Bombenanschlag auf Eppendorfer Kaufmann – es war bereits der zweite
Die Explosion war in ganz Eppendorf zu hören. Unbekannte hatten am 3. Juni 1957 im Mercedes des Waffenhändlers Otto Schlüter am Loogestieg 10 eine Bombe deponiert. Die Mutter des Kaufmanns starb. Es war bereits der zweite Sprengstoffanschlag auf Schlüter. Wer trachtete dem 37-Jährigen nach dem Leben?
Die Explosion war in ganz Eppendorf zu hören. Unbekannte hatten am 3. Juni 1957 im Mercedes des Waffenhändlers Otto Schlüter am Loogestieg 10 eine Bombe deponiert. Die Mutter des Kaufmanns starb. Es war bereits der zweite Sprengstoffanschlag auf Schlüter. Wer trachtete dem 37-Jährigen nach dem Leben?
Der Rostocker Schlüter stammte aus einer Familie von Waffenschmieden und Büchsenmachern. Folgerichtig erlernte er vor dem Zweiten Weltkrieg das Büchsenmacher-Handwerk in den thüringischen Orten Suhl und Zella-Mehlis. Nach 1945 ging er zurück nach Norddeutschland und gründete in Mölln die „Hubertus-Metallwerke“. 30 Mitarbeiter produzierten hier Luftgewehre, Handschellen oder Armbrüste.
Nach der Insolvenz der Firma 1954 gründete Schlüter an der Osterbekstraße in Barmbek die „Otto Schlüter GmbH“. Am 28. September 1956 explodierte hier eine Fünf-Kilo-Bombe. Schlüters Geschäftspartner Wilhelm Lorenzen (62) starb, vier Mitarbeiter und Schlüters Mutter erlitten, ebenso wie Otto Schlüter selbst, Verletzungen. Die Ermittlungen ergaben, dass die Täter eine Bombe mit einem Langzeit-Säurezünder verwendet hatten. Offenbar waren hier Profis am Werk.
Sprengsatz explodierte im Mercedes
Rund acht Monate später explodiert dann die Bombe vor Schlüters Wohnhaus am Loogestieg. Am Abend vor dem Anschlag hatte Otto Schlüter seinen schwarzen Mercedes 220 vor dem Haus geparkt. In der Nacht müssen die Täter dann einen Sprengsatz unter dem Beifahrersitz des Wagens angebracht haben.
Montagmorgen, kurz nach 8 Uhr, setzte sich Schlüter ans Steuer des Mercedes. Seine Mutter nahm auf dem Beifahrersitz Platz. Schlüters sechsjährige Tochter Ingeborg reichte der alten Dame noch eine Tasche durch das Fenster ins Auto. Dann startete Schlüter den Motor und fuhr einige Meter an. In diesem Moment detonierte die Bombe. Schlüters Mutter starb. Otto Schlüter überlebte auch diesen zweiten Anschlag leicht verletzt. Seine kleine Tochter erlitt einen schweren Schock.

Auch diesmal waren Bomben-Experten am Werk gewesen. Der Sprengsatz enthielt Dutzende Stahlkugeln, die in umliegende Wohnungen einschlugen.
Die Hamburger Kripo intensivierte die Ermittlungen und stieß auf Waffengeschäfte Schlüters mit nordafrikanischen Aufständischen. Schlüter hatte einen Exklusivvertrag mit den spanischen Waffenwerken „Astra A.S.“ und lieferte deren leistungsstarken Pistolen über Mittelsmänner an algerische Aufständische der FLN. Diese „Nationale Befreiungsfront Algerien“ führte jahrelang gegen die französische Kolonialmacht einen Guerillakrieg.
Opfer war ein Waffenhändler
Später soll Schlüter den Aufständischen auch Sprengstoff, Maschinengewehre und fast 3000 Karabiner geliefert haben. Das blieb dem französischen Geheimdienst nicht verborgen.
Am 2. Oktober 1958 deponierten mutmaßlich französische Agenten der Spezialeinheit „Main Rouge“ (Rote Hand) zwei große Sprengladungen außen am Frachter „Atlas“. Diese explodierten im Hamburger Kaiser-Wilhelm-Hafen und beschädigten das Schiff schwer. An Bord waren vermutlich Waffen für Nordafrika.

Der Autor
Thomas Hirschbiegel (hier am Tatort Loogestieg) ist seit 1977 bei der MOPO. Der 63-Jährige war fast 40 Jahre Polizeireporter, schreibt heute als Chefreporter auch über Stadtentwicklung, Autos oder „Lost Places“. Zu dem Anschlag 1957 schreibt er: „Über so alte Verbrechen Informationen zu erhalten, ist extrem schwierig. Doch die MOPO verfügt noch über ein „Papier-Archiv“. So wurde ich in einem dicken Band gebundener MOPO-Ausgaben aus April-Juni 1957 fündig. Die alten Zeitungen sind ein Geschenk für jeden Redakteur und enthalten Material, das es im Internet nicht gibt.“
Nun bekam es Schlüter dann doch mit der Angst zu tun und zog sich vorerst aus dem gefährlichen Waffenhandel zurück. Sein Geschäftspartner Georg Puchert tat dies nicht und starb am 3. März 1959 in Frankfurt durch einen Sprengsatz.
Trotz vieler Hinweise und Spuren wurden die Ermittlungen zu den Hamburger Anschlägen Ende 1959 eingestellt.
Französische Agenten waren die Täter
1996 räumte der französische Geheimdienstkoordinator Constantin Melnik in seinen Memoiren ein, dass französische Agenten die Täter waren. Melnik sagte: „Es gibt Situationen, da müssen Feinde des Staates liquidiert werden. Gestern wie heute.“ Mindestens sechs Menschen wurden damals in Europa „liquidiert“. Melnik: „Der Befehl lautete, das Unterstützernetz der FLN zu eliminieren.“ Pikant: Der französische Geheimdienst pflegte damals enge Kontakte zum Bundesnachrichtendienst (BND) und bekam von dessen Chef General Reinhard Gehlen viele Hinweise auf spätere Anschlagsopfer und Waffenlieferungen in Deutschland. Melnik: „Dank BND konnte präzise operiert werden.“
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Und der Hamburger Waffenhändler Otto Schlüter, der zwei Bombenanschläge wie durch ein Wunder überlebte hatte? Der hatte sich nur einige Jahre zurückgezogen, soll aber schon 1961 wieder Waffen für den Bürgerkrieg in Angola beschafft haben. Was aus dem umtriebigen Geschäftsmann geworden ist, ist unbekannt.