Nach Erfolg in Billstedt: Weiterer Stadtteil bekommt einen Gesundheitskiosk
Sie helfen Menschen in sozial schwachen Stadtteilen ein gesundes Leben zu führen – und sorgen so für Entlastung in Arztpraxen: die Hamburger Gesundheitskioske. Vor zwei Jahren drohte ihnen das Aus, weil drei Krankenkassen aus der Finanzierung ausgestiegen waren. Jetzt wurde in Bramfeld die fünfte Einrichtung dieser Art eröffnet.
- Deutsch (Deutschland)
MOPO+ Abo
für 1,00 €Jetzt sichern!Die ersten 4 Wochen für nur 1 € testen!Unbeschränkter ZugangWeniger Werbung
Danach nur 7,90 € alle 4 Wochen
Wenn Sie E-Paper Kunde sind, betrifft diese Änderung Sie nicht.
Sie helfen Menschen in sozial schwachen Stadtteilen ein gesundes Leben zu führen – und sorgen so für Entlastung in Arztpraxen: die Hamburger Gesundheitskioske. Vor zwei Jahren drohte ihnen das Aus, weil drei Krankenkassen aus der Finanzierung ausgestiegen waren. Jetzt wurde in Bramfeld die fünfte Einrichtung dieser Art eröffnet.
Cagla Kurtcu legt einer Kundin die Manschette um den Arm und fängt an zu pumpen. „130 zu 80“, sagt sie mit Blick auf das Blutdruckmessgerät. „Ein bisschen zu viel. Aber nicht besorgniserregend.“ Seit drei Jahren berät die examinierte Krankenpflegerin mit zusätzlichem Bachelorabschluss als Advance Practise Nurse Menschen in Billstedt in Sachen Gesundheit. Ab sofort ist sie auch in Bramfeld tätig, wo der Gesundheitskiosk in der „Marktplatz Galerie“ (Bramfelder Chaussee 230) geöffnet hat.
Hamburger Gesundheitskiosk wurde zum Vorbild für ganz Deutschland
Die 33-Jährige und ihre Kolleginnen sprechen viele Sprachen und haben damit Zugang zu Patienten, die in dem sozial schwachen Stadtteil sonst durchs Raster fallen würden. Aufgrund des großen Erfolgs ihrer Arbeit erklärte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) den Gesundheitskiosk in Billstedt zum Vorbild für ganz Deutschland. Überall in der Bundesrepublik sollten solche Einrichtungen entstehen, die Menschen helfen, gesund zu bleiben. Doch dann geschah – nichts.
Seit mehr als einem Jahr hängt das neue Gesundheitsversorgungsgesetz, das jedem Bürger unabhängig von der Krankenkasse einen Rechtsanspruch auf Versorgung im Gesundheitskiosk garantieren soll, in Berlin in der Warteschleife. Die Ampelkoalition fokussiert sich auf andere Themen.
Die Lebensretter aus Billstedt bringt das in eine schwierige Lage. Zumal ihnen vor zwei Jahren die Finanzierung zusammenbrach, als Techniker Krankenkasse, Barmer und DAK aus dem Modellprojekt ausstiegen. Nur die AOK und die Mobil Krankenkasse (MKK) blieben. Seitdem können sich nur noch die bei diesen Kassen Versicherten im Gesundheitskiosk beraten lassen.
Gesundheitskiosk: Drei Krankenkassen waren aus der Finanzierung ausgestiegen
Beide Kassen sind felsenfest überzeugt von dem Versorgungskonzept und haben trotz der schwierigen finanziellen Situation alles daran gesetzt, neben den bisher vier Kiosken in Billstedt, Horn, Mümmelmannsberg und Steilshoop nun noch einen fünften in Bramfeld zu eröffnen.
Matthias Mohrmann, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der AOK Rheinland/Hamburg, erklärte: „Gesundheit ist die Basis für eine gesellschaftliche Teilhabe. Doch gerade in sozial schwachen Stadtteilen finden viele Menschen nicht den Zugang zu unserem Gesundheitssystem.“ Bei vielen Krankheiten sei jedoch eine frühe Erkennung von großer Bedeutung. „Uns geht es um Gesundheitsgerechtigkeit“, so Mohrmann.
Auch Mario Heise, Vorstand der MKK, betonte: „Von dem präventiven Ansatz, die persönliche Gesundheitskompetenz zu stärken, profitieren alle und wir sehen darin eine notwendige Unterstützung für unsere Gesellschaft.“
Hamburger Ärzte sehen Gesundheitskiosk als wichtige Entlastung für ihre überfüllten Praxen
Neben den Krankenkassen waren auch mehrere Ärzte aus der Umgebung bei der Eröffnung des neuen Gesundheitskiosks in Bramfeld. Dr. Gerd Fass, Vorsitzender des Ärztenetzes Billstedt-Horn, erklärte: „Die Arbeit des Gesundheitskiosks ist eine wichtige Ergänzung zu meiner Arbeit. Unsere Praxen sind seit Langem überlaufen. Die Beratung in den Kiosken sorgt für unsere Entlastung.“
Der HNO-Arzt und Vorsitzende des Virchowbunds Dr. Dirk Heinrich machte an einem Beispiel deutlich, wie sinnvoll die Arbeit von Cagla Kurtcu und ihren Kolleginnen ist: „Wenn wir es schaffen, auch nur zehn Prozent Diabetes-Erkrankungen zu verhindern, ersparen wir dem Gesundheitssystem eine enorme Summe an Folgekosten.“
Das könnte Sie auch interessieren: Neue Liebe für Lauterbach: Seine Freundin ist keine Unbekannte
Wer fehlte bei der Eröffnungsfeier, war die Stadt Hamburg, die trotz Einladung niemanden geschickt hatte. Gesundheitskiosk-Geschäftsführer Alexander Fischer zeigte sich enttäuscht. „Die Stadt Hamburg hat dieses Modell groß gemacht. Aber dass sie ein Erfolgsmodell für die Menschen in den Stadtteilen hat, hat die Stadt vergessen.“
Seit Langem wird gefordert, dass die Stadt sich an den Kosten von rund 400.000 Euro pro Jahr pro Kiosk beteiligt. Sollte der Referentenentwurf für das neue Gesundheitsversorgungsgesetz durchkommen, hat Hamburg keine Wahl mehr. Wie Michael Weller, Abteilungsleiter im Bundesgesundheitsministerium, der per Video zugeschaltet war, erklärte, sollen die Gesundheitskioske künftig zu 80 Prozent von den Kassen und zu 20 Prozent von den Kommunen getragen werden. Nur wann das Gesetz verabschiedet wird – das steht weiter in den Sternen.