Todescrash beim Ironman: War der Profit wichtiger als die Sicherheit?
Bis zu zwölf Motorradfahrer, jeder mit einem Kameramann hinten auf der Maschine, alles für Bilder, die den Ironman-Zuschauern an den Bildschirmen ein optimales Vergnügen bereiten sollen. Prominente Triathleten prangern diese Vielzahl an Begleitfahrzeugen als einen der Gründe an für den verhängnisvollen Zusammenstoß am 4. Juni in Ochsenwerder. Ein Motorradfahrer starb, ein Amateur-Teilnehmer überlebte schwer verletzt. In den Sozialen Medien entlud sich ein Shitstorm über die „Ironman Germany GmbH“, die das Rennen nach dem Todesfall nicht abbrach. Kritiker werfen dem kommerziellen Veranstalter vor, Profit über Sicherheit gesetzt zu haben. Ist das so? Die MOPO beantwortet die wichtigsten Fragen.
- Deutsch (Deutschland)
MOPO+ Abo
für 1,00 €Jetzt sichern!Die ersten 4 Wochen für nur 1 € testen!Unbeschränkter ZugangWeniger Werbung
Danach nur 7,90 € alle 4 Wochen
Wenn Sie E-Paper Kunde sind, betrifft diese Änderung Sie nicht.
Bis zu zwölf Motorradfahrer, jeder mit einem Kameramann hinten auf der Maschine, alles für Bilder, die den Ironman-Zuschauern an den Bildschirmen ein optimales Vergnügen bereiten sollen. Prominente Triathleten prangern diese Vielzahl an Begleitfahrzeugen als einen der Gründe an für den verhängnisvollen Zusammenstoß am 4. Juni in Ochsenwerder. Ein Motorradfahrer starb, ein Amateur-Teilnehmer überlebte schwer verletzt. In den Sozialen Medien entlud sich ein Shitstorm über die „Ironman Germany GmbH“, die das Rennen nach dem Todesfall nicht abbrach. Kritiker werfen dem kommerziellen Veranstalter vor, Profit über Sicherheit gesetzt zu haben. Ist das so? Die MOPO beantwortet die wichtigsten Fragen.
Wer ist die „Ironman Germany GmbH“?
„Unfassbar!“, „Unwürdig!“ „Ihr solltet euch schämen, aus reiner Profitgier mit so vielen Motorräder auf der Strecke das Leben von Athleten zu gefährden! Man sollte euch verklagen!“ – nur eine Auswahl der vielen, vielen empörten Kommentare auf den Social Media-Kanälen der „Ironman Germany GmbH“. Das kommerzielle Event-Unternehmen veranstaltet die Ironman-Läufe in Deutschland und gehört zu der in Florida ansässigen Organisation World Triathlon Corporation, die etwa auch das Hamburger Radrennen „Cyclassics“ durchführt.
2020 hatte der private Investor Advance die Marke „Ironman“ aus der chinesischen Wanda Sports Group herausgekauft. Das globale Multi-Millionen-Business speist sich aus den Startgeldern der Langstrecken-Triathleten (Hamburg ist mit 500 Euro noch eher moderat, Frankfurt kostet 675 Euro) und dem lukrativen Handel mit Merchandise-Produkten.
Wer entscheidet, wie viele Begleitfahrzeuge auf die Strecke dürfen?
Die Innenbehörde hat den Einsatz von Begleitfahrzeugen genehmigt, über die Zahl entscheidet Ironman Germany alleine – und das Unternehmen braucht nach der Pandemie dringend Einnahmen: Laut „Sportschau“ wies der Geschäftsbericht der Ironman Germany GmbH im Jahr 2019 einen Erlös von mehr als 21 Millionen Euro auf, im Coronajahr 2020 sank die Summe auf unter fünf Millionen Euro.
Wird es zukünftiger weniger Motorräder bei Radrennen geben?
Diese und andere Fragen der MOPO ließ Ironman Germany unbeantwortet, fest steht aber: Viele Begleitfahrzeuge mit „Eventfotografen“ sichern gute Bilder, die wiederum der Vermarktung dienen.
Wie bewerten die Profis die hohe Zahl der Begleitfahrzeuge?
Triathlon-Profi Sebastian Kienle, Sieger des Ironman Hawaii 2014, hatte sich als NDR-Kommentator schon vor dem tödlichen Unfall besorgt über die vielen Motorräder geäußert und wiederholt seine Kritik im Gespräch mit der MOPO: „Warum müssen da zehn, zwölf Motorräder mitfahren? Für die Live-Übertragung wären zwei Medien-Motorräder ausreichend, plus eines für den Kampfrichter. Weitere Fotografen könnten etwa auf Streckenabschnitten mitfahren, die keine Gefahren bergen. Um das zu steuern, müssten die Veranstalter aber die Möglichkeit haben, mit den Fahrern über Funk zu kommunizieren.“
Das könnte Sie auch interessieren: Findet der Ironman nach dem Unglück nie wieder in Hamburg statt?
Auch der deutsche Triathlon-Star Jan Frodeno hatte angesichts der großen Begleitflotte eine ungute Vorahnung: „Ich habe dem Kampfrichter 15 Kilometer vor dem Unfall noch gesagt, dass das nicht gut endet. Die Motorräder waren viel zu nah dran. Es war eine Farce. Ich weiß, dass es immer medial begleitet werden muss, aber die Athletensicherheit muss irgendwie vorgehen.“ Frodeno war Augenzeuge des Frontalzusammenstoßes, hatte vom Tod des Motorradfahrers aber erst erfahren, nachdem er als Vierter das Ziel erreicht hatte.
Der deutsche Triathlon-Profi Timo Schaffeld kritisiert in der „Bild“: „Es waren sehr, sehr viele Media-Motorräder, wenig Kampfrichter-Motorräder.“ Die Top-Athletin Laura Philipp schrieb auf Instagram: „Die Spitzengruppe der Männer schien für jeden Athleten ein Motorrad auf einer sehr engen Strecke zu haben. Wie kann eine Rennorganisation so etwas zulassen?“
Bei den Profis sind die vielen Begleitfahrzeuge auch noch aus einem anderen Grund unbeliebt, wie Kienle erklärt: „Diese hohe Zahl verzerrt den Wettbewerb, weil sie Windschatten bieten, diese Diskussion gibt es aber schon seit zehn Jahren.“
Warum wurde das Rennen aus Pietätsgründen nicht abgebrochen?
Dass das Rennen und der Livestream nach dem Tod eines Menschen weiterliefen, stößt im Netz auf breites Unverständnis. Es gibt aber auch andere Stimmen. Sebastian Kienle zur MOPO: „Man stellt sich das so einfach vor, aber auf einer 90 Kilometer langen Strecke mit 2000 Teilnehmern kann man nicht einfach eine Durchsage machen. Man könnte Sperren errichten, aber das wäre, als würde man sich mit einem roten Tuch einer Horde Büffel in den Weg stellen. Das hätte weitere hochgefährliche Situationen für die Athleten bedeutet.“
Was hätte ein Abbruch für die Profi-Sportler bedeutet?
Der Hamburger Ironman ist eine Qualifikation für die Weltmeisterschaft auf Hawaii. Ein Abbruch aus ethischen Erwägungen, etwa nach den Radrennen und vor dem Marathon, hätte für die Profis nicht nur den Verlust des Preisgeldes bedeutet, sondern das Rennen wäre mutmaßlich auch nicht in die Wertung eingeflossen.
Dieser Fall ist so selten, dass es kein Regelwerk dafür gibt. Es könnten etwa alle Teilnehmer qualifiziert werden, oder keiner, oder es werden nur die bereits absolvierten Disziplinen gewertet, in Hamburg also Schwimmen und Radfahren.
Hätte die Polizei das Rennen nicht abbrechen können?
Nein, sagt Sport-Staatsrat Christoph Holstein auf MOPO-Nachfrage: „Die Verantwortlichkeit eines Abbruches liegt beim Veranstalter. Die Polizei kann eine Veranstaltung nur abbrechen, wenn ein konkreter Ansatz vorliegt, dass eine akute Gefährdung für Leib und Leben besteht.“
Das könnte Sie auch interessieren: Ironman in Hamburg lief einfach weiter: unmenschliche Entscheidung
Wird der Ironman weiterhin in Hamburg stattfinden?
Da weicht Christoph Holstein aus: „Wir sind seit Jahren mit Ironman im Gespräch. Wir sprechen auch jetzt miteinander.“
Was sagt Sport-Senator Grote zu dem tragischen Unglück?
Wenig. „Ein schwerer tragischer Zwischenfall stellt eine hohe Herausforderung an den Veranstalter dar”, sagte Grote dem NDR. „Ich kenne die Kritik, aber es ist schwer, den richtigen Umgang zu finden.” Die Stadt will nun ihr Sicherheitskonzept vor dem nächsten Triathlon-Großereignis im Juli noch einmal überprüfen und kontrollieren, ob der Unfall „die Folge individuellen Fehlverhaltens“ war.