„Stotter-Harry“: Der Mann, der seine eigene Anwältin auf dem Gewissen hat
„Stotter-Harry“ hieß eigentlich Bernd E. Doch auf dem Kiez war er Ende er 1960er Jahre nur unter seinem schrägen Spitznamen bekannt. Wer sich aber über seine Aussprache lustig machte, hatte schnell massive Probleme. Der Kellner war ein gefürchteter Schläger, der keine Gnade kannte – und sogar seine Anwältin attackierte.
Heutzutage wird die angeblich „gute alte Zeit“ auf St. Pauli gerne glorifiziert: Leute wie der Kiez-Pate Wilfrid Schulz und seine deutschen Spießgesellen hätten zwar mit eiserner Faust regiert, heißt es dann, aber diese legendären Gestalten hätten in den 60er und 70er Jahren eben auch dafür gesorgt, dass auf dem Kiez alles einigermaßen fair zuging und nicht geschossen oder gestochen wurde.
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„Stotter-Harry“ hieß eigentlich Bernd E. Doch auf dem Kiez war er Ende er 1960er Jahre nur unter seinem schrägen Spitznamen bekannt. Wer sich aber über seine Aussprache lustig machte, hatte schnell massive Probleme. Der Kellner war ein gefürchteter Schläger, der keine Gnade kannte – und sogar seine Anwältin attackierte.
Heutzutage wird die angeblich „gute alte Zeit“ auf St. Pauli gerne glorifiziert: Leute wie der Kiez-Pate Wilfrid Schulz und seine deutschen Spießgesellen hätten zwar mit eiserner Faust regiert, heißt es dann, aber diese legendären Gestalten hätten in den 60er und 70er Jahren eben auch dafür gesorgt, dass auf dem Kiez alles einigermaßen fair zuging und nicht geschossen oder gestochen wurde.
Hamburg-St. Pauli: „Stotter-Harry“ kannte keine Gnade
Doch Figuren wie „Stotter-Harry“ waren damals nicht weniger brutal als albanische oder türkische Gangster, die in den 80er und 90er Jahren das Sagen auf St. Pauli hatten.
Das zeigt der Fall Sergio di C.: Am 6. Dezember 1970 ging der 31-Jährige zusammen mit dem Taxifahrer Rolf A. (38) frühmorgens um 5.30 Uhr über die Friedrichstraße. Vor dem Lokal „King George“ stürzte sich „Stotter-Harry“ mit fünf Komplizen auf sie.
Während zwei Männer den Taxifahrer festhielten, prügelten die anderen Sergio di C. zu Boden und traten mit Stiefeln immer wieder auf den Kopf ihres Opfers. Der Überfall dauerte kaum zwei Minuten, dann flüchteten die Schläger. Der Taxifahrer holte sein Auto und raste mit dem schwerverletzten Italiener ins Krankenhaus nach Altona. Dort erlag der 31-Jährige in der Notaufnahme seinen schweren Kopfverletzungen.
Die Mordkommission übernahm den Fall, doch der Taxifahrer verweigerte die Aussage – aus Angst. Er sagte: „Auch wenn ich in Beugehaft komme, aus mir kriegt man kein Wort heraus.“
Hamburg: „Terrorbanden“ bekriegten sich auf St. Pauli
Warum diese Furcht? Aus Polizeikreisen erfuhr der damalige MOPO-Polizeireporter Volker Bredenberg, dass sich offenbar „Terrorbanden“ auf dem Kiez bekriegen würden. Es würde um Prostituierte, Beteiligungen an Lokalen und Hehlerei gehen. Die Ermittlungen in diesem Milieu seien extrem schwierig, hieß es damals – eben weil niemand Aussagen mache. Immerhin bekamen die Beamten heraus, dass Sergio di C., das Opfer, wohl auch ein „St. Pauli-Löwe“ gewesen sei, der sich dann aber offenbar mit den falschen Leuten angelegt hatte.
Der Autor
Thomas Hirschbiegel (hier am Tatort Friedrichstraße) ist seit 1977 bei der MOPO. Der 62-Jährige war fast 40 Jahre Polizeireporter, schreibt heute als Chefreporter auch über Stadtentwicklung oder „Lost Places“. Er sagt: „Dies ist ein Fall aus dem MOPO-Archiv. Polizeireporter war damals Volker Bredenberg, Heinz Fischer war Gerichtsreporter. Ich hab ,Brede‘ und ,Heifi‘ als junger Reporter erlebt und viel von ihnen gelernt. So brachte Fischer mir bei, wie man unbemerkt während einer Gerichtsverhandlung fotografiert: Kamera unter einer Zeitung verstecken und nur auslösen, wenn eine gewisse Unruhe im Saal herrscht.“
Nach langwierigen Ermittlungen gelang es im Februar 1971, „Stotter-Harry“ vor Gericht zu bringen. Zwar wurden auch hier die genauen Hintergründe des brutalen Überfalls an der Friedrichstraße nicht geklärt, aber der 30-Jährige wurde wegen Totschlags verurteilt.
Täter hat auch seine Anwältin auf dem Gewissen
Dann kam es zu einer weiteren Attacke des gefürchteten Schlägers – auf seine Anwältin Waltraud Samwer! Am 18. März 1976 schlug er die Frau in der „Sprechzelle“ des Untersuchungsgefängnisses am Holstenglacis brutal zusammen.
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Die als „herzensgute Frau, großartiger Mensch“ beschriebene Verteidigerin erholte sich nicht mehr von den schweren Folgen des Angriffs. Im April 1978 erlag sie im Alter von nur 53 Jahren einer Gehirnblutung.