„…so blühe stets dein Glück!“ Was Elkes Freundinnen ihr ins Poesiealbum schrieben
Es ist ein kleines, weinrotes Büchlein, der Ledereinband geprägt in Schlangenoptik, darauf ein schnörkeliger goldener Schriftzug: „Poesie“. Was mein Kollege Thomas Hirschbiegel da für drei Euro auf dem Schanzen-Flohmarkt erstanden hat, ist das Poesiealbum eines jungen Mädchens aus Hamburg namens Elke. Im Dezember 1950, Adenauer ist Kanzler und im Kino läuft das „Schwarzwaldmädel“ mit Sonja Ziemann, da schreibt Elke die ersten Zeilen in ihr Büchlein – und das sind dieselben, die Mädchen noch Jahrzehnte später in Schönschrift in ihre Alben schnörkeln. Überhaupt hat sich die Tradition der kleinen quadratischen Alben als erstaunlich langlebig erwiesen.
Es ist ein kleines, weinrotes Büchlein, der Ledereinband geprägt in Schlangenoptik, darauf ein schnörkeliger goldener Schriftzug: „Poesie“. Was mein Kollege Thomas Hirschbiegel da für drei Euro auf dem Schanzen-Flohmarkt erstanden hat, ist das Poesiealbum eines jungen Mädchens aus Hamburg namens Elke. Im Dezember 1950, Adenauer ist Kanzler und im Kino läuft das „Schwarzwaldmädel“ mit Sonja Ziemann, da schreibt Elke die ersten Zeilen in ihr Büchlein – und das sind dieselben, die Mädchen noch Jahrzehnte später in Schönschrift in ihre Alben schnörkeln. Überhaupt hat sich die Tradition der kleinen quadratischen Alben als erstaunlich langlebig erwiesen.
In der 5., spätestens in der 6. Klasse musste man eins haben, als Mädchen: ein Poesiealbum. Und auf der ersten Seite musste stehen: „Wer in dieses Büchlein schreibt, den bitte ich um Sauberkeit“. So hat es Elke 1950 gehalten und ich, rund 25 Jahre später, schrieb denselben Spruch. Dann ging es los: Mit Bleistift wurden die Namen der Klassenkameradinnen oben rechts auf die Seiten notiert, die besten Freundinnen zuerst, dann alle anderen.

Auch Elke hat es so gehalten. Auf einigen leeren Seiten stehen noch die Namen derer, die sich nicht verewigt haben. Irmchen hat nichts geschrieben, Hannelore auch nicht. Die Ehre des ersten Eintrags hat Elke ihrer Lehrerin gelassen: „Ich will! Das Wort ist mächtig, spricht‘s einer ernst und still, die Sterne reißt‘s vom Himmel, das eine Wort: Ich will.“ Ja, die Erwachsenen hatten immer solche Verse in petto, die man erst sehr viel später kapiert. Meine Lehrerin schrieb mir „Blick auf zu den Sternen, gib acht auf die Gassen“ ins Stammbuch. Hab ich auch nichts mit anfangen können damals. Später schon.
Apropos Stammbuch: Das war der Vorläufer des Poesiealbums, beliebt bei Studenten ab dem 16. Jahrhundert, um Freundschaftsbekundungen und Signaturen berühmter Professoren zu sammeln. Im Gegensatz zu seinem Urahn ist das Poesiealbum ein Mädchen-Ding. Die netteren Jungs aus der Klasse durften zwar auch was reinschreiben („Ein wenig Grütze unter der Mütze ist gar viel nütze. Ein fröhlich Herz unter der Weste, das ist das Beste“), aber die Mädchen nahmen die Sache wirklich ernst („So wie die Rosen blühen, so blühe stets dein Glück. Und wenn du Rosen siehest, so denk an mich zurück.“)

Die Verse, die die Freundinnen in Elkes Album schrieben, zeugen von einer Ernsthaftigkeit, die daran erinnert, dass die Mädchen Krieg, Trümmer, Vertreibung erlebt haben. „Schmerz und Freude liegt in einer Schale, ihre Mischung ist der Menschheit Los“, schreibt Ellen und malt einen Zwerg mit Zipfelmütze und Blumenstrauß dazu. Eva weiß: „Unrecht leiden ist besser als Unrecht tun.“ Und Silvia mahnt im Januar 1953: „Vergesse nie die Heimat, wo deine Wiege stand, du findest in der Ferne kein zweites Heimatland.“ Zu der Zeit geht es schon mit Riesenschritten ins Wirtschaftswunder: Silvia zeichnet den Hasen aus dem Disney-Klassiker „Alice im Wunderland“, der 1951 in die Kinos gekommen war – und den die junge Hamburgerin offenbar gesehen hatte.
Poesiealben: Nach dem Krieg gab es kaum bunte Bildchen
Was auffällt: Später waren mehr Oblaten. Während die jungen Boomermädchen in den 70er Jahren massenhaft nostalgische Glitzer-Bilder von Blumen und Engeln auf die Seiten klebten, ist Elkes Poesiealbum fast oblatenfrei. So kurz nach dem Krieg gab es Wichtigeres, als wieder bunte Engelchen auf Glanzpapier zu drucken. Viele Sprüche aus Elkes Zeit allerdings fanden sich auch Jahrzehnte später noch in meinem Album, darunter altbackene Anweisungen für weibliche Verhaltensweisen: „Blüh wie das Veilchen im Moose, bescheiden, sittsam und rein. Und nicht wie die stolze Rose, die immer bewundert will sein.“
Längst sind die Poesiealben durch „Freundschaftsbücher“ ersetzt, in denen die Kinder (oft eher die Eltern) vorgegebene Fragen zu Lieblingsserie und – essen beantworten. Bestimmt auch eine liebe Erinnerung in vielen Jahren – aber eben ohne Lebensweisheiten. Einen Spruch habe ich mir in mein inneres Poesiealbum geschrieben, damit ich ihn nicht vergesse: „Willst du glücklich sein im Leben, trage bei zu anderer Glück, denn die Freude, die wir geben, kehrt ins eigene Herz zurück.“ Ist doch so.