So verspielen die Grünen in Hamburgs Bezirken ihr politisches Kapital
MOPO-Kolumnist Marco Carini schreibt in dieser Woche über das Hauen und Stechen bei den Grünen in Wandsbek, Mitte und Eimsbüttel, erklärt, was der größte Knackpunkt ist und warum Einzelkämpfer gerade so ein Problem für die Partei sind.
MOPO-Kolumnist Marco Carini schreibt in dieser Woche über das Hauen und Stechen bei den Grünen in Wandsbek, Mitte und Eimsbüttel, erklärt, was der größte Knackpunkt ist und warum Einzelkämpfer gerade so ein Problem für die Partei sind.
Die politische Woche begann mit einem Beben im Bezirk Wandsbek: Dort hat die rot-grüne Koalition keine Mehrheit mehr. Grund sind interne Probleme bei den Grünen: Deren Fraktion hat durch Umzug den Abgeordneten Jan Otto Witt verloren. Die Nachrückerin Maria von Trotha aber will nicht Mitglied der grünen Truppe werden, ihr Mandat stattdessen als fraktionslose Abgeordnete ausüben. Von Trotha verweigert jeden Kontakt – wies eine mit einem Strauß Sonnenblumen bewaffnete Parteidelegation an ihrer Haustür sogar ab.
Mit 15 Abgeordneten waren Wandsbeks Grüne 2019 gestartet – inzwischen sind es nur noch zwölf. Zwei Abgeordnete hatten die Fraktion verlassen, um in der Bezirksversammlung auf eigene Rechnung Politik zu machen. Und Witt warf zum Abgang jetzt noch einmal kräftig mit Dreck um sich: Wandsbeks Grünen fehle es an „Herz, Intelligenz, Durchsetzung, Taktik und Strategie“, die Fraktion bestehe aus „13 farblosen Mehrheitsbeschaffer:innen“. Nachrückerin von Trotha konstatiert zudem eine „offensichtliche Zerstrittenheit der Fraktion“, der sie nicht beitreten will, und wirft ihr gar vor, gegen einzelne Parteifreunde in „Stasi-ähnlicher Manier“ vorgegangen zu sein.

Von „Wachstumsschmerzen“ spricht die Wandsbeker Grünen-Kreischefin Katja Rosenbohm in ihrer Analyse der Situation. Das bedeutet: Weil die Grünen bei den Bezirkswahlen 2019 mit 31,3 Prozent vor der SPD zur stärksten Kraft geworden sind, rückten für die Partei auch solche Personen in die bezirklichen Gremien ein, die auf den hintersten Plätzen der Wahllisten nominiert waren, kaum mit der Partei verbunden, politisch unerfahren und mitunter eher Einzelkämpfer:innen als Teamplayer:innen sind. So läuft es seit dem Wahlsieg unrund bei den Grünen – Wandsbek ist da kein Einzelfall.
Beben im Bezirk Wandsbek: rot-grüne Koalition ohne Mehrheit
Zuerst zerlegte sich 2019 die Bezirksfraktion in Hamburg-Mitte, nachdem die frühere Hamburger Parteichefin und heutige Justizsenatorin Anna Gallina Islamismus-Vorwürfe gegen zwei neue Bezirksabgeordnete erhoben hatte. Sechs grüne Politiker:innen verließen daraufhin ihre Fraktion und schlossen sich der SPD an. Die regiert seitdem mit CDU und FDP – die grünen Wahlsieger:innen sitzen nach ihrer Selbstzerfleischung auf der harten Oppositionsbank.
Auch in Eimsbüttel konnten die Grünen ihren Wahlsieg nicht nutzen. Zuerst schmiedeten sie mit der CDU eine Koalition und demütigten damit die SPD. Anschließend scheiterte der Versuch, die inzwischen verstorbene Katja Husen als Bezirksamtsleiterin zu inthronisieren – gleich drei Koalitionsmitglieder verweigerten ihr die Stimme und damit die Mehrheit. Da sich die Abtrünnigen nie outeten, blieb das Klima in der Koalition von Misstrauen geprägt, im November 2021 zerbrach sie schließlich. Seitdem wird im Bezirk mit wechselnden Mehrheiten und auch schon mal gegen die Grünen regiert.
Größer Knackpunkt: Kür der neuen Bezirksamtsleitung
Das ist für Wandsbek keine Option – SPD und Grüne wollen gemeinsam mit einem neuen Partner weiterregieren. „Ich habe CDU, FDP und Linken Gespräche angeboten“, bekennt SPD-Fraktionschef Marc Buttler und auch die grüne Landesvorsitzende Maryam Blumenthal setzt auf eine Fortführung der rot-grünen Zusammenarbeit, ergänzt durch einen neuen Partner. Als Favorit gilt die FDP, die sich bereits zu Sondierungsgesprächen bereit erklärt hat.

Größter Knackpunkt dürfte die Kür der neuen Bezirksamtsleitung im kommenden Frühjahr sein: Die SPD hat mit Amtsinhaber Thomas Ritzenhoff, Fraktionschef Buttler und der Bürgerschaftsabgeordneten Anja Quast gleich drei Interessent:innen in ihren Reihen. Sie würde gerne selber unter den Kandidat:innnen auswählen, während die Liberalen darauf bestehen, den Posten ausschreiben zu lassen. Eine andere Option: Die SPD will Gespräche mit den drei abtrünnigen Grünen führen. Sollte eine:r von ihnen sich in die SPD-Fraktion locken lassen, wäre eine hauchdünne rot-grüne Mehrheit auch ohne neuen Partner gesichert.
Grüne verspielen in den Bezirken politisches Kapital
Dabei können sich die Sozialdemokraten Seitenhiebe auf die Grünen nicht verkneifen: „Die Menschen erwarten von der Politik Stabilität und Verlässlichkeit. Die personellen Entwicklungen bei den Wandsbeker Grünen sind das Gegenteil davon“, sagt Wandsbeks SPD-Chef, Finanzsenator Andreas Dressel, und betont: „In unserem Verantwortungsbereich liegt das nicht.“
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Fakt ist: Die Grünen haben in den Bezirken zuletzt politisches Kapital verspielt und sich in Mitte, Eimsbüttel und nun Wandsbek sogar kräftig blamiert. „Sie beschäftigen sich zu viel mit sich selbst und haben noch nicht alle politischen Spielregeln begriffen“, bringt es ein führender Sozialdemokrat auf den Punkt, den diese Entwicklung aber nicht sonderlich stört. Denn die grünen Wachstumsprobleme kommen auch bei den Wähler:innen an. Bei den Bezirkswahlen 2024 könnte deshalb wieder die SPD die Nase vorne haben.