gar nicht nach dem russischen Angriff auf die Ukraine am 24. Februar.
Von Hamburg aus hilft Aseyev bei der Suche nach russischen Kriegsverbrechern
Aseyev schloss sich einer Freiwilligen-Einheit beim ukrainischen Militär an, um gegen die Angreifer zu kämpfen. Und das, obwohl er niemals eine militärische Ausbildung erfahren hat. „Wir haben die Ausrüstung bekommen und dann ging es los. Für eine Ausbildung war keine Zeit“, sagt er. Nur ein paar Schießübungen konnten sie noch machen, um den Umgang mit dem Maschinengewehr zu lernen. Eingesetzt wurden sie nur in der dritten Verteidigungslinie.
Im September bekam Aseyev die Möglichkeit, ins Ausland zu gehen, um sein Buch, das er in der Zwischenzeit über seine Gefangenschaft geschrieben hatte („Heller Weg. Geschichte eines Konzentrationslagers im Donbass 2017-2019“), in verschiedenen Ländern vorzustellen. Er kehrte nicht zurück in die Ukraine. Seit Freitag ist er in Hamburg.
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Auch von hier aus will Aseyev seinen Kampf gegen die russischen Invasoren fortsetzen. Er hat den Verein „Justice Initiative Fund“ gegründet, der über seine Webseite nach russischen Kriegsverbrechern sucht. Damit will Aseyev die Ermittlungen der ukrainischen Strafverfolgungsbehörden und die des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag unterstützen. Für die Verhaftung des per internationalen Haftbefehl gesuchten Igor Wsewolodowitsch Girkin, der am Abschuss des Malaysia-Airways-Fluges 17 beteiligt gewesen sein soll, verspricht der Verein eine Belohnung von 9000 Dollar.
Was den Krieg in seiner Heimat betrifft, gibt es für Aseyev nur ein Szenario: „Putin wird niemals aufgeben. Deshalb gibt es nur eins: Wir müssen die besetzten Gebiete zurückerobern. Das wird in Russland zu einer Revolution führen, an deren Ende Putin abgesetzt wird. Nur mit einer neuen Führung kann es Frieden geben.“