„So machen wir Hamburgs S-Bahn besser, schöner und zuverlässiger“
Sie ist oft überfüllt, fällt ständig aus und zuletzt sorgte ein chaotischer Ersatzverkehr nach einem Feuerschaden für negative Schlagzeilen: Die S-Bahn nach Harburg ist das Sorgenkind im HVV. Die MOPO sprach mit Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) über die jahrzehntelange Vernachlässigung des Hamburger Südens, den Ausbau der U4 und wie er die S-Bahn zum „Gamechanger“ machen will.
MOPO: Herr Tjarks, nach einem Brand unter den Elbbrücken herrschte wochenlang S-Bahn-Chaos. Wieder mal hat sich gezeigt: Hamburgs Süden wird seit Jahrzehnten vernachlässigt, obwohl dort Hunderttausende wohnen. Warum eigentlich?
Anjes Tjarks: Das gesamte deutsche Eisenbahnnetz wurde aufgrund einer autozentrierten Politik über Jahrzehnte vernachlässigt. Deshalb haben wir heute drei Autobahnen über die Elbe, aber nur eine Bahnstrecke. Und die ist überlastet und veraltet. Deshalb steht für mich die Erneuerung der S-Bahn-Strecke nach Harburg ganz oben auf der Agenda. Das war vorher nicht der Fall.
Was tun Sie konkret für Wilhelmsburg und den Bezirk Harburg?
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Sie ist oft überfüllt, fällt ständig aus und zuletzt sorgte ein chaotischer Ersatzverkehr nach einem Feuerschaden für negative Schlagzeilen: Die S-Bahn nach Harburg ist das Sorgenkind im HVV. Die MOPO sprach mit Verkehrssenator Anjes Tjarks (Grüne) über die jahrzehntelange Vernachlässigung des Hamburger Südens, den Ausbau der U4 und wie er die S-Bahn zum „Gamechanger“ machen will.
MOPO: Herr Tjarks, nach einem Brand unter den Elbbrücken herrschte wochenlang S-Bahn-Chaos. Wieder mal hat sich gezeigt: Hamburgs Süden wird seit Jahrzehnten vernachlässigt, obwohl dort Hunderttausende wohnen. Warum eigentlich?
Anjes Tjarks: Das gesamte deutsche Eisenbahnnetz wurde aufgrund einer autozentrierten Politik über Jahrzehnte vernachlässigt. Deshalb haben wir heute drei Autobahnen über die Elbe, aber nur eine Bahnstrecke. Und die ist überlastet und veraltet. Deshalb steht für mich die Erneuerung der S-Bahn-Strecke nach Harburg ganz oben auf der Agenda. Das war vorher nicht der Fall.
Was tun Sie konkret für Wilhelmsburg und den Bezirk Harburg?
Der entscheidende Punkt ist, die S-Bahn besser zu machen, das geht am schnellsten. Zuerst werden die Tunnelstationen Heimfeld, Harburg Rathaus und Harburg saniert, um dort die Aufenthaltsqualität zu verbessern. Das macht die Deutsche Bahn bereits in diesem Jahr und wird es 2023 fortführen.
S-Bahn in Hamburg: Ab 2023 komplett neu entwickeltes Netz
Stationen schön zu machen, ist gut, aber das hilft nicht, wenn mal wieder die Bahn nicht fährt.
Klar, das ist ein wichtiger Schritt von vielen. Vor allem aber brauchen wir mehr Stabilität, mehr Kapazität, mehr Züge im Netz. Dafür starten wir ab Dezember 2023 mit einem komplett neu entwickelten S-Bahn-Netz, von dem Harburg massiv profitieren wird.
Wie das?
Wir verdreifachen die Langzugfahrten ab Neugraben, dadurch bekommen Pendlerinnen und Pendler deutlich öfter einen Sitzplatz. Zusätzlich minimieren wir den Zeit- und Kapazitätsverlust durch das Zu- und Abkoppeln von Waggons in Neugraben. Dann haben wir an der gesamten Strecke Zäune errichtet, um die vielen Ausfälle durch „Personen im Gleis“ zu reduzieren. Am wichtigsten aber ist die Erneuerung von Signal-, Weichen- und Energietechnik auf der Strecke. Derzeit fehlt beispielsweise schlicht die Stromkraft, um parallel einen dritten Zug innerhalb von zehn Minuten nach Harburg fahren zu lassen. Wenn wir damit fertig sind, haben wir sanierte Stationen, viel weniger Ausfälle und deutlich mehr Kapazität: Statt jetzt 15.000 Fahrgästen pro Stunde wird die S-Bahn dann 24.000 pro Stunde und Richtung transportieren können. Sie ist dann zudem deutlich zuverlässiger.
Wann wird das endlich so weit sein – und was kostet es?
Die Projekte laufen bereits im Hintergrund, wir wollen in der zweiten Hälfte der 20er Jahre damit durch sein. Wir haben in Hamburg für die nächsten vier Jahre 92 Millionen Euro für die S-Bahn-Korridore nach Harburg und nach Bergedorf zur Verfügung gestellt. Jetzt ist der Bund dran, den Rest der insgesamt knapp 300 Millionen Euro dafür bereitzustellen. Man muss ja bedenken: Das ist eine Strecke des Bundes, ein Eisenbahnunternehmen des Bundes und Hamburg zahlt Trassengebühren für jede S-Bahn, die dort fährt – und trotzdem geben wir jetzt noch mal massiv Geld, weil wir wollen, dass das endlich passiert. Das ist ein klares Bekenntnis der Stadt für den Süden und ist ein echter „Gamechanger“.
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Der Bund hat jahrzehntelang hauptsächlich in Verkehrsinfrastruktur in Süddeutschland investiert – wäre jetzt nicht mal Hamburg dran?
Ja, Hamburg ist dran und Hamburg wird auch Geld vom Bund bekommen.
Tjarks: Hamburg braucht die U4 bis nach Wilhelmsburg!
Braucht es dann überhaupt noch die U4 in den Süden?
Wir müssen sehen: Die S-Bahn ist sehr erfolgreich, weil sie so schnell ist. Ja, die U4 wird vor allem Wilhelmsburg und seine einzelnen Quartiere erschließen, das Reiherstiegviertel, perspektivisch vielleicht Kirchdorf-Süd. Daher hat sie eine andere Funktion als die S-Bahn. Bei Ausfällen der S-Bahn hilft es natürlich, ein zweites System zu haben. Selbst wenn die U4 langfristig nach Harburg verlängert würde, würde sie die S-Bahn nicht ersetzen, da diese viel schneller am Hauptbahnhof ist. Aber ja: Es braucht die U-Bahn nach Wilhelmsburg.
Und nach Harburg?
Wir müssen Schritt für Schritt vorgehen. Der U4-Sprung über die Elbe ist in der Mache. Ziel ist es, dass wir 2030 auf dem Grasbrook sind. Derzeit wird geprüft, wie die Trasse weiter ins Reiherstiegviertel laufen kann.
Im Süden hat man gesehen, dass der Bau der U5 über Jahre deutlich stärker im Fokus stand.
Mir war mit Amtsübernahme wichtig, dass die schnelle Stärkung der S3 in den Fokus gerät. Aber man muss das eine tun und das andere nicht lassen: Es gibt viele weitere große Siedlungen in Hamburg, die noch nicht optimal an den ÖPNV angeschlossen sind, es durch die U5 aber werden – zum Beispiel Steilshoop oder Bramfeld. Auch Rahlstedt oder Jenfeld sind nicht oder unzureichend angebunden derzeit.
Sie favorisieren auch eine weitere Elbquerung für den Regional- und Fernverkehr – wie könnte das Hamburgs Süden entlasten?
Der S-Bahn hilft das erst mal nichts, die fährt auf ihren eigenen Gleisen, die jetzt gestärkt werden. Aber auch die schönen, alten Elbbrücken sind nach 100 Jahren alle sanierungsbedürftig. Die Deutsche Bahn wird sie sanieren oder ersetzen. Deshalb habe ich angeregt, eine weitere Brücke daneben zu bauen. So könnten künftig mehr ICEs, ICs, aber auch Güterverkehr aus dem Hafen und Metronom-Züge nach Hamburg reinfahren – Letzteres würde den Pendlerinnen und Pendlern aus dem Harburger Umland stark helfen.
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Warum lief nach dem Brand an den Elbbrücken der Ersatzverkehr erst so stockend?
Der Brand kam zu einer schwierigen Zeit. Wir hatten zu der Zeit bereits viele Ersatzverkehre an U- und S-Bahn-Linien. Zudem ist die Personallage pandemiebedingt weiter angespannt. Und zu Beginn war nicht sofort klar, wie gravierend die Auswirkungen des Brandes sind. Nachdem klar war, dass der Schaden erheblich ist, haben wir einen Ersatzverkehr umgesetzt mit allem, was verfügbar war, auch mit Verstärkung durch Taxis und Moias. Dennoch arbeiten wir mit allen Beteiligten daran, das Havariekonzept weiter zu optimieren.
S-Bahn-Elbtunnel nach Altona: So ist der Stand
Was passiert sonst noch, um Harburgs Verkehr zu verbessern?
Ziel ist, die S-Bahn generell besser erreichbar zu machen. Dafür bauen wir z. B. jetzt den Harburger Busbahnhof und den daneben gelegenen „Doppelknoten“, zwei Kreuzungen von drei Hauptverkehrsstraßen, um. So werden dort 40 Prozent mehr Busse fahren können. Dazu bauen wir am Harburger Bahnhof Hamburgs größtes Fahrradparkhaus und haben das Park+Ride um 200 auf 1100 Plätze erhöht. Der On-Demand-Shuttledienst „ioki“ wird zudem als Zubringer zur S-Bahn ab Dezember in den Süden kommen.
Es gibt Forderungen nach einem S-Bahn-Elbtunnel nach Altona. Wie stehen Sie dazu?
Das untersucht der Bund gerade. Wenn der grünes Licht gibt und zahlen würde, wäre das ein interessantes Thema. Bevor ich im Westen aber einen neuen Tunnel grabe, wird die Bahn sich erst mit den sanierungsbedürftigen Elbbrücken beschäftigen müssen. Es ist zwingend, hier zuerst anzusetzen. Wenn, käme der S-Bahn-Ring erst danach. Deshalb bleibt die S-Bahn-Ertüchtigung der entscheidende „Gamechanger“ für den Süden in diesem Jahrzehnt. 50 Prozent der Harburger Haushalte haben kein Auto, die S-Bahn ist für sie das zentrale Verkehrsmittel.