„Mein Vater brüllte nur: Raus hier, sofort!“
Ich war neun Jahr alt und schlief wie üblich auf der Besucherritze im Ehebett meiner Eltern. Irgendwann nach Mitternacht wurde ich von gurgelnden Geräuschen wach und weckte meinen Vater. Er zog daraufhin das Rollo hoch, guckte raus und sagte trocken: „Wir haben Hochwasser!“ So erlebte Jürgen Karsch, heute 68, die tödliche Sturmflut 1962 an einem der bekanntesten Orte des Stadtteils.
Meine Mutter ergriff Panik, ich fing an zu schreien, nur mein Vater behielt die Ruhe. Als wir aus dem Bett stiegen, standen wir zehn Zentimeter im Wasser. Mein Vater nahm mich auf den Arm und sagte nur: Raus hier! Wir verließen die Wohnung im Laufschritt und hechteten die Treppe rauf in die oberen Stockwerke. Wir waren gerade eine halbe Etage hoch, da krachte die Wohnungstür hinter uns zu, die Haustür sprang auf, und das Wasser drang mit einem gewaltigen Schwall plötzlich ins Gebäude.
Ich war neun Jahre alt und schlief wie üblich auf der Besucherritze im Ehebett meiner Eltern. Irgendwann nach Mitternacht wurde ich von gurgelnden Geräuschen wach und weckte meinen Vater. Er zog daraufhin das Rollo hoch, guckte raus und sagte trocken: „Wir haben Hochwasser!“ So erlebte Jürgen Karsch, heute 68, die tödliche Sturmflut 1962 an einem der bekanntesten Orte des Stadtteils.
Wir wohnten am Stübenplatz in Wilhelmsburg im Erdgeschoss. Der stand da schon 1,50 Meter unter Wasser. An unserer Fensterscheibe reichte das Wasser 50 Zentimeter hoch.
Meine Mutter ergriff Panik, ich fing an zu schreien, nur mein Vater behielt die Ruhe. Als wir aus dem Bett stiegen, standen wir zehn Zentimeter im Wasser. Mein Vater nahm mich auf den Arm und sagte nur: Raus hier! Wir verließen die Wohnung im Laufschritt und hechteten die Treppe rauf in die oberen Stockwerke. Wir waren gerade eine halbe Etage hoch, da krachte die Wohnungstür hinter uns zu, die Haustür sprang auf, und das Wasser drang mit einem gewaltigen Schwall plötzlich ins Gebäude. Da standen wir nun, nur mit einem Schlafanzug bekleidet und mit nassen Füßen, und froren.

Mein Vater klingelte erst einmal überall, und wir kamen bei Nachbarn in der vierten Etage unter. Später hat Vater versucht, noch mal in unsere Wohnung zu kommen. Aussichtslos. Sie stand rund einen Meter unter Wasser und alles schwamm. Eigentlich gab es kaum noch Verwertbares. Mein Vater war als Arbeiter im Hamburger Hafen beschäftigt. Also, unser Wohlstand war überschaubar, aber wir hatten alles, was man brauchte. Jetzt war alles weg.
Sturmflut 1962 in Hamburg: „Unsere Wohnung stand gut einen Meter unter Wasser“
Dieser ganze Schaden wäre uns erspart geblieben, wenn ein Nachbar, der vor Mitternacht von der Arbeit aus dem Hafen kam, Alarm geschlagen hätte. Stattdessen ging er nach oben in die Wohnung und legte sich ins Bett, denn er war ja müde von der Spätschicht. Einmal die Hand auf alle Klingelknöpfe und wir hätten noch einige Sachen retten können, zumindest das Wichtigste.
Nach einigen Tagen hatte ich den Schreck verdaut und fand es spannend, aus dem Fenster in der vierten Etage dabei zuzusehen, wie über dem Platz die riesigen Hubschrauber schwebten und Waren abseilten. Unten auf dem Platz war geschäftiges Treiben: Die Bundeswehr war mit Sturmbooten unterwegs. Auch Privatpersonen waren mit Booten unterwegs und versuchten zu helfen, weil das Wasser ja erst sehr langsam zurücklief.
Überall entlang der Häuser waren Laufstege aufgestellt: im Vogelhüttendeich, in der Veringstraße und der Julius-Ertel-Straße. Ich wäre auch gerne mit runtergegangen, was meine Mutter aber untersagte.
„Viele hatten alles verloren – einige auch das Leben“
Als das Wasser dann nach einigen Tagen wieder weg war, war das Ausmaß der Katastrophe erst richtig zu erkennen. Viele hatten alles verloren, einige leider auch das Leben. Aus meiner Klasse waren drei Mitschüler tot, die mit ihren Eltern in den Gartenkolonien gewohnt hatten.
Jürgen Karsch (68), Journalist, lebt heute in Geesthacht