Tempo 30 in ganz Hamburg? „Das wäre für Autofahrer ein deutliches Signal“
Nicht umsetzbar, weil angeblich Schilder fehlen: Bundesverkehrsminister Volker Wissing lehnte ein Tempolimit für deutsche Straßen im MOPO-Interview jüngst ab. Wie sieht es aber mit einer generellen Geschwindigkeitsdrosselung zumindest in unseren Städten aus? Brauchen wir Tempo 30 für ganz Hamburg? Die MOPO fragte einen Experten.
Die Vorteile liegen auf der Hand: Langsamer zu fahren bedeutet weniger Lärm, weniger Luftschadstoffe, weniger Treibhausgasemissionen und mehr Verkehrssicherheit. Warum machen wir das dann nicht einfach: Tempo 30 in ganz Hamburg? Jörg Knieling, Professor für Stadtplanung an der HafenCity-Universität, im MOPO-Interview erklärt die Hintergründe.
Tempo 30 und weniger Wohnungen – das stand in der ersten „klimapolitischen Empfehlung“ des Hamburger Klimabeirats an den Senat. Abgeleitet hatten die 15 Expert:innen des Gremiums die Ziele aus dem Koalitionsvertrag der neuen Ampel-Bundesregierung. Die Empfehlungen waren auf großen Widerstand gestoßen, das sei nicht umsetzbar. Jörg Knieling, Professor für Stadtplanung an der HafenCity-Universität und stellvertretender Vorsitzender des Klimabeirats, erklärt im MOPO-Interview, wie das möglich sein kann – und warum er Tempo 30 in Hamburg schon in ein paar Jahren für realistisch hält.
MOPO: Herr Knieling, warum brauchen wir mehr Tempo 30 in Hamburg?
Knieling: Mehr Tempo 30 bedeutet unmittelbar weniger Lärm, weniger Luftschadstoffe, weniger Treibhausgasemissionen und mehr Verkehrssicherheit. Es ist also eine einfache Maßnahme, die Lebensqualität in Hamburg zu verbessern und die Klimaziele der Stadt zu erreichen.
Also sollte ganz Hamburg zur 30er Zone werden?
Nein. Aber wir brauchen eine Umdefinition der „Regelgeschwindigkeit“. Derzeit liegt sie bei 50 Kilometern pro Stunde und für besondere Gefahrenpunkte kann Tempo 30 ausgewiesen werden. Das muss sich umdrehen. Tempo 30 muss zur Regelgeschwindigkeit werden und Hauptstraßen, auf denen hauptsächlich Autos unterwegs sind, können immer für 50 Kilometern pro Stunde ausgeschildert werden.
Für wie realistisch halten Sie es, dass das in Hamburg passiert?
Damit Städte und Kommunen das für sich beschließen können, muss das Bundesverkehrsministerium zunächst den gesetzlichen Rahmen dafür schaffen, so wie im Koalitionsvertrag angekündigt. Ist das gegeben, dann würde ich die Prognose wagen, dass das in Hamburg auch zeitnah in den nächsten Jahren umgesetzt wird.
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Eine solch drastische Veränderung halten viele für sehr unrealistisch…
Das Gleiche habe ich vor einigen Jahren noch gehört, als es um das StadtRad-System, Lastenrad-Abstellsysteme oder breitere Radwege ging. Und heute ist das bereits Realität. Die Mobilität in der Stadt ist einer ständigen dynamischen Veränderung. Bei Geschwindigkeitsbegrenzungen ist es doch vor allem ein ideologischer Streit. Es geht um die Frage: Darf man Autofahren einschränken? Großflächiges Tempo 30 würde ein deutliches Signal senden. Das Auto sollte ein Partner im täglichen Stadtverkehr werden, den man akzeptieren kann.
Und das ist es jetzt noch nicht?
In den vergangenen Jahrzehnten wurden innerhalb der Mobilität kaum Anstrengungen unternommen, die Emissionen einzusparen. Vor Corona sind die CO2-Emissionen im Verkehrssektor in Hamburg sogar gestiegen. Hamburg selbst wurde nach dem Zweiten Weltkrieg autogerecht wiederaufgebaut, das war das Leitbild der damaligen Stadtplanung. Das Auto galt als Modernisierungsschub. Deshalb gibt es heute viele Straßen, die den Charakter einer Stadtautobahn haben, beziehungsweise große Verkehrsschneisen, die das Leben in der Stadt sehr beeinträchtigen.

Was muss sich im Hamburger Verkehr noch tun?
Ein besonderes Augenmerk liegt auf dem ÖPNV. Bahn und Bus sollen ja das Pendeln in die Stadt mit dem Auto ersetzen. Dazu brauchen wir bessere Park+Ride Systeme, eine konsequente Parkraumbewirtschaftung und gezieltere Verbindungen ins Hamburger Umland. Auch das Fahrradfahren muss weiterhin besonders gefördert werden. Hier hinkt Hamburg trotz aktuell großer Anstrengungen immer noch hinter anderen Städten her. Und auch der bisher sehr vernachlässigte Fußverkehr bedarf größerer Aufmerksamkeit. Die Stadtplanung muss vermehrt Wegeverbindungen in den Quartieren schaffen, die eben nicht in erster Linie autofreundlich sind, sondern zum Radfahren und Zufußgehen einladen.
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Der Klimabeirat hat ja auch eine Reduzierung des Hamburger Bauziels angestrebt…
Nein. Wir fordern aber, zu überprüfen, ob jährlich 10.000 neu genehmigte Wohnungen in Zukunft noch nötig sein werden. Derzeit hält der Senat für die kommenden Jahre an diesem Ziel fest. Es gibt aber eine Reihe von Hinweisen, dass das in einigen Jahren nicht mehr erforderlich ist. Deshalb müssen wir bereits jetzt Vorsorge treffen und aufpassen, dass wir dann nicht am Bedarf vorbeibauen und unnötig Ressourcen und wertvolle Flächen verschwenden.
Was könnte sonst passieren?
Grünflächen und Freiraum sind für die Stadtentwicklung das wertvollste Gut der Zukunft. Jede Fläche, die wir heute zubauen, können wir in den nächsten Jahrzehnten nicht mehr anders nutzen. Grünflächen helfen, die Stadt vor Hochwasser und Starkregen zu schützen. Auch gegen Hitze spielen sie eine große Rolle. Bei zunehmend heißen Sommern sind wir über jede Grünfläche froh, die zur Kühlung beiträgt.