Rassistisch und sexistisch – Ex-Leistungssportlerin übt Kritik am Turniertanz
René Reith hat als Jugendliche an Tanzwettbewerben teilgenommen, war Leistungssportlerin. Doch mit 18 Jahren entschied sich die Hamburgerin, mit dem Turniertanz aufzuhören – sie passte nicht mehr in das System, wie sie rückblickend sagt. Heute verarbeitet die 31-Jährige ihre Erlebnisse auf der Bühne und tritt auf Kampnagel auf. Ein Interview über Selbstbräuner als kulturelle Aneignung, über die Zukunft des Turniertanzes – und über rassistische Strukturen im Profisport.
René Reith hat als Jugendliche an Tanzwettbewerben teilgenommen, war Leistungssportlerin. Doch mit 18 Jahren entschied sich die Hamburgerin, mit dem Turniertanz aufzuhören – sie passte nicht mehr in das System, wie sie rückblickend sagt. Heute verarbeitet die 31-Jährige ihre Erlebnisse auf der Bühne und tritt auf Kampnagel auf. Ein Interview über Selbstbräuner als kulturelle Aneignung, über die Zukunft des Turniertanzes – und über rassistische Strukturen im Profisport.
MOPO: Sie beschreiben den Turniertanz als rassistisch und sexistisch – was genau meinen Sie damit?
René Reith: Es geht um die Strukturen im Turniertanz: Bis heute wird in der deutschen Tanzsportordnung ein Tanzpaar immer noch als ein Mann und eine Frau definiert. Das bestärkt die Idee, dass Heterosexualität die gesellschaftliche Norm ist. Und auch sonst sind die Tanzfiguren sehr auf diese Norm beschränkt: Der Mann führt, die Frau folgt. Gerade bei jungen Personen kann das dazu führen, dass bestimmte Vorstellungen von Geschlechter-Rollen verinnerlicht werden.
Und warum halten Sie das System für rassistisch?
Ich habe mich auf die lateinamerikanischen Tänze spezialisiert. Als ich damals als jugendliche Person mit dem Tanzen angefangen habe, habe ich mich nicht gefragt, was „lateinamerikanisch“ bedeutet. Also, dass es in den Tänzen um einen weißen, europäischen Blick geht, um eine exotisierende Vorstellung von Lateinamerika. Beispielsweise wurde die Samba im Turniertanz dadurch stilisiert und angeeignet, dass sie überhaupt als Paar getanzt wird. Darüber hinaus zeigt sich das rassistische System in bestimmten Turnierkonventionen: Bis heute ist es so, dass Turniertänzer:innen sich selbstbräunen, sich die Haare schwarz färben, um diesen „latin look“ zu bekommen.
Haben Sie diese Strukturen als Jugendliche eingeschränkt?
Das Tanzen war mein erster Zugang zu Kunst und Kultur. Ich habe dann aber mit 18 Jahren gemerkt, dass ich nicht mehr in diesen Strukturen weiterarbeiten kann, obwohl ich die Möglichkeit hatte, Berufstänzer:in zu werden. Ich konnte in diesem System meine eigene Identität nicht mehr finden. Ich habe dann geschaut, welche Tanzformen es noch gibt – und bin so zum Theater gekommen.

Woher kommen diese Strukturen?
Das hat mit der Historie zu tun: Ursprung ist die europäische Ballkultur, bei der die aristokratische Gesellschaft zusammenkam und repräsentativ miteinander getanzt hat. Daraus ist dann ein Sport entstanden mit Wertungsgericht und Figurenkatalog. Der moderne Turniertanz reproduziert dieses traditionelle Bild.
Welche konkreten, negativen Erfahrungen haben Sie im Leistungssport erlebt?
Es ist schwierig, das an Situationen zu beschreiben. Das sind eher größere Themen, zum Beispiel die Vorstellung von Männlichkeit. Zwar zeigt sich im Turniertanz eine Überzeichnung dieser Männlichkeit, aber trotzdem wird ein bestimmtes Auftreten von einem erwartet. Da zeigt sich für mich eine große Ambivalenz.
„Mir ist wichtig, Turniertanzen nicht nur als zu kritisierende Sportart darzustellen“
Ist der Turniertanz von diesen Strukturen im Vergleich zu anderen Sportarten besonders betroffen, weil er von den Geschlechterrollen lebt?
Ja, das ist auf jeden Fall so. Wir haben natürlich im Sport immer diese Kategorien, in welchen Alters-, Geschlechter- und Leistungsklassen gewertet wird. Aber im Turniertanz gibt es die besondere Komponente, dass man nur als Paar antreten darf. Und die Tänze sind sehr von der heteronormativen Idee von Liebe und Sexualität geprägt. Aber trotzdem mag ich die Tänze, die Extravaganz, die Bewegungen – man kann in den Tanzfiguren eine große Schönheit erkennen. Mir ist wichtig, Turniertanzen nicht nur als zu kritisierende Sportart darzustellen, darum geht es nicht. Das will ich auch in der Performance darstellen: Die Schönheit, die der Tanz hat, in einer neuen Komposition zu erkennen.
Würden Sie jungen Menschen raten, mit Turniertanz anzufangen – vor dem Hintergrund der Strukturen, mit denen sie konfrontiert sein werden?
Ich persönlich würde allen Interessierten raten, anfangen zu tanzen, weil es sehr viel Schönes darin zu entdecken gibt. Ich würde mir aber wünschen, dass man mit einem kritischen und bewussten Blick die Tänze weiterentwickelt. Es geht nicht darum, etwas zu verbieten, sondern um eine Weiterentwicklung entsprechend des gesellschaftlichen Wandels. Da ist sehr viel Potential mit neuen Tänzen, neuen Partner:innen.
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Glauben Sie, dass sich in Zukunft die Paartanz-Struktur von Mann und Frau auflösen wird?
Ich sehe positiv in die Zukunft: Ich glaube, dass der Tanzsport sich weiterentwickeln wird. Ich würde mir einfach wünschen, dass wir nicht zu lange warten, mit neuen Ideen da voranzuschreiten.
René Reith tritt am Samstag, den 24. Juni (18.45 Uhr) auf Kampnagel mit der Tanzperformance „Fake Diamonds“ auf. Hier gibt es Tickets (15 Euro, 9 Euro ermäßigt).