Stinkefinger und wütende Blicke: Genderfans und -Gegner treffen aufeinander
Wie sehr das Gendern die bundesdeutsche Gesellschaft spaltet, wie unversöhnlich sich Anhänger und Gegner von Doppelpunkt und Sternchen bisweilen gegenüberstehen – das konnte miterleben, wer dem jüngsten MOPO-Talk beiwohnte. Zum sechsten Mal lud die MOPO zum Streitgespräch in das Atelier „Gausz“ in Ottensen.
In der Sache ziemlich hart gerungen. Die eine Seite schenkte der anderen nichts. Und wenn die Argumente ausgingen, wurde auch schon mal der Stinkefinger gezeigt. Wütende Blicke blitzten durch den Saal.
Wie sehr das Gendern die bundesdeutsche Gesellschaft spaltet, wie unversöhnlich sich Anhänger und Gegner von Doppelpunkt und Sternchen bisweilen gegenüberstehen – das konnte miterleben, wer dem jüngsten MOPO-Talk beiwohnte. Zum sechsten Mal lud die MOPO zum Streitgespräch in das Atelier „Gausz“ in Ottensen.
In der Sache ziemlich hart gerungen. Die eine Seite schenkte der anderen nichts. Und wenn die Argumente ausgingen, wurde auch schon mal der Stinkefinger gezeigt. Wütende Blicke blitzten durch den Saal.

Die Gesprächsleitung hatte wie immer MOPO-Kolumnist Marco Carini, der betonte, er gendere bereits seit 40 Jahren. Als Fan einer „geschlechtersensiblen“ Sprache diskutierte er hart mit den Gender-Gegnern auf dem Podium – zu hart fand einer im Publikum. „Ich habe noch nie einen Moderator erlebt“, so rief der Gast, „der so parteiisch war wie Sie!“
Der gesamte MOPO-Talk im Video:
„Gendern verbieten?“ Diese provokante Frage war das Motto des Abends. Eine Anspielung auf die Volksinitiative „Schluss mit Gendersprache in Verwaltung und Bildung“, deren Repräsentantin auch anwesend war: Sabine Mertens.
Die Kunsttherapeutin hatte zuletzt mit mutmaßlich schwulenfeindlichen Äußerungen Schlagzeilen gemacht. Sie hatte einen Zusammenhang hergestellt von Gendersprache und Homosexualität und dann hinzugefügt: Es sei „Tatsache, dass sich normalerweise Männer und Frauen zum anderen Geschlecht hingezogen fühlen. Wenn wir jetzt alle schwul, lesbisch und trans werden sollen, dann ist die Evolution zu Ende.“ Inzwischen ermittelt deshalb die Polizei.
Anti-Gender-Aktivistin: „Wir wollen Gendern nicht verbieten“
Daran knüpfte Carini an und hakte nach: „Wenn es für Sie normal ist, wenn sich Frauen und Männer zum anderen Geschlecht hingezogen fühlen – für was halten Sie denn dann gleichgeschlechtliche Liebe?“ Hätte Mertens mit „unnormal“ geantwortet, hätte sie wohl die zweite Anzeige wegen homophober Äußerungen am Hals. Sie bezeichnete Homosexualität nun stattdessen als „Ausnahme“, die die Regel bestätige.*
Warum sie das Gendern verbieten will – mit dieser Frage konfrontierte Carini sie als nächstes. Ihre Antwort: „Wir wollen das Gendern gar nicht verbieten.“ Privat dürfe selbstverständlich jeder gendern wie er wolle. Ziel der Initiative sei es lediglich, Verwaltung, Bildungseinrichtungen und städtische Unternehmen dazu zu verpflichten, sich an die Regeln des Rats für deutsche Rechtschreibung zu halten. Und da existierten nunmal keine Gendersternchen, Doppelpunkte und Unterstriche.
Ploß: „Man kommt sich vor wie in Absurdistan, darüber überhaupt reden zu müssen“
Mertens sagte, Sprache sei etwas Natürliches, über Jahrtausende Gewachsenes, „da sollte nichts künstlich hineinkonstruiert werden“. Gendern nannte sie eine „Privatsprache“, eine „Weltanschauung“. Genderanhänger führten sich auf, als seien sie diejenigen, die die einzige richtige, die moralisch hochwertigere Sprache sprechen und machten sich über diejenigen, die das Gendern ablehnten, verächtlich.
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Noch ein Gendergegner saß auf dem Podium. Einer, der den Kampf gegen Sternchen und Doppelpunkt fast schon zu seiner Lebensaufgabe gemacht hat: der CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph Ploß (37). „Wenn ein Mathelehrer den Schülern beibringt, dass eins und eins drei ist oder ein Erdkundelehrer sagt, Paris sei die Hauptstadt von Spanien, dann gehe ich doch dagegen an. Genauso wollen wir, dass ein Deutschlehrer die geltenden Regeln lehrt.“ Das bedeute: Es heißt Busfahrer und nicht Busfahrer:in. „Man komme sich ja vor wie in Absurdistan, darüber überhaupt reden zu müssen“, so Ploß.

Völlig anderer Meinung: Dominik Lorenzen, einer von zwei Fraktionschefs der grünen Bürgerschaftsfraktion, der davon sprach, dass ein „Kulturkampf“ tobe. Die Volksinitiative gegen das Gendern sei ein „Projekt rechter Ideologen“, deren Ziel es sei, die Gesellschaft zurückzudrehen. Die Zeit des Patriarchats sei vorüber, auch in der Sprache. Bei der Ablehnung des Genderns handele es sich um patriarchale Rückzugsgefechte. Gendern sei ein Beitrag zur Gleichberechtigung von Frauen und queeren Menschen.

Ins selbe Horn blies Transfrau und Psychotherapeutin Cornelia Kost, die einen Zusammenhang sieht zwischen sexuellem Missbrauch von Frauen und der deutschen Sprache. Sprache sei Ausdruck von Machtverhältnissen. „Unsere Sprache drückt aus, dass wir eine männerdominierte Gesellschaft sind, sie zeigt, wie wir mit Frauenrechten umgehen. Strukturelle Gewalt wird auch durch Sprache transportiert.“ Sie fügte hinzu: „Wir fordern die Hälfte vom Geld, die Hälfte von der Macht und die Hälfte von der Sprache.“ In Richtung Sabine Mertens rief Cornelia Kost durch den Saal: „Ich bin Ihr Albtraum.“
„Unsere Sprache drückt aus, dass wir eine männerdominierte Gesellschaft sind“
Eine rund dreistündige Diskussion ging zu Ende mit der Erkenntnis, dass die Gesellschaft gespalten ist: in zwei Gruppen, die sich ziemlich unversöhnlich gegenüberstehen und im wahrsten Sinne des Wortes nicht die gleiche Sprache sprechen.
Allerdings sind es nicht zwei gleich große Gruppen. Umfragen zeigen, dass die Zahl der Gendergegner bei rund 60 Prozent liegt, Tendenz steigend. Vor allem die Sprechpause, die sogenannte „Gender-Gap“, vor der weiblichen Endung eines Wortes wird von der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung abgelehnt. Das ergab kürzlich eine Umfrage des WDR.
*Anmerkung der Redaktion: In einer ersten Version des Textes verwendeten wir an dieser Stelle eine Formulierung, die man als positive Wertung lesen könnte. Wir haben die Passage angepasst.