Ukrainerinnen und ihr neues Leben in Hamburg: „Als hätte die Stadt mich umarmt“
Vor einem Jahr überfielen Putins Truppen die Ukraine, zwangen Männer, Frauen, Kinder, ihr altes Leben hinter sich zu lassen. Geschätzt 32.000 Menschen sind bei ihrer Flucht in Hamburg gelandet. Wie ist es ihnen in dem Jahr seit Kriegsausbruch ergangen? Die MOPO traf fünf Frauen und einen Mann – und hörte Geschichten von überwältigender Hilfsbereitschaft der Hamburger, von großem Ehrgeiz, die Sprache zu lernen, von Kindern, die hier Wurzeln schlagen. Aber auch von Sorgen und Heimweh. Und von der Bitte, die ukrainische Hauptstadt „Kyjiw“ zu nennen. Nicht „Kiew“ wie die Russen.
Vor einem Jahr überfielen Putins Truppen die Ukraine, zwangen Männer, Frauen, Kinder, ihr altes Leben hinter sich zu lassen. Geschätzt 32.000 Menschen sind bei ihrer Flucht in Hamburg gelandet. Wie ist es ihnen in dem Jahr seit Kriegsausbruch ergangen? Die MOPO traf fünf Frauen und einen Mann – und hörte Geschichten von überwältigender Hilfsbereitschaft der Hamburger, von großem Ehrgeiz, die Sprache zu lernen, von Kindern, die hier Wurzeln schlagen. Aber auch von Sorgen und Heimweh. Und von der Bitte, die ukrainische Hauptstadt „Kyjiw“ zu nennen. Nicht „Kiew“, wie die Russen.
Viktoriia: „Als hätte mich Hamburg umarmt“
Viktoriia Korchahina (35) aus Kyjiw: „Ich bin am 21. September 2022 nach Hamburg gekommen und mein erstes Gefühl war: Sicherheit. Eine Hamburgerin hat mich bei sich aufgenommen, Verena, und sie hat mich sehr, sehr unterstützt. Das ganze Haus hat mich so freundlich aufgenommen, es war wirklich, als hätte mich Hamburg umarmt. In Kyjiw habe ich Konzepte für Restaurants entwickelt und umgesetzt. Das war ein Job, der mir kaum Freizeit ließ, darum bin ich 2019 nach Odessa gegangen und habe dort als Bartenderin in der bekanntesten Cocktailbar der Ukraine gearbeitet. Wir hatten 350 Cocktails und ich konnte den Gästen jeden einzelnen erklären. Meine Eltern und meine zehn Jahre jüngere Schwester sind noch in Kyjiw, die sind irgendwie verwurzelter als ich. Neulich erzählte mir meine Schwester, dass sie ihr Gehalt so spät ausgezahlt bekommt, dass sie kaum noch weiß, wie sie ihre Einkäufe bezahlen soll. Ich schicke meiner Familie also so viel Geld, wie möglich. Vor ein paar Wochen konnte ich bei Verena ausziehen. Sie hat mich mit allen möglichen Leuten bekannt gemacht, allen von mir erzählt, mir Empfehlungsschreiben mitgegeben und so habe ich ein WG-Zimmer in St. Georg bekommen. Ich habe auch einen Job, in einer Restaurantküche. Ich liebe alles, was mit Gastronomie zu tun hat und die Arbeit in der Küche ist eine neue Erfahrung. Mein Lieblingsort in Hamburg ist der Hafen. Mein Handy ist voll mit Fotos vom Hafen, besonders beim Sonnenuntergang.“
Wladimir: „Plötzlich war ich in Hamburg, das war wie im Märchen“

Wladimir Scherstyuk (60) aus Nikolaev: „Ich bin jetzt seit neun Monaten in Hamburg. Ich wollte nach Deutschland, weil ich schon ein bisschen Deutsch konnte. Ich liebe es, Deutsch zu sprechen. Hamburg hatte ich immer im Kopf, weil ich mal gehört hatte, dass es sehr schön sein soll. In Warschau traf ich zufällig ein paar junge Leute, die Hilfsgüter aus Deutschland an die Grenze zur Ukraine brachten – und die haben mich mit nach Hamburg genommen. Plötzlich war ich tatsächlich in Hamburg, ich kam mir vor wie im Märchen! Meine Stadt wurde früh von Russen besetzt, es wurden Leute erschossen, mir war klar, dass ich da nicht bleiben konnte. Zehn Tage, nachdem die Russen gekommen waren, bin ich weg. Ich bin alt, darum durfte ich das Land verlassen. Meine Familie, das sind meine beiden Katzen und mein Kater, die habe ich bei meiner Nachbarin gelassen. Wir telefonieren oft, inzwischen ist Nikolaev wieder befreit. Ich bin Programmierer und Webseitengestalter und möchte mir hier wieder eine kleine Firma aufbauen. Zwei Kunden habe ich schon! In ein paar Tagen habe ich die Deutschprüfung für B1. Ich würde gerne in Deutschland bleiben, denn das Schönste, was dieses Land mir geschenkt hat, ist meine deutsche Freundin, in die ich mich sehr verliebt habe.“
Alisa: „Wir wollen uns hier ein neues Leben aufbauen“

Alisa Bobrovska (34) aus Charkiw: „Ich bin am 22. April 2022 mit meinen beiden kleinen Söhnen, zwei und sieben Jahre alt, in Hamburg angekommen. Bis die Kinder kamen, habe ich in einer Bank gearbeitet. Der erste Monat in Hamburg liegt in meiner Erinnerung wie im Nebel, dabei hatten wir viel Glück und lebten in einem Hostel, in dem wir selbst kochen konnten. Inzwischen wohnen wir in einer eigenen Wohnung in Bergedorf und es ist schon ein Gefühl wie Zuhause. Besonders, seit auch mein Mann bei uns ist, der das Land verlassen durfte, um seinen invaliden Vater zu begleiten. Was ich an Hamburg schätze, klingt vielleicht komisch, aber es ist so: Dass es keine Funklöcher gibt, dass die meisten Menschen Englisch sprechen und sehr hilfsbereit sind, dass ich mit dem Kinderwagen in jeden Bus komme. Überhaupt, dass man auch ohne Auto überall hinkommt. Und die schönen Parks liebe ich auch sehr. Mein älterer Sohn wurde hier eingeschult und spricht schon sehr gut Deutsch. Ich kann mir vorstellen, dass wir uns hier alle zusammen ein neues Leben aufbauen.“
Olena: „Meine Tochter sagte: Mama, Altona fühlt sich an wie Zuhause“

Olena Burul (41) aus Kyjiw: „Meine beiden Töchter, 8 und 14 Jahre alt, und ich sind im März 2022 nach Hamburg gekommen. In Kyjiw war ich Journalistin bei einem Finanzmagazin. Nach unserer Ankunft habe ich mich sofort für einen Integrationskurs angemeldet, inzwischen mache ich den B2-Deutschkurs. Das Tollste ist, dass ich seit November ein Stipendium des Deutschen Bibliotheksverbandes habe. Ich forsche darüber, wie deutsche Zeitungen in den Jahren 1932/33 über den Holodomor, die Hungersnot in der Ukraine, berichtet haben. Ich habe Kontakt zum Holodomor-Museum in Kyjiw, das gerade eine Ausstellung über die ausländische Berichterstattung in den Jahren plant. Über den Jahreswechsel waren wir bei meinem Mann in Kyjiw. Das größte Problem ist die Stromversorgung, aber die Menschen versuchen, ihren Alltag möglichst normal weiter zu leben. Da läuft dann eben ein Generator beim Friseur. Als wir nach Hamburg zurück kamen, sagte meine ältere Tochter: „Mama, ich habe Angst. Altona fühlt sich an wie Zuhause, dabei ist doch Kyjiw mein Zuhause.“ Wir wohnen in der Nähe des Botanischen Gartens in Flottbek, da haben uns Privatleute einen Teil ihres Hauses vermietet. Das sind ganz tolle Vermieter, wir fühlten uns gleich willkommen. In Kyjiw wohnen wir in einem 18-stöckigen Hochhaus, jetzt fast ländlich. Wenn wir Lust haben, Pferde anzugucken, dann fahren wir nach Sülldorf und gucken Pferde an. Was meine Töchter aber besonders an Hamburg lieben, sind die Museen. Das Altonaer Museum, das Museum der Natur oder das Archäologische Museum, egal. Wir waren in allen schon mehrmals. Trotzdem wollen wir irgendwann nach Kyjiw zurückkehren.“
Inna: „Mit so viel Hilfe habe ich nicht gerechnet“

Inna Palamarchuk (46): „Ich kam am 28. März 2022 mit meiner Mutter (78), meiner ältesten Tochter (29), meinem Sohn (7) und meiner Enkeltochter (6) her. Mein Mann und mein Schwiegersohn sind noch in der Ukraine, um unser Land zu verteidigen. Unsere ganze Heimat ist kaputt, wir können und wollen nicht zurückkehren. Ich vermisse meine dortgebliebenen Familienmitglieder, aber nicht das Land, denn es ist nicht mehr dasselbe. Hamburg ist jetzt unser neues Zuhause und wir fühlen uns hier sehr wohl. Die Stadt ist wunderschön und mit so viel Hilfsbereitschaft habe ich nicht gerechnet. Die Kinder gehen zur Schule und in den Kindergarten und die Stadt hat uns eine Wohnung in Norderstedt besorgt. Leider sind die Wartezeiten für den Integrationskurs sehr lang. Erst danach kann ich einen Job annehmen. Ich überbrücke sie mit einem Deutschkurs beim Kulturzentrum ,Schrødingers‘“.
Krystyna: „Ich habe Heimweh nach Charkiw“

Krystyna Krylova (27) aus Charkiw: „Meine Mutter, ihre Schwester, meine Großeltern und ich kamen am 17. Februar 2022 nach Hamburg. Unsere Heimatstadt Charkiw wurde mit als erste bombardiert. Um 5 Uhr hat der Alarm mich geweckt. Es waren furchtbare acht Tage auf der Flucht mit dem Auto, überall heulten Sirenen, Flugzeuge flogen über unseren Köpfen. Wir haben kaum gegessen und nicht geduscht. Hier geht es uns gut: Ich habe einen Job als Sekretärin im ,Schrødingers‘ und eine Wohnung in Stade. Leider werde ich bei Behörden und Banken oft zurückgewiesen, weil die Menschen kein Englisch sprechen können oder wollen. Ich möchte in die Ukraine zurückkehren, sobald der Krieg vorbei ist. Hamburg ist schön, aber ganz anders als Zuhause. Ich habe Heimweh.“