Verteidiger erklärt: Darum haben sich die Stadtpark-Täter nicht entschuldigt
Neun junge Männer vergewaltigen nacheinander eine Schülerin, die sich alkoholbedingt nicht mehr wehren kann – und acht von ihnen kommen mit Jugendstrafen auf Bewährung davon. Die vermeintlich zu milden Urteile im „Stadtpark-Prozess“ lassen die Emotionen öffentlich hochkochen, sowohl die Verteidiger als auch die Vorsitzende Richterin sehen sich massiven Bedrohungen ausgesetzt. Besonders erbost sind viele Kommentatoren im Internet, dass keiner der jungen Männer ein Wort des Bedauerns fand. Warum dieser Mangel an Empathie? Die MOPO fragte einen der Verteidiger.
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Neun junge Männer vergewaltigen nacheinander eine Schülerin, die sich alkoholbedingt nicht mehr wehren kann – und acht von ihnen kommen mit Jugendstrafen auf Bewährung davon. Die vermeintlich zu milden Urteile im „Stadtpark-Prozess“ lassen die Emotionen öffentlich hochkochen, sowohl die Verteidiger als auch die Vorsitzende Richterin sehen sich massiven Bedrohungen ausgesetzt. Besonders erbost sind viele Kommentatoren im Internet, dass keiner der jungen Männer ein Wort des Bedauerns fand. Warum dieser Mangel an Empathie? Die MOPO fragte einen der Verteidiger.
Rechtsanwalt Arne Timmermann hat einen der angeklagten jungen Männer aus dem „Stadtpark-Prozess“ verteidigt. Auch sein Mandant hat sich nicht bei der 15-Jährigen entschuldigt, die am 19. September 2020 nahe der Festwiese im Stadtpark neun Mal vergewaltigt wurde. Die Schülerin war stark alkoholisiert und beim Herumirren zunächst vier der späteren Angeklagten begegnet, die ihren Zustand für sexuelle Handlungen ausnutzten. Danach, traumatisiert und apathisch, kehrte sie auf die Festwiese zurück und sprach zwei weitere der späteren Angeklagten an, die sich ebenfalls in einem Gebüsch an ihr vergingen. Als sie erneut zurückkehrte, kam es durch eine dritte Gruppe zu weiteren Vergewaltigungen. Die Gruppen kannten sich nicht und keiner der jungen Männer war je zuvor durch eine Sexualstraftat aufgefallen, keiner hatte schon mal eine Jugendstrafe kassiert.
Darum gab es keine Entschuldigungen
Aber wie kann man diesem missbrauchten Mädchen jegliche Empathie und Worte des Bedauerns verweigern? Arne Timmermann weiß, dass die Antwort Nicht-Juristen kaum begreiflich zu machen ist: „Weil der Angeklagte ein Schweigerecht hat.“ Schweigen darf einem Angeklagten nach deutschem Recht nicht zum Nachteil ausgelegt werden, das gilt allerdings nur, wenn er wirklich gar nichts zu den Vorwürfen sagt. Nicht einmal „Es tut mir leid.“ Eine Entschuldigung könnte vor Gericht als „Einlassung zur Sache“ gewertet werden – damit wäre das Schweigen ohne negative Folgen hinfällig. Und im Stadtparkprozess haben die Angeklagten geschwiegen.
„Das heißt natürlich nicht, dass ein schweigender Mandant keine Reue empfindet“, betont der erfahrene Strafverteidiger. So könne ein Gericht etwa bei den Äußerungen „zur Person“ durchaus herauslesen, ob ein Verfahren bei einem Jugendlichen „Lern- und Erziehungsprozesse“ in Gang gesetzt hat.
Erziehung, nicht Vergeltung oder Abschreckung, steht im Zentrum des Jugendstrafrechtes, wie Professor Bernd-Rüdeger Sonnen, Emeritus der Universität Hamburg, erklärt: „Beim Erwachsenenstrafrecht schauen wir in die Vergangenheit und bestrafen die Tat, beim Jugendrecht blicken wir in die Zukunft und wollen weitere Delikte verhindern.“ Eine Bewährungsstrafe sei keine milde Strafe, schon gar nicht für Ersttäter: „Das ist nach der Jugendhaft die zweitschärfste Sanktion, die das Jugendrecht kennt.“ Dazu kommen etwa Arbeitsauflagen. Die Stadtpark-Vergewaltiger müssen jeweils 60 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten, ihr Verdienst geht an das Opfer.
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Aber würden ein paar Monate hinter Gittern nicht mehr Eindruck machen? Nein, erklärt Gerichtssprecher Kai Wantzen: „Freiheitsentzug bringt viele Nachteile mit sich. Die Jugendlichen werden aus geregelten Strukturen herausgerissen, verlieren Halt durch Familie und Ausbildung. Das widerspricht dem Ziel, ihr Leben wieder in die richtige Bahn zu bringen.“