Steilshoop, das Ghetto-Viertel? Diese junge Frau will mit Vorurteilen aufräumen
„Hier will keiner hinkommen – die meisten wollen weg.“ Manuela Cordes, 22 Jahre alt, ist geblieben. Steilshoop, Brennpunkt im Nordosten der Stadt, ist ihr Zuhause. Überschaubare Infrarstruktur, Mehrfamilienhäuser, Plattenbau, viel Armut und noch mehr Vorurteile. Der Stadtteil wirkt wenig einladend. Und die Stadt tut recht wenig dafür, dass sich das ändert.
Nach Steilshoop zu fahren und sich ein eigenes Bild von dem Viertel und den Menschen zu machen, das ist gar nicht so einfach: Es gibt weder eine U- noch eine S-Bahn-Station. Irgendwann soll die neue U5 hier mal halten. Bis dahin gilt: „Wenn man über Barmbek hinaus möchte, plant man besser eine Stunde Fahrtzeit ein“, sagt Manuela Cordes.
Der MOPO hat Manuela Cordes erzählt, warum sie das vermeintlich Ghetto liebt – und wie sie für ihr Viertel kämpft
„Hier will keiner hinkommen – die meisten wollen weg.“ Manuela Cordes, 22 Jahre alt, ist geblieben. Steilshoop, Brennpunkt im Nordosten der Stadt, ist ihr Zuhause. Überschaubare Infrastruktur, Mehrfamilienhäuser, Plattenbau, viel Armut und noch mehr Vorurteile. Der Stadtteil wirkt wenig einladend. Und die Stadt tut recht wenig dafür, dass sich das ändert.
Nach Steilshoop zu fahren und sich ein eigenes Bild von dem Viertel und den Menschen zu machen, das ist gar nicht so einfach: Es gibt weder eine U- noch eine S-Bahn-Station. Irgendwann soll die neue U5 hier mal halten. Bis dahin gilt: „Wenn man über Barmbek hinaus möchte, plant man besser eine Stunde Fahrtzeit ein“, sagt Manuela Cordes.
Die 22-Jährige wohnt schon ihr ganzes Leben in Steilshoop. Den schlechten Ruf ihres Stadtteils war schon während ihrer Kindheit allgegenwärtig. „Die Menschen sind uns gegenüber sehr voreingenommen. Dabei waren viele noch kein einziges Mal hier.“ Das liege nicht nur an der schlechten Anbindung, sondern auch daran, dass die Stadt nichts dafür tue, das Steilshoop attraktiver werde. Kaum Einkaufsmöglichkeiten, Cafes, Restaurants.

Während des Rundgangs durch den Stadtteil wird deutlich, was Manuela meint. Da ist das berüchtigte Einkaufszentrum, das im Laufe der Jahre den Spitznamen „Ekel-EKZ“ bekommen hat. „Hier fallen immer mal Platten von der Decke“, berichtet Manuela Cordes. Die meisten Geschäfte stehen leer. „Ich glaube, der Rossmann wird dafür bezahlt, dass er hierbleibt“, meint sie. In der Passage dazwischen spielen Kinder und grüßen die Frau mit dem sympathischen Lächeln. „Man kennt sich hier.“
Steilshoop: Die Gemeinde hält zusammen
Dann zeigt Manuela Cordes ihren Lieblingsort in Steilshoop: die Martin-Luther-King-Kirchengemeinde. Schlicht ist das Gebäude, innen brennt Licht. Die Plakate an den Wänden weisen auf Veranstaltungen hin und lassen schon erahnen, dass die Menschen hier viel füreinander tun.
Im Seniorentreff sitzen Frauen und Männer um einen runden Tisch und spielen „Activity“. Unter ihnen sind Sylvia und Eugen Wagner, 77 und 80 Jahre alt. Die beiden leben schon seit 1972 in Steilshoop und wollen hier nicht mehr weg: „Die Natur ist wunderschön mit dem vielen Grün, dem Bramfelder See und dem Friedhofsberg. Am besten aber ist die Gemeinschaft: Jeder ist willkommen, jeder kann etwas beitragen. Es gibt viele Veranstaltungen und Ausflüge“, so Sylvia.
- Florian Quandt Manuela Cordes an einem ihrer Lieblingsplätze aus ihrer Kindheit, einem Hof der SAGA.
Manuela Cordes an einem ihrer Lieblingsplätze aus ihrer Kindheit, einem Hof der SAGA. - Florian Quandt Blick aufs Idyll: Manuela am Bramfelder See, den sie „Brami“ nennt.
Blick aufs Idyll: Manuela am Bramfelder See, den sie „Brami“ nennt. - Florian Quandt Dieses Bild haben wohl die meisten Hamburger von Steilshoop.
Dieses Bild haben wohl die meisten Hamburger von Steilshoop. - Florian Quandt Schön geht anders: der Cesar-Klein-Ring.
Schön geht anders: der Cesar-Klein-Ring. - hfr Für Zehntausende wurde Wohnraum in Hochhäusern geschaffen.
Für Zehntausende wurde Wohnraum in Hochhäusern geschaffen. - Florian Quandt Manuela Cordes betreut im „Haus der Jugend“ vor allem junge Mädchen.
Manuela Cordes betreut im „Haus der Jugend“ vor allem junge Mädchen.
Steilshoop gehört seit 1937 zu Hamburg. Im Norden grenzt der Ohldorfer Friedhof an den Stadtteil, im Süden befindet sich der bereits erwähnte Bramfelder See. Ende der 1960er Jahre wurden hier Großsiedlungen für Zehntausende Menschen errichtet. Das Statistikamt Nord wies für Steilshoop 2020 eine Arbeitslosenquote von 11,5 Prozent aus. Im selben Zeitraum lag der Durchschnitt für Hamburg bei 6,4 Prozent. 23 Kindergärten, vier Grundschulen, fünf Apotheken, neun niedergelassene Allgemeinmediziner, kaum kulturelle Einrichtungen.
Wer sich als Jugendlicher nicht auf der Straße herumtreiben will, der geht ins „Haus der Jugend“. Manuela hilft seit ihrem 14. Lebensjahr bei der Betreuung der Jüngeren und bei der Planung von Projekten hier mit, setzt sich vor allem für Mädchen und junge Frauen ein. Seit dem vergangenen Jahr ist sie zudem Praktikantin in der Kirchengemeinde, hat eine Mädchensprechstunde und plant einen Treff für junge Mütter.

Die junge Frau ist gemeinsam mit fünf Geschwistern in Steilshoop aufgewachsen. Ihre Kindheit war nicht immer leicht, denn Manuelas ghanaische Eltern können kaum Deutsch, sprechen daheim nur Twi mit den Kindern. Immer wieder gab es Verständigungsprobleme – ein guter Grund für Manuela, sich heute für andere Menschen mit Migrationsgeschichte einzusetzen. Immerhin haben knapp 30 Prozent der Steilshooper keinen deutschen Pass. Bei den unter 18-Jährigen hatten Ende 2020 nach Erhebungen von „MigraPro“ 76,3 (!) Prozent einen Migrationshintergrund. An städtischen Angeboten für die Integration mangele es dagegen, sagt Manuela.
„Mit Aushängen oder Flyern erreicht man diese Menschen selten“, sagt sie. „Ich gehe zum Beispiel beim Einkaufen auf sie zu und mache sie auf die Angebote der Gemeinde aufmerksam. Dabei erfährt man auch von Problemen, zum Beispiel mit dem Partner.“
Manuela ist das „Backup der Gemeinde“
Laut Pastor Andreas Holzbauer, bei dem Manuela Cordes ihr Praktikum absolviert, ist sie genau deshalb so wichtig für die Gemeinde. „Sie weiß, was die Leute brauchen und hat eine ganz andere Ansprache als ich zum Beispiel. Die Menschen vertrauen ihr, hören ihr zu.“ Sie sei so etwas wie „das Backup“ der Gemeinde, sagt Holzbauer.
Das Praktikum geht noch bis zum Sommer. Danach will Manuela studieren – soziale Arbeit. Wohnen wolle sie weiterhin in Steilshoop, dann müsse sie eben eine längere Fahrt auf sich nehmen.

Am Ende des Spaziergangs durch Steilshoop kommt Manuela Cordes am „Haus der Jugend“ an. Hier verbringt sie einen großen Teil ihrer Zeit. Dorthin führt eine Straße, die aussieht wie viele andere hier: Beidseitig gesäumt von riesigen Häuserblocks, Fenster an Fenster, Wohnung an Wohnung, eng an eng. In einer dieser Wohnungen lebt Manuela mit ihrer Familie. „Auf der einen Straßenseite sind die Wohnungen etwas günstiger. Da leben die Leute, die gar nichts verdienen“, sagt sie. „Auf der anderen die, die ein bisschen was verdienen. Sogar die Kinder wissen das schon und fragen jeden: Auf welcher Seite wohnst du?“
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In dem Jugendzentrum gibt Manuela einmal in der Woche einen Tanzkurs. Die neun- bis 13-jährigen Mädchen proben für eine große Musical-Aufführung zu Ehren Martin Luther Kings im Januar. Sie bewegen sich zu den Klängen moderner Popsongs, lachen. Man kennt sich aus der Schule, von der Straße.
Manuela ist es wichtig, zu zeigen, dass in Steilshoop ganz und gar nicht alles schlecht ist. „Viele der Vorurteile bewahrheiten sich nicht, wenn die Leute erstmal herkommen“, sagt sie. „Unser Stadtteil ist so vielfältig und bunt und auch wenn wir nicht viele finanzielle und infrastrukturelle Möglichkeiten haben, machen wir doch das Beste daraus.“