Hamburger Sexual-Verbrecher ließ sich Gehirn „verschmoren” – und wurde zum Mörder
Vor mehr als 52 Jahren nahm er in Blankenese einen Jungen als Geisel, aber schon vorher hatte Bernd L. Kinder angegriffen. 1976 war der 1954 geborene psychisch kranke Mann der letzte Mensch, der in Hamburg durch einen Eingriff am Gehirn „geheilt“ werden sollte. Doch sein Trieb war stärker – 1979 wurde Bernd L. zum Mörder.
Vor mehr als 52 Jahren nahm er in Blankenese einen Jungen als Geisel, aber schon vorher hatte Bernd L. Kinder angegriffen. 1976 war der 1954 geborene psychisch kranke Mann der letzte Mensch, der in Hamburg durch einen Eingriff am Gehirn „geheilt“ werden sollte. Doch sein Trieb war stärker – 1979 wurde Bernd L. zum Mörder.
Bernd L. stammte aus Berlin. Er war ein intelligentes, aufgewecktes Kind. Doch schon als Jugendlicher griff er 1970/71 in Berlin Mädchen an. Als ihn die Polizei im Elternhaus vernehmen wollte, flüchtete der Mann nach Hannover. Dort kaufte er sich eine Luftpistole und fuhr mit dem Zug nach Hamburg. Sein Ziel war Blankenese. Bei einer Vernehmung sagte Bernd L. später: „Ich wollte dahin, weil dort so viele reiche Leute wohnen.“

Ziellos streifte Bernd L. dann am 22. Oktober 1971 durch die Straßen von Blankenese. An der Caprivistraße klingelte er mittags an der Tür einer Villa und fragte Traute L. (37) nach Arbeit. Die Frau eines Geschäftsmanns lehnte ab, brachte dem 17-Jährigen aber auf seine Bitte hin ein Glas Limonade. In diesem Moment schaute Jan L., der zehnjährige Sohn des Hauses, neugierig nach, wer da wohl an der Tür geklingelt hatte. Bernd L. packte den Jungen, hielt ihm die Pistole an den Kopf und schrie: „Ich will Geld, 3000 Mark!“
In Blankenese nahm er eine Geisel
Traute L. flüchtete durch die Hintertür, alarmierte die Polizei. Die Beamten umstellten die Villa und der Polizeidirektor Fischer übernahm die Verhandlungen mit dem Geiselnehmer.
Nach einer Stunde konnte er den 17-Jährigen überreden den Schüler freizulassen und stattdessen einen Polizisten als Geisel zu nehmen. Der 27-jährige Polizeimeister Bernd R. stellte sich zur Verfügung. Die Hände mit Handschellen gefesselt ging er zur Villa. Bernd L. ließ den Jungen tatsächlich frei und setzte nun dem Polizisten die Waffe an den Kopf. Einsatzleiter Fischer und ein Oberkommissar konnten sich in dieser Situation dem Täter nähern und ihn ablenken. Plötzlich schlug der Oberkommissar zu und die täuschend echt aussehende Waffe des Täters fiel zu Boden. Die Beamten überwältigten den 17-Jährigen.

Im März 1972 stand Bernd L. vor dem Hamburger Jugendgericht. Wegen der Geiselnahme in Blankenese und Sexualverbrechen an Mädchen in Berlin wurde er zu vier Jahren Haft verurteilt. Bernd L. hatte innerhalb von drei Tagen in Berlin drei Mädchen in der S-Bahn überfallen und die acht- bis elfjährigen Kinder zu sexuellen Handlungen gezwungen. Er drohte: „Wenn du schreist, fliegst du aus dem Zug.“
Ein Psychiater sagte im Prozess: „Die Aussichten für die Entwicklung des Jungen sind bedenklich.“ Die Eltern des Täters saßen im Zuschauerraum und weinten.
Umstrittener Eingriff am UKE
Die Richter ordneten an, dass Bernd L. in der Haft eine „triebdämpfende und psychotherapeutische Behandlung“ erhält. Diese „Behandlung” gipfelte schließlich in einem umstrittenen Eingriff im UKE. Bernd L. hatte eingewilligt, weil er selbst Angst hatte, „in Ekstase ein Kind zu töten“. So führte ein Neurochirurg im Oktober 1976 eine Elektrosonde ins Gehirn des Täters ein und schmorte einen etwa erbsengroßen Teil des Hirnbereichs weg, in dem er das Steuerungszentrum des Sexualverhaltens vermutete. Diese Methode der „Psychochirurgie“ war schon damals umstritten und von Ärzten mit einem „Schuss ins Blaue“ verglichen worden. 1977 wurde von der Hamburger Justiz angeordnet, keine Straftäter mehr in dieser Form zu behandeln.

Der Autor
Thomas Hirschbiegel (hier am Tatort Caprivistraße) ist seit 1977 bei der MOPO. Der 63-Jährige war fast 40 Jahre Polizeireporter, schreibt heute als Chefreporter auch über Stadtentwicklung, Autos oder „Lost Places“. Was für ein Fall! Da lässt sich ein Sexualtäter im UKE von einem Neurochirurgie-Professor im Gehirn Teile „verschmoren“, wo die Ärzte das Sexualzentrum vermuten. „Stereotaktische Verhaltenschirurgie“ nannte man das damals. Unglaublich, was Mediziner früher im UKE so gemacht haben. Frankenstein lässt grüßen …
Nah dem Eingriff kam Bernd L. in die Sondervollzugsanstalt Bergedorf. Er wurde „Freigänger“ und arbeitete tagsüber im Hafen. Anfang 1977 aber attackierte er in der S-Bahn einen Elfjährigen. Das Kind konnte flüchten. Bernd L. berichte im Gefängnis von dem Vorfall, sprach von einem „Fastrückfall“. Als Folge erhielt der damals 23-Jährige ein triebdämpfendes Medikament. Schließlich lernte Bernd L. eine junge Frau kennen und stellte den Antrag das Medikament abzusetzen. Justiz und Ärzte ließen ihn gewähren. Bernd L. wurde entlassen und zog in den Osdorfer Born. Seine Partnerin erwartete bald ein Kind von ihm.
Mord an Nachbarsjungen
Doch im Juli 1979 tötete Bernd L. dort im Haus Achtern Born 92 den zehnjährigen Nachbarsjungen Stefan L. Als Beamte den Täter wenig später verhafteten, sagte er nur: „Der Drang kam wieder über mich.“
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Im April 1980 stand Bernd L. in Hamburg vor Gericht und sagte umfassend aus: „Nach dem Eingriff war meine sexuelle Situation in normale Bahnen geraten.“ Der Angeklagte schilderte den Mord, sagte, er habe den Jungen „nur streicheln“ wollen, und dann habe der Zehnjährige sich gewehrt und geschrien. Bernd L. weiter: „Was kann ich dafür, dass ich so bin, wie ich bin?“
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Am 28. April 1980 erging das Urteil: 15 Jahre in der geschlossenen Psychiatrie wegen „Mordes in verminderter Schuldfähigkeit“.