UKE-Intensiv-Chef: „Wäre ich in Bremen, dann wäre ich etwas entspannter“
Die Inzidenz-Kurve in unserer Stadt kennt weiter nur eine Richtung: stark steigend. Was kommt da noch auf uns zu – vor allem in den Krankenhäusern? Die MOPO fragte bei Prof. Dr. Stefan Kluge nach, Chef der Intensivmedizin am UKE in Hamburg. Im Interview erklärt er, warum sich die Lage in unserer Stadt in den nächsten Wochen deutlich verschlechtern dürfte und was Städte wie zum Beispiel Bremen besser machen.
Wie geht es Ihnen und Ihren Kolleg:innen derzeit?
In diesen Sekunden müssen wir eine knapp 80-jährige Frau an die Beatmungsmaschine anschließen. Sie zählt zur Hochrisikogruppe – und hat sich nicht impfen lassen. Und erwartet dennoch eine Intensivbehandlung von uns, die vermutlich vermeidbar gewesen wäre. Ich muss sagen: Das stößt bei mir auf Unverständnis und frustriert unser Team.
Die Inzidenz-Kurve in unserer Stadt kennt weiter nur eine Richtung: stark steigend. Was kommt da noch auf uns zu – vor allem in den Krankenhäusern? Die MOPO fragte bei Prof. Dr. Stefan Kluge nach, Chef der Intensivmedizin am UKE in Hamburg. Im Interview erklärt er, warum sich die Lage in unserer Stadt in den nächsten Wochen deutlich verschlechtern dürfte und was Städte wie zum Beispiel Bremen besser machen.
Herr Kluge, der US-Top-Epidemiologe Anthony Fauci hat kürzlich prognostiziert, über kurz oder lange würde Omikron wohl „fast jeden“ erwischen. Wie sehen Sie das?
„Herr Fauci hat insofern Recht, als sich jetzt gerade einfach wirklich sehr viele Menschen infizieren, das sehen wir in den USA, in Frankreich, in Österreich. Die Zahlen sind wirklich beachtlich, auch bei uns in Deutschland. Insofern wird Omikron wohl über kurz oder lang jeden von uns finden.“
Was bedeutet das?
„Eine solche Infektionsgeschwindigkeit wird auch in Deutschland massive Probleme verursachen: Ausfall bei Medizinerinnen und Medizinern, bei Pflegekräften, bei der kritischen Infrastruktur. Wenn wir diese Infektionswelle mit Omikron ungehindert laufen lassen, dann würde das auch in unserem Gesundheitssystem zu großen Schwierigkeiten führen. Deshalb sollte man als Einzelne/r schon vermeiden, sich mit Omikron zu infizieren.“
UKE-Intensivmediziner Stefan Kluge: „Unser Gesundheitssystem ist in Gefahr“
Sind Sie angesichts der aktuellen Zahlen besorgt?
„Natürlich habe ich persönlich als Dreifach-Geimpfter weniger Sorge vor einer Infektion, durch den Booster bin ich gut geschützt. Aber: Auch ich kann mich anstecken und dann falle ich als Arzt erstmal aus, auch wenn ich vielleicht keine Symptome habe, denn ich bin sieben Tage oder länger in Isolation und kann nicht arbeiten. Und so wie mir geht es vielleicht auch anderen Ärztinnen, Ärzten, Pflegekräften. Und das kann unserer Gesundheitssystem gefährden.“
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Weil die Kliniken die Last der Omikron-Welle womöglich nicht aushalten?
„Die Omikron-Welle beeinträchtigt ja letztlich alle Patienten, also auch solche mit Krebs, Schlaganfall und Herzinfarkt. Die können wir dann vielleicht nicht mehr umfänglich behandeln, wenn zu viele Ärztinnen, Ärzte, Pflegekräfte selbst krank sind. Und die Intensivbetten zudem möglicherweise belegt sind. Ich befürchte, da wird es Einschnitte in der Gesundheitsversorgung geben, die uns nachhaltig beschäftigen werden.“
„Gegen Omikron ist der Booster das Entscheidende“
Wie ist die Situation andernorts im Norden?
„Also wenn ich in Bremen wäre, dann wäre ich etwas entspannter. Die haben eine sehr hohe Impf- und Boosterquote. Aber bei uns in Hamburg ist die Boosterquote relativ niedrig, die niedrigste in Westdeutschland. Gegen Omikron ist aber der Booster das Entscheidende. Da helfen die Erst- und Zweitimpfungen nicht so sehr wie die dritte Impfung. Wir wissen jetzt schon, dass die Infektionszahlen in den nächsten zwei Wochen ansteigen werden – und damit auch die Krankenhausbelegung. Daher muss ich schon sagen: Alle sollten jetzt dringend das Angebot einer Boosterimpfung in Anspruch nehmen.“
Wie geht es Ihnen und Ihren Kolleg:innen derzeit?
„In diesen Sekunden müssen wir eine knapp 80-jährige Frau an die Beatmungsmaschine anschließen. Sie zählt zur Hochrisikogruppe – und hat sich nicht impfen lassen. Und erwartet dennoch eine Intensivbehandlung von uns, die vermutlich vermeidbar gewesen wäre. Ich muss sagen: Das stößt bei mir auf Unverständnis und frustriert unser Team.“
Von dieser Sorte Patient:innen gibt es ja einige in Deutschland…
„Ja. Wenn sich jetzt viele Ungeimpfte – und in Deutschland gibt es drei Millionen über 60 Jahre –, in kurzer Zeit mit Omikron infizieren würden, dann erwarten uns wirklich ganz dramatische Zahlen.“