„Ich brauche meine Dosis. Bekomme ich sie nicht, muss ich den Einsatz erhöhen“
Die Hoffnung auf den großen Gewinn zieht sie immer wieder zurück in Spielhallen: Auch in Hamburg sind viele Menschen süchtig nach Glücksspiel, verwetten ihr Geld und drohen so auch ihre Familien mit in den finanziellen Ruin zu reißen. Die Zahl der Süchtigen ist viel größer als lange angenommen. Die MOPO hat mit einem Ex-Spieler und einem Suchtexperten über das Tückische an dieser Sucht gesprochen – und darüber, wie es sich anfühlt, die Kontrolle zu verlieren.
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Die Hoffnung auf den großen Gewinn zieht sie immer wieder zurück in Spielhallen: Auch in Hamburg sind viele Menschen süchtig nach Glücksspiel, verwetten ihr Geld, reißen ihre Familien in den finanziellen Ruin. Die Zahl der Süchtigen: Viel größer als lange angenommen. Die MOPO sprach mit einem Ex-Spieler und einem Suchtexperten über das Tückische an dieser Sucht – und wie es sich anfühlt, die Kontrolle zu verlieren.
„Spielen gehörte immer zu meinem Leben. Ich hätte nie gedacht, dass da ein Problem draus werden könnte“, sagt Thomas Müller. Müller heißt eigentlich anders. Doch der Ex-Spieler spricht nicht gern öffentlich über die Sucht. Vor 15 Jahren etwa fing es an, erinnert er sich. Die Situation im Job änderte sich, Müller ging immer häufiger in Spielhallen. Er suchte Ablenkung, Entspannung, Belohnung.
Glücksspielsucht: Das sind die Merkmale
„Es wird schleichend immer mehr, irgendwann ist man in der Spirale: Ich brauche meine Dosis und wenn ich sie nicht bekomme, muss ich den Einsatz erhöhen“, beschreibt er das Gefühl. Bis es entgleitet.
Kontrollverlust. Wie bei jeder Sucht fängt hier die Abhängigkeit an. „Viele Spieler jagen Verlusten hinterher und versuchen sie auszugleichen“, erklärt der Suchtexperte Jens Kalke der MOPO. „Dafür leihen sie sich Geld, schämen sich, verheimlichen, werden einsam, stehlen vielleicht sogar – und so geht es immer weiter.“
Besonders gefährlich sind Glückspiel-Arten, die schnelle Resultate liefern. „Je schneller ein Spiel ist, desto leichter verliert man die Kontrolle“, erklärt Kalke. „Beim Lottospielen liegen Stunden zwischen dem Tipp und dem Ergebnis, bei einem Automaten aber nur wenige Sekunden.“ Deshalb geben Betroffene am häufigsten Spielautomaten als die Spielform an, mit der die Probleme anfingen.
„Das Problem war nicht das Spielen selbst, sondern das, was mich zum Spielen geführt hat“, sagt Müller heute. Für ihn war es die Suche nach Bestätigung. Für viele ist es auch die Hoffnung auf Geld.
Hamburger Experte: „Spielsucht sieht man nicht“
Glücksspieler sind unter Süchtigen am höchsten verschuldet, denn ihre Wahrnehmung verzerrt sich: Viele vergessen Verluste, sehen nur noch Gewinne. „Oder sie haben die Illusion der Kontrolle und sind der Überzeugung, mit vermeintlichem Expertenwissen oder einer Strategie den Zufall überwinden zu können“, sagt Kalke.
Besonders tückisch: Anders als bei Drogen oder Alkohol gibt es keine körperlichen Anzeichen. „Spielsucht sieht man nicht“, sagt Kalke. „So wird sie oft erst bemerkt, wenn der Betroffene schon tief drinsteckt.“ Dabei sei gerade frühe Intervention wichtig.
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Wie bei Thomas Müller. Seine Frau sieht die Gefahr – für ihren Mann, aber auch die, dass sie finanziell selbst mit ins Unglück gerissen werden könnte. „Sie hat gesagt: Lass dich heilen oder ich bin weg”, erinnert sich Müller. Ein Ultimatum, sechs Wochen Klinik – er schafft den Absprung. Er war noch nicht so „tief im Sumpf“ wie andere, sagt er. Seit zwölf Jahren besucht er nun eine Selbsthilfegruppe und ist so auch für andere da, die das Gleiche durchmachen.
Glücksspielsucht in Deutschland: 2,3 Prozent der Erwachsenen betroffen
Denn davon gibt es einige. Lange wurde die Zahl der Glücksspielsüchtigen in Deutschland mit vermeintlich rund 500.000 Betroffenen unterschätzt. Dem aktuellen Glücksspiel-Survey 2021 zufolge sind aber sogar 2,3 Prozent der Erwachsenen und damit rund drei Mal so viele betroffen.
Und das illegale Glücksspiel scheint zuzunehmen: Der Hamburger Polizeilichen Kriminalstatistik nach ist die erfasste Fallzahl von 33 in 2020 auf 105 Fälle in 2021 gestiegen – das mag auch den Corona-Maßnahmen geschuldet sein.
Seit rund eineinhalb Jahren gibt es den neuen Glücksspiel-Staatsvertrag, der die Spielsucht eindämmen soll. Durch ihn ist bundesweit aber auch erstmals Online-Glücksspiel erlaubt. Suchtpräventionsforscher Kalke sieht die Entwicklung mit Sorge. „Das Tabak- und Alkoholangebot wurden in den vergangenen Jahren durch Verfügbarkeits- und Werbeeinschränkungen immer mehr beschnitten – mit gutem Erfolg“, sagt er. „Beim Glücksspiel findet aber genau das Gegenteil statt: Früher gab es einen beschränkten Markt. Doch der wird jetzt immer weiter geöffnet.“
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Woran das liegt? „Hinter dem Glücksspiel steht eine milliardenschwere, starke Branche, die in der Politik auf wenig Gegenwehr stößt“, sagt Kalke. „Mit einem Glücksspielverbot gewinnt man keine Wahlen, generiert aber umgekehrt über die Steuergelder Einnahmen.“ Allein in Hamburg wurden so 2021 mehr als 81 Millionen Euro eingenommen.
Suchtprävention: Das fordert der Experte
Kalke ist für eine strikte Kontrolle. „Es braucht ein kontrolliertes Angebot, das möglichst wenig Schaden anrichtet”, sagt er. „Es sollte für Spielhallen zum Beispiel eine begrenzte Anzahl von Lizenzen geben.“ Das Angebot einfach aus der Illegalität zu holen, ist für ihn kein Allheilmittel: „Das ist eine Milchmädchenrechnung. Die Branche kann das nutzen, um neue Spieler zu akquirieren.“
Und Müller? Er bemerkt eine Veränderung in der Selbsthilfegruppe: „Früher waren wir klassische Automaten-Glücksspieler, heute kommen auch viele mit Problemen mit Börsen- oder Sportwetten oder Online-Spielen zu uns.“
Müller selbst spielt heute nicht mehr um Geld. Doch vergessen ist die Sucht nicht. Gesellschaftsspiele mit Freunden meidet er, über den Dom geht er mit all den Lichtern und Geräuschen nur an „starken Tagen“. „Es gibt kein Ziel, bei dem ich ankomme, und sagen kann, jetzt habe ich es geschafft“, sagt er. „Es ist eine Never-Ending-Story. Es geht darum, meinen Weg zu halten.“