Ärzte verweigern dringend nötige OPs: Hamburger Kinder krank, Eltern verzweifelt
Der kleine Leon (2) hat ständig Ohrenschmerzen, muss oft Antibiotika schlucken, lernt schwer sprechen, weil er schlecht hört. Eine relativ einfache Ohren-OP könnte ihm ein ganz normales Kleinkind-Leben ermöglichen, aber diese OP, früher von HNO-Ärzten in Hamburg tausendfach im Jahr durchgeführt, ist derzeit für Kassenpatienten nicht zu bekommen: Die Mediziner bestreiken den Eingriff seit Monaten. Kinderärzte sind alarmiert, Eltern verzweifelt. Ein HNO-Arzt erklärt, warum sich der Eingriff für die Ärzte derzeit nicht rechnet – und was er Eltern rät.
Der kleine Leon (2) hat ständig Ohrenschmerzen, muss oft Antibiotika schlucken, lernt schwer sprechen, weil er schlecht hört. Eine relativ einfache Ohren-OP könnte ihm ein ganz normales Kleinkind-Leben ermöglichen, aber diese OP, früher von HNO-Ärzten in Hamburg tausendfach im Jahr durchgeführt, ist derzeit für Kassenpatienten nicht zu bekommen: Die Mediziner bestreiken den Eingriff seit Monaten. Kinderärzte sind alarmiert, Eltern verzweifelt. Ein HNO-Arzt erklärt, warum sich der Eingriff für die Ärzte derzeit nicht rechnet – und was er Eltern rät.
Deniese Zabel (39) aus Horn, Leons Mama, schildert den Alltag ihres jüngsten Kindes: „Leon muss täglich Nasenspray nehmen, was er hasst, er ist ständig krank, er hat permanent Ohrenschmerzen, alle paar Wochen muss er Antibiotka nehmen.“ Der Kleine leidet unter einem „chronischen Paukenerguss“, einem Ohrenleiden, das viele Kleinkinder betrifft. Ursache sind Polypen im Rachen und verstopfte Gänge, die dazu führen, dass das Sekret aus dem Mittelohr nicht abfließen kann und sich entzündet.
Abhilfe schafft eine „Röhrchen-OP“, bei der dem Kind unter Vollnarkose durch einen kleinen Schnitt Röhrchen in die Trommelfelle eingesetzt werden. Durch diese kann die Flüssigkeit ablaufen, nach einiger Zeit fallen die Röhrchen von selbst wieder raus, das Kind hört wieder. Eine halbstündige OP, die in Deutschland rund eine Millionen mal pro Jahr durchgeführt wurde, meistens bei Kindern zwischen einem und drei Jahren.
Hörprobleme bei Kindern: HNO-Ärzte bestreiken Röhrchen-OP
Seit Januar 2023 aber sind die niedergelassenen HNO-Ärzte im Röhrchen-Streik. Grund: Die Krankenkassen haben das ohnehin 20 Jahre alte Honorar für die Kinder-OPs auch noch gekürzt, von 111 auf 107 Euro. Der Berufsverband der HNO-Ärzte empfahl seinen Mitgliedern daraufhin, keine Röhrchen mehr einzusetzen. Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen (GKV) spricht von einer „empörenden Kampagne“: „Wer wegen vier Euro mehr oder weniger Honorar für eine Operation offen dazu auffordert, kranke Kinder nicht zu behandeln, stellt offenkundig Geld über Gesundheit.“
HNO-Arzt: Röhrchen-Operation rechnet sich nicht
Der Ottensener Hals-Nasen-Ohrenarzt Dr. Hannes Kutta hat die OP bei unzähligen Kindern durchgeführt, gehörte zu den Gründern des OP-Zentrums in St. Georg, in dem 17 Hamburger HNO-Ärzte pro Jahr rund 3000 kleinen Patienten Röhrchen einsetzten – zwei Drittel aller Eingriffe in Hamburg. Dieses Zentrum ist nun geschlossen, einerseits, weil es nicht genügend Narkoseärzte für Kinder gibt, aber auch, weil das Honorar so niedrig sei, dass HNO-Ärzte bei jeder Röhrchen-OP draufzahlen, so Kutta.

Der Mediziner zählt auf, was der Arzt davon zahlen muss, von der Raummiete (30 bis 60 Euro), über Sterilisationskosten (rund 50 Euro) und Einmalinstrumente (10 bis 20 Euro). Damit ist das Honorar aufgebraucht. Der Aufwand sei immens für eine OP, an der man als Arzt nichts verdiene: „Für eine Kinder-OP braucht man zwei Narkose-Ärzte und zwei Narkose-Schwestern, plus eine Person am Empfang.“ Dazu komme die hohe Ausfallquote durch kranke Kinder. Trotzdem habe er den Eingriff jahrelang gern durchgeführt: „Antrieb war die Dankbarkeit der Eltern.“ Jetzt erlebe er Mütter und Väter in der Praxis, die vor Verzweiflung weinen.
Denn: Auch die Krankenhäuser weisen die Eltern ab. „In Hamburg gibt es nur fünf Kliniken, die diese OP noch durchführen“, sagt Deniese Zabel: „Die frühesten freien Termine sind Ende 2024.“ Bis dahin sollte Leon längst munter plappern und erzählen – aber: „Er hört bestimmte Buchstaben nicht“, hat seine Mutter beobachtet: „Er kommuniziert, aber er hat jetzt schon Sprachprobleme.“

Die Honorare verhandelt die Kassenärztliche Bundesvereinigung mit den Krankenkassen. Die Ärzte-Lobby zeigt kein Verständnis für den Streik der HNO-Kollegen. Immerhin hätten sie für komplexere ambulante OPs mehr Geld rausgeholt, etwa für die Korrektur einer Nasenscheidewand nun 304 Euro, statt wie bisher 261 Euro. Unterm Strich verdienen die HNO-Kollegen also mehr als bisher.
„Das ist doch ein Ablenkungsmanöver“, kontert Kutta. „Es gibt ja Praxen, die haben sich auf Kinder-OPs spezialisiert und bieten diese anderen Eingriffe gar nicht an.“ Auch Dr. Thomas Wiesner vom Alsterdorfer „Werner Otto Institut“, wo Kinder mit Hör- und Sprachstörungen therapiert werden, überzeugt die Argumentation der Kassen nicht: „Die Autowerkstatt setzt ihnen die Lichtmaschine ja auch nicht für weniger Geld ein, nur, weil es für den Auspuff neuerdings mehr gibt.“ Wiesner leitet den Bereich Phoniatrie, Pädaudiologie und Logopädie am „Werner Otto Institut“.
Ärzte bestreiken Röhrchen-OPs bei Kindern: Eltern verzweifelt
Er erlebt die Verzweiflung der Eltern mehrfach pro Woche. Denn: ohne OP keine Sprachtherapie. „Und je früher die Therapie beginnt, desto effektiver ist sie.“ Ein Jahr Warten auf einen OP-Termin sei „eine Katastrophe für Kinder“: „Einige Entwicklungsverzögerungen können danach kaum noch aufgeholt werden.“
Auch Dr. Charlotte Schulz, Sprecherin des Verbandes Hamburger Kinder- und Jugendärzt:innen, ist alarmiert: „Die betroffenen Kinder sind in einer sensiblen Altersspanne und es verzögert die Gesamtentwicklung, wenn sie nicht lernen, sich sprachlich auszudrücken.“
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Eine Lösung ist nicht in Sicht: „Wir bedauern, dass der Streik ausgerechnet auf dem Rücken der Kinder und auch der Eltern ausgetragen wird“, so ein Sprecher der Krankenkassen zur MOPO. „Aber wir sehen keinen Anlass, das Thema wegen des Streiks neu aufzugreifen.“
Was sollen Eltern und Kinder, die unfreiwillig auf das Schlachtfeld der Honorarverhandlungen gezerrt werden, denn machen? Dr. Hannes Kutta: „Sie müssen bei den Krankenkassen Druck machen.“ Das hat Deniese Zabel längst versucht: „Die sagten, da können sie mir nicht helfen.“ Inzwischen hat sie einen OP-Termin für Leon ergattert, privat bezahlt. Der HNO-Arzt nimmt 280 Euro Honorar, das Narkose-Team kostete die Eltern rund 400 Euro. Ihr Sohn hat den Eingriff gut überstanden. Kommentar des Operateurs zur Mutter: „Diese OP war zwingend notwendig.“