„Unser Glück war, dass mich ein komisches Geräusch weckte“
Ingrid Bellmann (heute 88) lebte 1962 in einem Behelfsheim für Ausgebombte, wie sie eine war. Zusammen mit ihrem Mann, Kriegsflüchtling, in einer Kleingartensiedlung in Wilhelmsburg. Die Gegend lag ziemlich tief – und genau das wäre ihnen bei der Flut 1962 fast zum Verhängnis geworden.
Als wir an diesem Freitagabend zu Bett gingen, ahnten wir nichts Böses. Es regnete, es stürmte heftig. Unser Glück war, dass ich irgendwann aufwachte von einem Geräusch, das mich irritierte. Ich bin aufgestanden und habe zum Fenster rausgeguckt.
Ingrid Bellmann (heute 88): Sie kennen den langen Häuserblock an der Harburger Chaussee in Wilhelmsburg? Am Ende des Blocks ging es links rein in unsere Kleingartensiedlung. Im Bauernfeld, so hieß sie. Lauter Behelfsheime für Ausgebombte wie mich und Kriegsflüchtlinge wie meinen Mann gab es da. Die Siedlung lag ziemlich tief – und genau das wäre uns während der Flut 1962 auch fast zum Verhängnis geworden.
Als wir an diesem Freitagabend zu Bett gingen, ahnten wir nichts Böses. Es regnete, es stürmte heftig. Unser Glück war, dass ich irgendwann aufwachte von einem Geräusch, das mich irritierte: Ich hörte, wie Regen auf Wasser klatschte. Ich bin aufgestanden und habe zum Fenster rausgeguckt und sah, dass um uns herum alles überflutet war.

Sie schlief schon, aber dann bemerkte sie, dass der Regen komisch klingt
Kurz darauf lief das Wasser auch schon ins Haus. Ich habe meinen Mann geweckt, der sich seinen besten Anzug anzog, mir meinen Mantel reichte, unseren Sohn in die Zinkwanne setzte und ihn mit einer Bettdecke zudeckte. Dann sind wir losgelaufen. Aber wohin? Mein Mann wollte zum Deich, aber ich sagte: „Da kommt das Wasser doch her.“ Also sind wir Richtung Bahndamm gegangen. Aber vor dem Bahndamm gab es einen tiefen Graben. Wie sollten wir da durch?

Dann war da plötzlich ein Haus. Die Leute, die dort wohnten, hatten erst vor, sich zum Deich durchzuschlagen, aber davon habe ich denen abgeraten. Dann sind wir alle gemeinsam auf deren Dach geklettert. Da saßen wir, zitterten vor Kälte. Wir starrten alle aufs Wasser, das immer weiter stieg. Nur noch wenige Zentimeter, dann wäre es bei uns angekommen. Keiner von uns sagte ein Wort – nur unser Sohn. Der fragte: „Ist Papa auch gut zugedeckt?“
„Ich hatte nicht mal Schuhe an, ich habe mir welche geliehen“
Bei uns war eine junge Frau, die hatte eine Taschenlampe. Und als am Morgen über den nahegelegenen Bahndamm die ersten Züge rollten, da hat sie dem Lokführer mit der Lampe Zeichen gegeben. Einige Zeit später kam ein Schlauchboot der Feuerwehr. So wurden wir gerettet.
Ich hatte nicht mal Schuhe an. Ich habe mir bei fremden Leuten welche geliehen und bin mit der Bahn nach Bramfeld zu meinen Eltern gefahren, damit die wissen, dass wir noch leben. Beim Haus im Bauernfelde bin ich nie wieder gewesen. Mein Mann war noch mal da und hat ein paar Dinge gerettet: unsere Eisenbetten beispielsweise und meine Nähmaschine. Wir bekamen eine Notwohnung an der Jordanstraße. Da konnten wir erst mal bleiben.
Ingrid Bellmann (88) wohnt heute in Bramfeld.