Synagogen-Ruine verfällt immer weiter – das sagt die Stadt dazu
Offene Fenster, löchrige Mauern, bröckelnder Fugenputz: Die Ruine der ehemaligen Synagoge an der Poolstraße droht zu verfallen. Die Stadt hat nach dem Kauf der Tempel-Reste aus Privatbesitz versprochen, Sicherungsmaßnahmen einzuleiten. Doch passiert ist bisher fast nichts. Experten warnen: Hier droht der Untergang eines Kulturguts von „unschätzbarem Wert“!
Offene Fenster, löchrige Mauern, bröckelnder Fugenputz: Die Ruine der ehemaligen Synagoge an der Poolstraße droht zu verfallen. Die Stadt hat nach dem Kauf der Tempel-Reste aus Privatbesitz versprochen, Sicherungsmaßnahmen einzuleiten. Doch passiert ist bisher fast nichts. Experten warnen: Hier droht der Untergang eines Kulturguts von „unschätzbarem Wert“!
Am vergangenen Sonntag hat der Verein Tempelforum, zu dem auch Architekten, Denkmalpfleger und Restauratoren gehören, das Gebäude unter die Lupe genommen. Dabei wurde nicht nur festgestellt, dass sich die Ruine in einem höchst bedenklichen Zustand befindet, sondern auch, dass nach wie vor abgesehen von einem Not-Dach keine Sicherungsmaßnahmen eingeleitet wurden, um den endgültigen Einsturz der 1844 eingeweihten Synagoge – oder das, was von ihr übrig ist – zu verhindern.
Synagoge Poolstraße: Durch die offenen Fenster dringt Wasser ein
„Die Fensteröffnungen müssen ganz dringend verschlossen werden, um das Eindringen von Wasser zu verhindern“, sagt Architektin Alexandra Merten. Die Fensterrahmen stünden kurz davor, herauszufallen. Im Innenraum seien bereits zwei Geschosse teilweise eingestürzt, weil die Holzdecken durchgerottet sind. Durch die Löcher im Gemäuer würden Tauben eindringen, die die ehemaligen Gebetsräume zu ihrem Nistplatz machen.

Ob die Holzbalken von Schädlingen, von Schimmel oder gar Schwamm befallen seien, sei unklar. Dafür müsse dringend eine bauphysikalische Untersuchung vorgenommen werden. Um Standsicherheit herzustellen, müsste das Tragwerk stabilisiert werden. Außerdem müssten die originalen Einbauten wie alte Türen, Fensterrahmen, Bänke und anderes eventuelles Mobiliar ausgebaut und zwischengelagert werden, um es zu sichern. Wo sich bis 1931 liberale Juden zum Gebet trafen, herrscht nun Einsturzgefahr!
„Die originalen Bauteile sind von unschätzbarem Wert“, sagt Alexandra Merten. Das habe auch mit der Bedeutung der Synagoge zu tun. Michael Meyer, Professor für Jüdische Geschichte am Hebrew Union College in Cincinnati (USA), hatte Ende November bei einer Veranstaltung in der Patriotischen Gesellschaft darauf hingewiesen, dass die Poolstraße weltweit als Wiege des liberalen Judentums gilt. Der Gedanke der Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern habe hier in der Hamburger Neustadt seinen Ausgangspunkt gefunden und einen Prozess angestoßen, der es möglich machte, dass Frauen heute Rabbinerinnen werden können.
Stadt Hamburg tut sich schwer mit dem Erbe der Liberalen Jüdischen Gemeinde
Die Stadt Hamburg tut sich heute aus unerklärlichen Gründen schwer mit diesem historischen Erbe. Das Verhältnis zur Liberalen Jüdischen Gemeinde, Israelitischer Tempelverein, ist kompliziert. Die Kommunikation zwischen der zuständigen Wissenschaftsbehörde und der Gemeinde äußerst zurückhaltend. Der Senat hält sich lieber an die vornehmlich orthodox geprägte Einheitsgemeinde und schmückt sich mit dem Prestigeprojekt Bornplatzsynagoge.

Dennoch versprach die Leiterin des Denkmalschutzsamtes Anna Joss auf der Veranstaltung im November eine zeitnahe Ausschreibung zur Untersuchung und Sicherung der Synagogen-Reste sowie einen langfristigen Erhalt zur Weiterentwicklung des Objekts. Ob das auch die Wiederauferstehung einer liberalen Synagoge sein könnte, wie sie der Israelitische Tempelverein, der bisher keine Gebetsräume hat, schon lange fordert, blieb offen.
Tempelforum und Denkmalverein fordern sofortige Maßnahmen
Ein bisschen ist wohl seitdem dennoch geschehen: Die steg Hamburg mbH habe inzwischen „Vergabeverfahren für Tragwerksplanung, Restaurierung und Architektenleistungen durchgeführt“, heißt es in einem Statement der Finanzbehörde gegenüber der MOPO. „Die Arbeiten und Erprobungen des Materials wurden in diesem Monat aufgenommen.“ Nach derzeitigem Planungsstand könnten die Sicherungsmaßnahmen bis Juni 2023 durchgeführt werden. Erst danach könne man über weitere Schritte sprechen.
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Dem Verein Tempelforum dauert das alles viel zu lange. Dass vor dem Wintereinbruch nicht einmal Feuchtigkeitsbarrieren geschaffen worden sind, bezeichnet eine Restauratorin als „fahrlässig“. Eine Auftragsvergabe müsse nicht ein halbes Jahr dauern, sondern sei auch binnen zwei Monaten möglich. Das Zögern könne nun schwere Folgen haben: Schon ein Frühjahrssturm könne einen verheerenden Schaden auslösen. „Noch einen Winter übersteht die Ruine nicht ohne eine weitere erhebliche Verschlechterung der Bausubstanz“, sagt auch Alexandra Mertens.
Auch der Denkmalverein Hamburg sagt: „Der Denkmalverein mahnt seit vielen Jahren den besorgniserregenden Zustand des Tempels an. Da insbesondere der Apsisbereich täglich weiter verfällt, sind die notwendigen Sicherungsmaßnahmen mehr als überfällig“, so die Vorsitzende Kristina Sassenscheidt. „Anschließend sollte zeitnah ein Instandhaltungs-, Restaurierungs- und Nutzungskonzept entwickelt werden, das der hohen Bedeutung des Ortes gerecht wird.“