„Sprung ins kalte Wasser“: Wie eine Hamburger Familie Geflüchtete aufgenommen hat
Der Ukraine-Krieg zerstört viele Gewissheiten und bringt Angst und Leid nach Europa. Die Bilder aus dem Kriegsgebiet sind furchtbar, viele quält das Gefühl der Hilflosigkeit. Die Hamburger Marina Zolldann (32) und Christoph Limburg (35) wollten deshalb handeln – und nahmen kurzerhand eine ukrainische Familie bei sich auf.
Dass Prinzessinnen eigentlich eher schreiten als eilen, interessiert Mayen nicht. Als die Tür des Rahlstedter Hauses aufgeht, flitzt die Dreijährige in ihrem rosa Kleidchen los. Der stürmische Empfang gilt ihrer neuen ukrainischen Spielkameradin Sayana. Gleiches Alter, gleiche Bobfrisur. Sofort nehmen die Mädchen die Couch-Landschaft und einen Großteil des herumliegenden Spielzeugs in Beschlag. Ihr Lachen und Quietschen erfüllt den Raum, während die Frühlingssonne wärmend durch die großen Fenster scheint.
Hamburg: Eine Familie holt geflüchtete Ukrainer zu sich
- Deutsch (Deutschland)
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Der Ukraine-Krieg zerstört viele Gewissheiten und bringt Angst und Leid nach Europa. Die Bilder aus dem Kriegsgebiet sind furchtbar, viele quält das Gefühl der Hilflosigkeit. Die Hamburger Marina Zolldann (32) und Christoph Limburg (35) wollten deshalb handeln – und nahmen kurzerhand eine ukrainische Familie bei sich auf.
Dass Prinzessinnen eigentlich eher schreiten als eilen, interessiert Mayen nicht. Als die Tür des Rahlstedter Hauses aufgeht, flitzt die Dreijährige in ihrem rosa Kleidchen los. Der stürmische Empfang gilt ihrer neuen ukrainischen Spielkameradin Sayana. Gleiches Alter, gleiche Bobfrisur. Sofort nehmen die Mädchen die Couch-Landschaft und einen Großteil des herumliegenden Spielzeugs in Beschlag. Ihr Lachen und Quietschen erfüllt den Raum, während die Frühlingssonne wärmend durch die großen Fenster scheint.
Hamburg: Eine Familie holt geflüchtete Ukrainer zu sich
Sonnig ist es an diesem Märztag auch in Kiew. Aber hier bringt die Sonne keine Hoffnung, sie leuchtet nur das Grauen aus. Die Stadt ist vom russischen Militär umzingelt. Fluchtkorridore aus der Hauptstadt werden beschossen. Ukrainisches Militär und Zivilisten patrouillieren mit Waffen. Notdürftig errichtete Straßensperren sollen russische Panzer aufhalten. Helfer evakuieren Frauen, Kinder und Alte. Mit allem was man tragen oder schieben kann.
Ksenija Golotjak (32) konnte diesem Grauen entkommen. Sie ist mit ihrer Tochter Sayana, ihrem Sohn Bogdan (8) und ihrer Schwiegermutter Luda (63) aus Kiew geflohen. Zug, Bus, Zug, Bus – irgendwann hat Ksenija den Überblick verloren. Ihre Reise dauerte beinahe vier Tage. Durchgefroren und übermüdet kamen sie am Samstag in Hamburg am Hauptbahnhof an. Warum Hamburg? Zufall.
Kiew: Ukrainerin muss sich von ihrem Mann verabschieden
Christoph Limburg war zur Wandelhalle im Hauptbahnhof gefahren, um Hilfe und Unterschlupf anzubieten. Er sah die beiden Frauen mit den Kindern, sprach sie an. Keine 20 Minuten später saßen sie bei ihm im Auto, auf dem Weg in ihr neues Leben. Ein Leben in Frieden und Sicherheit – aber ohne Ksenijas Ehemann, ohne ihre Eltern und ihren Bruder. Sie sind in Kiew geblieben.
„Es war so schwer zu gehen“, sagt sie auf englisch. Ihre Stimme bricht. Ksenija Golotjak setzt erneut an, doch statt Worte kommen Tränen. Christoph Limburg legt ihr eine Hand auf die Schulter. Die 32-Jährige wischt die Tränen weg, greift zum Handy. Dann legt sie auf russisch los, weil das Handy ukrainisch nicht übersetzen kann. Sie berichtet von den letzten Stunden bei sich zu Hause: „Es war so schwer zu packen und zu gehen. Mir wurde in dem Moment klar, dass ich nicht weiß, wann ich wieder nach Hause zurückkehren werde. Ich weiß nicht, wann ich meine Eltern und meinen Ehemann wieder sehen werde.“ Ihre Mama habe sich geweigert mitzukommen. Sie wollte unbedingt bei ihrem Mann bleiben, der nicht ausreisen darf.
Jeden Tag Telefonate in die Heimat. Ksenijas Ehemann, von Beruf Fahrer, hilft bei der Verteidigung von Kiew. Und er bringt Frauen und Kinder an die Grenze, raus aus dem Kriegsgebiet. Ihr Mann wohne in einem Haus mit anderen Männern, erzählt sie. Alleine sei die Angst vor dem russischen Militär zu groß.
Die 32-Jährige strahlt Stärke aus. Nicht, weil die Frau mit blondem Pferdeschwanz in Kiew als Fitnesstrainerin gearbeitet hat, sondern weil sie in allen leichteren Momenten lächelt. Jeden Witz, der an dem Holztisch in der hellen Wohnung ihrer Gastgeber gemacht wird, honoriert sie mit einem Lachen. Dann legt sie ihren Kopf zur Seite, zieht ihre Schulter hoch und ihre Augen funkeln.
Hamburger Familie hilft bei Anmeldung und Ablenkung
„Für mich war es sofort sehr harmonisch mit Ksenija“, sagt Marina und lächelt sie an. Marina arbeitet als Hundetrainerin, ihr Ex-Partner Christoph hat ein Tattoo-Studio. Für die ukrainische Familie ist das getrennte Paar wieder zusammengerückt. Sie wohnen jetzt mit ihrer kleinen Tochter Mayen im Parterre des Bauernhauses. In seiner Wohnung im ersten Stock sind ihre Gäste untergebracht. Sie haben einen eigenen Schlüssel, können selbst entscheiden, wann sie Privatsphäre und wann Kontakt wollen.
Zunächst waren Ksenija, Luda und die Kinder sehr zurückhaltend. Bis die Anmeldung bei der Ankunftsstelle für Geflüchtete klappte. Plötzlich fiel all die Nervosität und Anspannung ab, die offizielle Registrierung wirkt wie eine Erlösung. Ein Wendepunkt. Ksenija und Luda gehen auf Marina und Christoph zu, Mayen und Sayana beginnen miteinander zu spielen. Und auch der achtjährige Bogdan, der ernst schaut, wenn er bei den Erwachsenen sitzt und lächelt, wenn er mit den Kindern spielt, wird mit einbezogen.
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Flüchtlinge aufzunehmen – das war ein Sprung ins kalte Wasser, sagt Marina. „Natürlich merken wir jetzt auch, dass es viele formale Fragen zu klären gibt.“ Das Wichtigste sei aber, sich nicht verrückt zu machen. Die Prioritäten: Eine Wohnung für ihre Gäste in Rahlstedt finden und für Ksenija einen Job. Die zweifache Mama lernt derzeit mit Youtube-Videos deutsch. Letztendlich haben beide Seiten jedoch nur einen Wunsch: Dass der Krieg in der Ukraine bald vorbei ist – und Ksenijas Familie überlebt.
Wer eine Wohnung in Rahlstedt vermietet oder jemand kennt, meldet sich bitte bei Marina Zolldann unter mzolldann@gmail.com.