Stolz wie Bolle: Archäologe macht Sensationsfund in Hamburg
Die Archäologen haben keinen Goldschatz gefunden, auch keine Silbermünzen. Es ist nichts von besonderem materiellen Wert. Trotzdem sind die Wissenschaftler und auch viele Mitglieder von Hamburgs Jüdischer Gemeinde total aus dem Häuschen. Bei den Grabungen auf dem Carlebachplatz im Grindelviertel, dort, wo einst die Bornplatzsynagoge stand, wurde ein unerwarteter Fund gemacht. Grabungsleiter Kay-Peter Suchowa vom Archäologischen Museum und Daniel Sheffer von der jüdischen Gemeinde sprechen von einer „Sensation“.
Die Archäologen haben keinen Goldschatz gefunden, auch keine Silbermünzen. Es ist nichts von besonderem materiellen Wert. Trotzdem sind die Wissenschaftler und auch viele Mitglieder von Hamburgs jüdischer Gemeinde total aus dem Häuschen. Bei den Grabungen auf dem Joseph-Carlebach-Platz im Grindelviertel, dort, wo einst die Bornplatzsynagoge stand, wurde ein unerwarteter Fund gemacht. Grabungsleiter Kay-Peter Suchowa vom Archäologischen Museum und Daniel Sheffer von der jüdischen Gemeinde sprechen von einer „Sensation“.
Am vergangenen Freitag stießen Suchowa und sein elfköpfiges Team im Erdboden auf die völlig intakten Bodenfliesen der alten Bornplatzsynagoge. Suchowa ist überzeugt, dass dies der wichtigste und auch schönste Fund ist, den er bei dieser Grabung machen wird. Einiges spreche dafür, dass der komplette Keller inklusive Kachelboden erhalten ist. Das werden die weiteren Ausgrabungen zeigen.
Die jüdische Gemeinde reagiert auf der Plattform X (ehemals Twitter) mit großer Freude: „Ein sensationeller Fund. Wir werden wieder den Boden unserer Vorfahren teilen können!“ Ein User schrieb: „Das ist ja faszinierend!“ Ein anderer: „Ich freue mich auf die neue Synagoge mit Elementen der alten!“ Wieder ein anderer meint: „Bornplatzsynagoge – seit 84 Jahren unter unseren Füßen! Bornplatzsynagoge – unsere gemeinsame Geschichte“.

Am Freitag machten die Archäologen die Entdeckung: Sie fanden völlig intakte Bodenfliesen
Vor bald 85 Jahren, am 9./10. November 1938, war Norddeutschlands größtes und schönstes jüdisches Gotteshaus im Rahmen der sogenannten „Reichspogromnacht“ von Nazis geschändet, verwüstet und angezündet worden. Im Jahr darauf ließ die Stadt die Reste des Gebäudes abreißen.
Die Kosten dafür musste die Deutsch-Israelitische Gemeinde tragen. Deren Nachfolger, die Jüdische Gemeinde Hamburg, erhielt das Grundstück erst mehr als acht Jahrzehnte später, Ende September 2023, von der Stadt zurück. Dort soll nun eine neue Synagoge gebaut werden.

Bevor es damit losgeht, sind zunächst Archäologen am Zuge. Grabungsleiter Kay-Peter Suchowa ist glücklich über diese Aufgabe: „Ich mache Ausgrabungen schon seit Jahrzehnten. Aber noch nie war ich persönlich so tief ergriffen wie diesmal“, sagt er, während er gerade mit seiner Kelle Zentimeter um Zentimeter der Bodenfliesen freilegt.
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„Noch nie war das Interesse an dem, was wir tun, so groß.“ Der 53-jährige Wissenschaftler erzählt, dass jeden Tag Schüler der benachbarten Talmud-Tora-Schule kommen und Anteil nehmen. Mehrmals standen auch schon Menschen aus Amerika und Israel am Zaun, waren den Tränen nahe und erzählten, dass das hier die Synagoge sei, in der einst ihre Groß- oder Urgroßeltern beteten. Nur um die Reste der Synagoge zu sehen, hätten sie den weiten Weg auf sich genommen.
Scherben, Fenster, Mauerteile: Seit Grabungsbeginn wurden zahlreiche spannende Funde gemacht
- Archäologisches Museum Hamburg Blick auf die Bodenfliesen, die am Freitag bei Ausgrabungen auf dem Carlebachplatz entdeckt wurden. Es handelt sich um den Bodenbelag im Keller der ehemaligen Bornplatzsynagoge.
Blick auf die Bodenfliesen, die am Freitag bei Ausgrabungen auf dem Carlebachplatz entdeckt wurden. Es handelt sich um den Bodenbelag im Keller der ehemaligen Bornplatzsynagoge. - Quandt Ein Mauerteil der Bornplatzsynagoge: Die dunkle Verfärbung ist Ruß – Spuren des Feuers, das am 9. November 1938 die Nazis legten, als sie die Synagoge schändeten und verwüsteten.
Ein Mauerteil der Bornplatzsynagoge: Die dunkle Verfärbung ist Ruß – Spuren des Feuers, das am 9. November 1938 die Nazis legten, als sie die Synagoge schändeten und verwüsteten. - Florian Quandt Nicht einfach nur eine x-beliebige Scherbe, sondern Teil eines rituellen Gefäßes. Auch das eins der Fundstücke. Grabungsleiter Kay-Peter Suchowa hält es dem Fotografen vor die Kamera.
Nicht einfach nur eine x-beliebige Scherbe, sondern Teil eines rituellen Gefäßes. Auch das eins der Fundstücke. Grabungsleiter Kay-Peter Suchowa hält es dem Fotografen vor die Kamera. - Quandt Damit war die Fassade verziert: Ein Fries der Bornplatzsynagoge wurde ebenfalls entdeckt.
Damit war die Fassade verziert: Ein Fries der Bornplatzsynagoge wurde ebenfalls entdeckt. - dpa Spricht von einer „Sensation“: Auf den Ausgrabungen auf dem Joseph-Carlebach-Platz im Grindelviertel ist der Archäologe Kay-Peter Suchowa (53) auf etwas ganz Besonderes gestoßen.
Spricht von einer „Sensation“: Auf den Ausgrabungen auf dem Joseph-Carlebach-Platz im Grindelviertel ist der Archäologe Kay-Peter Suchowa (53) auf etwas ganz Besonderes gestoßen. - Quandt Glas aus den Fenstern der Bornplatzsynagoge: herrlich bunt. Bei Sonnenschein muss es in der Synagoge wunderbar farbig geleuchtet haben.
Glas aus den Fenstern der Bornplatzsynagoge: herrlich bunt. Bei Sonnenschein muss es in der Synagoge wunderbar farbig geleuchtet haben. - Quandt Reste eines Fensters der Synagoge: Das Glas war bunt und mit floralen Mustern dekoriert.
Reste eines Fensters der Synagoge: Das Glas war bunt und mit floralen Mustern dekoriert. - Quandt Verrostete Reste von Metallfenstern der Bornplatzsynagoge.
Verrostete Reste von Metallfenstern der Bornplatzsynagoge. - Quandt Im Erdreich entdeckt: ein Säulenkapitell aus rotem Sandstein.
Im Erdreich entdeckt: ein Säulenkapitell aus rotem Sandstein. - Quandt Kay-Peter Suchowa (53): Der Archäologe ist Grabungsleiter auf dem Joseph-Carlebach-Platz.
Kay-Peter Suchowa (53): Der Archäologe ist Grabungsleiter auf dem Joseph-Carlebach-Platz.
Ziel der Grabung, die am 4. September begann und bis zum 4. Januar dauert, ist es, herauszufinden, was es an Spuren der Bornplatzsynagoge im Untergrund noch gibt. Eigentlich dürfte gar nichts mehr da sein. „Laut Akten aus den 30er Jahren wurde alles bis hin zu den Grundmauern abgetragen“, sagt Suchowa. Inzwischen ist aber längst klar, dass diese Angaben falsch sind. Der gesamte Keller ist noch vorhanden. Und noch viel mehr.
Die Abrissfirma, die 1939 die Synagoge dem Erdboden gleichmachte, hat sämtlichen Bauschutt in die Kellerräume geschoben und dann Erde draufgepackt. Für den Archäologen ein Glücksfall, denn im Schutt entdecken Suchowa und seine Leute beinahe stündlich irgendetwas Neues: Glas-, Ton- und Porzellan-Fragmente, Mauerteile, verrostete Metallfenster. Und jetzt diese wunderschönen Bodenfliesen.
Grabungsleiter Suchowa: „Noch keine Grabung hat mich emotional so mitgenommen“
Die meisten Fundstücke würde ein Laie als Schrott bewerten und auf die Müllhalde werfen. Der Archäologe dagegen kann aus jedem Teil wertvolle Informationen ziehen. Aus den Glasscherben beispielsweise: Sie sind bunt und mit floralen Ornamenten verziert. „Wir wissen jetzt, dass die Fenster der Synagoge farbig waren und dass es im Innern der Synagoge überall rote, grüne, gelbe und blaue Lichtreflexe gegeben haben muss, wenn die Sonne hineinschien.“
Die Bruchstücke des Mauerwerks sind aus rotem Sandstein und geben Aufschluss über das äußere Erscheinungsbild der Synagoge. „Seltsam ist, dass das Gebäude auf den colorierten Abbildungen, die wir kennen, eher gelblich erscheint, nicht rot“, sagt Suchowa. Vielleicht gab es auf dem Sandstein eine Bemalung. „Wir werden das klären.“

Was sonst noch alles gefunden wurde? Steine mit Brandspuren, die an das Feuer erinnern, das am 9./10. November 1938 von den Nazis gelegt wurde. Scherben von Vorratsgefäßen, Kochgefäße, ein Klingelknopf, Bruchstücke von Ofenkacheln, Salbenfläschchen. Auch auf die Füße von Likör- und Sektgläsern sind die Archäologen gestoßen – „was zeigt, dass in der jüdischen Religion eben manchmal auch ausgelassen gefeiert wurde. Mir hat der Rabbi erzählt, dass es zu Fasching den Brauch gibt, sich so zu betrinken, dass man Böse und Gut nicht mehr voneinander unterscheiden kann.“ Suchowa lacht.
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Warum ist ausgerechnet diese Ausgrabung für Suchowa so etwas besonderes? Warum nimmt sie ihn emotional so stark mit? „Weil es das Gotteshaus von Menschen war, die vertrieben, vielfach ermordet wurden. Das erinnert mich an meine Großmutter. Sie war russische Zwangsarbeiterin und im Arbeitsziehungslager ,Lager Morgen‘ in Wilhelmsburg inhaftiert. Sie hat ebenfalls Furchtbares durchgemacht, war genauso Opfer. Und ich spüre, wie diese Geschichte auch mein Leben prägt.“

Dass die Synagoge bald wiederaufgebaut wird, das freut Suchowa. Warum? „Weil es zeigt, dass die Nazis nicht gewonnen haben. Sie wollten das jüdische Leben ausradieren. Sie haben es nicht geschafft.“
2030 könnte die neue Synagoge fertiggestellt sein – wenn alles gut läuft
Ein bisschen Geduld wird es aber noch brauchen, bis die Bauarbeiten beginnen: 2024 wird es erst einmal einen Architekturwettbewerb geben, 2025 soll dann der alte Bunker, der von den Nazis auf dem Platz errichtet wurde und heute von der Uni genutzt wird, abgerissen werden. Mit dem Bau der Synagoge wird es dann 2028 losgehen, mit der Fertigstellung rechnet die Gemeinde für 2030.