Hamburgs Tauben-Desaster: Der drastische Appell der Tierschützer
An Hamburgs Bahnhöfen sind sie allgegenwärtig, geiern auf Essen, vermehren sich im Handumdrehen und verteilen überall ihren Kot: die Stadttauben. Was aber, wenn sie sich verletzen oder Jungvögel hilflos auf dem Boden liegen? Die Stadt sieht sich nicht in der Verantwortung. Die Arbeit bleibt daher an Tierheimen und privaten Vereinen hängen, die inzwischen überfüllt sind. Sie fordern ein radikales Umdenken, damit am Ende alle profitieren: die Tauben – aber auch die Hamburger.
- Deutsch (Deutschland)
MOPO+ Abo
für 1,00 €Jetzt sichern!Neukunden lesen die ersten 4 Wochen für nur 1 €!Zugriff auf alle M+-ArtikelWeniger Werbung
Danach nur 7,90 € alle 4 Wochen //
online kündbarMOPO+ Jahresabo
für 79,00 €Jetzt sichern!Spare 23 Prozent!Zugriff auf alle M+-ArtikelWeniger Werbung
Danach zum gleichen Preis lesen //
online kündbar
An Hamburgs Bahnhöfen sind sie allgegenwärtig, suche nach Essen, vermehren sich im Handumdrehen und verteilen überall ihren Kot: die Stadttauben. Was aber, wenn sie sich verletzen oder Jungvögel hilflos auf dem Boden liegen? Die Stadt sieht sich nicht in der Verantwortung. Die Arbeit bleibt daher an Tierheimen und privaten Vereinen hängen, die inzwischen überfüllt sind. Sie fordern ein radikales Umdenken, damit am Ende alle profitieren: die Tauben – aber auch die Hamburger.
Christian Erdmann ist sauer. „Seit einem Dreivierteljahr kommen immer mehr Leute aus Hamburg mit verletzten Tauben zu uns, weil sie vom Tierheim weitergeschickt werden“, erzählt der Leiter der Wildtierstation bei Elmshorn (Kreis Pinneberg). Um die zehn bis 15 Vögel seien das an an jedem Wochenende, Tendenz steigend.
Immer mehr Tauben aus Hamburg in der Wildttierstadtion
Auch der Verein der Hamburger Stadttauben kann sich vor kranken und jungen Tauben kaum noch retten. „Unsere Kapazitäten sind rundum erschöpft“, sagt Vorstandsmitglied Dirk Schattner. Ebenso wie Erdmann ist er mit seiner Geduld am Ende. „Bei uns gehen pro Tag bis zu 100 Notrufe ein, die verletzte, verunfallte oder kranke Tiere anzeigen. Diese angemessen zu versorgen wäre eigentlich Aufgabe der Stadt! Diese Aufgabe wird jedoch ohne Unterstützung dem Ehrenamt aufgehalst und damit einigen wenigen Privatpersonen.“
Erdmann und Schattner betonen, dass die Taube eben kein Wildtier sei – sondern ein verwahrlostes Haustier und damit auf den Menschen angewiesen. „Sie fressen die Reste, die sie vor allem an Bahnhöfen finden, um nicht zu verhungern. Aufgrund dieser schlechten Ernährung verteilen sie ihren Kot überall“, so Schattner.
Tierschützer betonen: Die Stadttaube ist kein Wildtier
Über mehrere tausend Jahre überbrachten Tauben Briefe und dienten als Eier- und Fleischlieferant. Dann wurden sie nicht mehr gebraucht und kurzerhand in die Natur verfrachtet. Doch obwohl die Bedingungen für die Tiere schwierig sind, vermehren sie sich immer weiter. Das liege am Brutzwang, erklärt Schattner, sie seien dafür gezüchtet worden, mindestens acht Mal im Jahr Eier zu legen.
Das könnte Sie auch interessieren: Ekel-Hauptbahnhof: Wie Hamburg die Tauben-Plage in den Griff kriegen will
Ein Gutachten des Berliner Tierschutzbeauftragten kam deswegen 2021 zu dem Schluss: „Es existieren rechtliche Pflichten der Kommune zur Lösung der dauerhaften, menschengemachten tierschutzrechtlichen Probleme sogenannter Stadttauben (…).“ Die in Hamburg für Tierschutz zuständige Justizbehörde erkennt dieses Gutachten allerdings bis heute nicht an: Wie Sprecher Dennis Sulzmann bestätigte, werden weiterhin nur die Tauben als Fundtiere angesehen, die auch einen festen Halter haben.
„Dass Hamburg Stadttauben nicht als verwilderte Haustiere anerkennt, hat nur den Grund, dass sie sonst für sie verantwortlich wären“, ärgert sich Wildtierstations-Leiter Erdmann. „So bleibt es an den Tierheimen hängen.“
Hamburger Tierheim bekommt für Tauben keine Unterstützung
Das vom Hamburger Tierschutzverein geführte Tierheim in der Süderstraße bekommt weder für die Pflege noch für die medizinische Versorgung der Wild- und Stadttauben finanzielle Unterstützung von der Stadt. Laut Sprecher Sven Fraaß habe es 2023 zwar noch keinen Aufnahmestopp für verletzte Tauben gegeben, dafür aber öfter für Jungtauben, die durch Vergrämungen wie Taubenabwehrnetze hilflos gefunden wurden. 1000 Tauben seien alleine dieses Jahr dort aufgenommen worden, 2022 waren es 2100 gewesen.
„Das zahlreiche und ausgeprägte Leid der Stadttauben wäre gar nicht vorhanden, wenn es mehrere Taubenschläge in der Stadt gäbe“, sagt Fraaß. Erdmann und Schattner stimmen ihm zu. Gerade einmal zwei davon gibt es in Hamburg bisher: einen am Hauptbahnhof und einen in Mümmelmannsberg. Der Bezirk Altona sucht zwar nach Standorten rund um den Altonaer Bahnhof – aus den Gesprächen gibt es allerdings seit Monaten nichts Neues.
Tierschützer fordern: Es braucht mehr Taubenschläge in Hamburg
„Hamburg ist stets sehr zögerlich, wenn es darum geht, etwas lieber gut nachzumachen, anstatt es schlecht selbst zu tun oder gar nicht“, bilanziert Fraaß zynisch und bezieht sich auf Augsburg, wo die Taubenschläge seit Jahren eine Erfolgsgeschichte schreiben. Immerhin am Hauptbahnhof scheint es bald etwas konkreter zu werden: Der Bezirk Mitte will dort bald zusätzliche Taubenschläge errichten. Gesäubert werden könnten diese laut Sprecherin Sorina Weiland von der Stadtreinigung.
Den Tierschützern dauert das alles zu lange. „Die Stadt Hamburg lässt uns mit der Problematik der Stadttauben und der Wildtiere vollkommen alleine“, sagt Erdmann. „Eigentlich müssten sich die Tierschützer mal zusammentun und alle Tiere ins Rathaus schicken. Aber das geht ja leider nicht.“