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  • Foto: picture alliance/dpa

Skandal um Wehen-Mittel: Auch Hamburger Kliniken verwenden Cytotec

Wenn der Stichtag überschritten ist, und das Baby nicht zur Welt kommen will, dann greifen viele Ärzte zu einer Tablette. Cytotec heißt die Pille, die in Deutschland für die Geburtshilfe nicht zugelassen ist. Die starke Nebenwirkungen hat und zu schweren Komplikationen bis hin zum Tod führen kann. Trotzdem verwendet einer Umfrage der Uni Lübeck zufolge jede zweite deutsche Klinik das umstrittene Medikament. Auch in Hamburg.

Eigentlich ist Cytotec ein Magenschutzmittel. Durch Zufall hatten Ärzte vor einigen Jahren entdeckt, dass es bei der Einnahme zu Kontraktionen der Gebärmutter kommt und damit zur Auslösung von Wehen. Seitdem wird die Tablette oft Schwangeren verabreicht, die den Stichtag schon deutlich überschritten haben, um so die Geburt einzuleiten.

Hamburger Hebamme: „Das ist sehr qualvoll für die Frauen!“

Was dabei allerdings meistens verschwiegen wird, sind die Folgen für die Schwangere. „Die Wehen kommen plötzlich von Null auf hundert. Und sie sind vollkommen unkontrolliert“, erklärt Andrea Sturm, Vorsitzende des Hebammenverbands Hamburg gegenüber der MOPO.

Experten sprechen von einem „Wehensturm“, bei dem die Wehen heftig und schnell aufeinander folgen, ohne dass die Schwangere zwischendurch Zeit zum Krafttanken hat. Anders als bei natürlichen Wehen sei der Körper oft noch gar nicht bereit für eine Geburt, der Muttermund noch nicht geöffnet, weshalb sich die Phase lange hinziehen kann. „Das ist sehr qualvoll für die Frauen“, sagt Sturm.

Nach Recherchen der  „Süddeutschen Zeitung“ und des „Bayerischen Rundfunks“ kommt es gelegentlich zu noch viel schlimmeren Komplikationen: In seltenen Fällen verbluteten Mütter, nachdem ihre Gebärmutter infolge der Einnahme von Cytotec gerissen war. Babys kamen mit Hirnschäden zur Welt, weil sie einen Sauerstoffmangel unter der Geburt erlitten hatten. Sowohl in Deutschland als auch in Frankreich kam es zu Totgeburten.

Hersteller nahm Cytotec wegen Anwendungsmissbrauchs vom Markt

Die amerikanische Gesundheitsbehörde FDA sowie die französische ANSM warnen wegen der Risiken vor Cytotec. Der Hersteller Pfizer hatte das Medikament 2006 vom deutschen Markt genommen, weil es zu oft außerhalb des vorgesehenen Anwendungsbereiches verwendet wurde.

Dennoch setzen viele Ärzte unter Ausnutzung ihrer Therapiefreiheit weiter auf  Cytotec und beziehen die Pille aus dem Ausland. Zu effektiv die Wirkung und vor allem zu heiß der Preis: Eine Tablette kostet weniger als einen Euro, alternative Medikamente liegen dagegen im dreistelligen Bereich. Um die Klinikabläufe besser steuern zu können, überschreiten die Ärzte dabei offenbar nicht selten die von der WHO empfohlene Dosis um das doppelte bis vierfache.

Zahlreiche Frauen haben ihre Kliniken verklagt

Laut „Süddeutsche Zeitung“ gibt es eine nicht unerhebliche Zahl von Frauen, die ihre Geburtskliniken für die Vergabe von Cytotec verklagt haben. Die Berliner Fachanwältin für Medizinrecht Ruth Schulze-Zeu vertritt die Klägerinnen.

„Es ist schon lange an der Zeit diesen Unsinn mit Cytotec zu beenden“, sagt Peter Husslein, Professor für Geburtshilfe und Leiter der Universitäts-Frauenklinik Wien im Interview mit der „Süddeutschen“. Und weiter: „Das Mittel ist weitestgehend unkontrollierbar und es gibt viel zu wenig Untersuchungen.“

Asklepios in Hamburg: Keine Schäden oder Auffälligkeiten

Die Hamburger Asklepios-Kliniken verteidigen dennoch weiter ihre Praxis der Vergabe von Cytotec: „Alle Schwangeren werden vor Gabe von Cytotec zur Geburtseinleitung in einem persönlichen, ärztlich geführten Gespräch über den Off Label-Use, die mit der Gabe des Medikaments einhergehenden Risiken sowie Behandlungsalternativen aufgeklärt“, so ein Sprecher.

Man weise darauf hin, „dass Cytotec seit 1992 in Deutschland zur Geburtseinleitung eingesetzt wird und wir anhand des uns vorliegenden Datenmaterials in Bezug auf unsere (Asklepios-) Kliniken keine schaden- und/oder haftungsrelevanten Auffälligkeiten im Zusammenhang mit der Gabe von Cytotec erkennen können“. Allerdings empfehle man ab sofort den Ärzten, vor jeder Gabe des Medikaments die Indikationsstellung besonders sorgfältig zu dokumentieren.

Hamburg: Auch das Albertinen-Krankenhaus nutzt Cytotec

Auch das Albertinen-Krankenhaus in Schnelsen beharrt auf seiner Vorgehensweise: Cytotec werde in der Klinik seit vielen Jahren zur Einleitung der Wehen und nach persönlicher ärztlicher Aufklärung eingesetzt. „Unsere Ärztinnen und Ärzte können erhöhte Komplikationsraten nach Gabe des Medikaments nicht bestätigen“, sagt der Sprecher.

Und auch der ärztliche Direktor der Geburtsklinik am UKE, Prof. Kurt Hecher, gesteht im MOPO-Interview: „Wir setzten Cytotec ein.“ Man kläre die Frauen aber umfänglich auf und überwache sie. „Bei uns gibt es keine Todesfälle im Zusammenhang mit Cytotec.“

Nur das Hamburger Marienkrankenhaus hat längst die Konsequenzen gezogen: „Wir verwenden seit Jahren kein Cytotec, eben aus den genannten Gründen“, so Dr. med. Oliver Heine, Chefarzt der Geburtshilfe.

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