Im Hamburger Gerichtssaal erstochen: Mord am Frauenmörder – aus Liebe?
Kaum war das Urteil gesprochen, hechtete ein Zuschauer über die Barriere und erstach den Angeklagten: Am 14. September 1994 wurde der Saal 309 des Strafjustizgebäudes am Sievekingplatz zum Schauplatz eines Tötungsverbrechens. Der Täter beteuerte später, er hätte aus Liebe gehandelt.
- Deutsch (Deutschland)
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Kaum war das Urteil gesprochen, hechtete ein Zuschauer über die Barriere und erstach den Angeklagten: Am 14. September 1994 wurde der Saal 309 des Strafjustizgebäudes am Sievekingplatz zum Schauplatz eines Tötungsverbrechens. Der Täter beteuerte später, er habe aus Liebe gehandelt.
Zuvor saß der 39-Jährige auf der Anklagebank, weil er am 7. Dezember 1993 Gabriele N. in ihrer Wohnung an der Schenkendorfstraße (Uhlenhorst) an ihrem 38. Geburtstag nach dem Geschlechtsverkehr mit einem Hemd erdrosselt hatte. Gerichtsmediziner stellten später bei der ehemaligen Schauspielerin einen Blutalkoholgehalt von 2,5 Promille fest. Die Frau war schwer alkoholabhängig und litt unter Depressionen.
Dieter D. war ihr Freund und er räumte die Tat ein, erklärte allerdings, hier läge eine „Tötung auf Verlangen vor“. So stand es jedenfalls in einem Brief, den der arbeitslose Dreher vier Tage nach der Tat beim Springer-Verlag in der Neustadt abgegeben hatte. Der Text begann so: „Werter Redakteur… Gabi wollte sterben. Sie bat mich, sie zu töten.“
Wenig später nahmen Polizisten Dieter D. fest.
Mord in Hamburg: Wut über mildes Urteil
Ab August 1994 stand der Mann im Strafjustizgebäude nun vor Richter Günter Heinsohn und seiner Kammer. Er beharrte zusammen mit seiner Anwältin Leonore Gottschalk-Solger auf der Version, dass das Opfer sterben wollte. Die Landgerichtskammer folgte dem nicht und verurteilte Dieter D. am 14. September 1994 wegen Totschlags zu drei Jahren und neun Monaten Haft.
Kaum setzte Richter Heinsohn zur Urteilsbegründung an, da sprang ein Zuschauer auf. Es war der 57-jährige Heinz M. (Name geändert), ein Freund des Opfers. Er stach mit einem großen Küchenmesser zweimal auf den sitzenden Angeklagten ein, traf Hand und Schulter. Das Opfer konnte noch aufstehen, blickte in den Zuschauerraum und brach dann zusammen. Heinz M. wurde von zwei Justizbeamten überwältigt. Dabei schrie er: „Lasst mich. Der hat meine Frau erwürgt.“ Notärzte konnten nichts mehr für das Opfer tun, der Angeklagte verstarb an inneren Blutungen.
Der Autor
Thomas Hirschbiegel (hier am Tatort Sievekingplatz) ist seit 1977 bei der MOPO. Der 63-Jährige war 40 Jahre Polizeireporter, schreibt heute als Chefreporter auch über Stadtentwicklung, Autos oder „Lost Places“. An den Mord im Gerichtssaal erinnert er sich: „Damals gab es in Hamburger Gerichten kaum Sicherheitsmaßnahmen. Bei Prozessen, bei denen Angeklagte in Haft saßen, wurden diese über einen Tunnel aus dem Untersuchungsgefängnis in den Gerichtsaal geführt. Mit einer Attacke durch Zuschauer rechnete niemand.“
1995 stand Heinz M. dann selbst vor Gericht, beteuerte: „Ich habe vor Gott rechtens gehandelt.“ Der arbeitslose Programmierer behauptete, Gabi N. sei seine „große Liebe“ gewesen. Er sei ihr Vater, Liebhaber und Ehemann in einer Person gewesen.
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Weil der psychiatrische Sachverständige eine „verminderte Schuldfähigkeit“ erkannte, wurde Heinz M. wegen Mordes nicht zu lebenslanger Haft, sondern zu elf Jahren Gefängnis verurteilt.