• Sina Demirhan will neue Grünen-Chefin in Hamburg werden.
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Sie will neue Chefin werden: „Die Grünen müssen dahin, wo es weh tut”

Hamburgs Grünen suchen eine neue Chefin. Die bisherige Vorsitzende, Anna Gallina, darf als Justizsenatorin nicht mehr, die Partei legt Wert auf Amt- und Mandatstrennung. Gleich zwei Frauen, namentlich Sina Demirhan und Maryam Blumenthal, haben ihren Hut für die Wahl Mitte April in den Ring geworfen und wollen die Führung künftig übernehmen. Die 26-Jährige Demirhan erläutert im MOPO-Interview, warum sie glaubt, die Richtige für den Posten zu sein und erklärt, was der Partei derzeit fehlt.

MOPO: Die Grünen zeigen sich derzeit so einig wie noch nie in ihrer Parteigeschichte – jetzt wollen Sie per Kampfkandidatur gegen Maryam Blumenthal die Harmonie ein bisschen stören. Warum?

Demirhan: Weil ich die Grünen in Hamburg weiterhin auf Erfolgskurs führen und der Partei eine starke Stimme geben will. René Gögge (Anm. d. R. ihr möglicher Stellvertreter) und ich haben schon sehr früh gesagt, dass wir mehr Verantwortung übernehmen und für den Parteivorsitz kandidieren wollen. Ich habe zuletzt sehr viele Gespräche geführt und viel Zuspruch erhalten. Jetzt habe ich auch meine Kandidatur angekündigt und die Partei hat nun ein tolles Angebot und die Auswahl zwischen uns.

Sie sind 26 Jahre alt und seit der letzten Wahl in der Bürgerschaft. Frau Blumenthal bringt zehn Jahre mehr Lebenserfahrung mit, ist Vize-Fraktionsvorsitzende. Warum sollte sich die Partei für Sie entscheiden?

Ich habe eine klare politische Vision für die Stadt und die Botschaft, dass wir zukünftig in Hamburg nur erfolgreich sind, wenn wir uns stetig wandeln und die großen Herausforderungen Klimawandel, Mobilitätswende und gesellschaftlicher Zusammenhalt beherzt angehen. Ich bin seit zehn Jahren bei den Grünen und habe die Partei aus verschiedenen Perspektiven kennengelernt. Ich war Bezirksabgeordnete und sitze aktuell in der Bürgerschaft, bin dort Vorsitzende des Schulausschusses. Die vergangenen zwei Jahre habe ich im Landesvorstand den Prozess zur Bürgerschaftswahl mitgeprägt, das Wahlprogramm mitgeschrieben und viele emotionale Debatten geführt, wohin wir Grünen eigentlich gehen sollten und wie wir in Hamburg stärkste Kraft werden können.

Das hat ja erst mal nicht geklappt.

Die Grünen in Hamburg haben einen Erfolgskurs eingeschlagen, der nun fortgesetzt werden muss. Es ist für uns jetzt wichtig, dahin zu gehen, wo es weh tut. Wo die Menschen unsere Positionen nicht teilen.

„Raus aus der abgekapselten Politik-Blase”

Sind die Grünen bislang zu sehr in ihrer Wohlfühlblase geblieben?

Ja, ich glaube zwar, dass wir uns zuletzt enorm als Partei entwickelt haben. Aber diese Entwicklung müssen wir auch in unseren politischen Debatten deutlicher abbilden. Raus aus der abgekapselten Politik-Blase und rein in die gemeinsame Wirklichkeit aller Menschen in dieser Stadt. Wir dürfen keine Politik für Wenige mit der Brechstange machen, sondern müssen das große Ganze betrachten.

Was soll das konkret heißen?

Ein großes Thema ist die Wirtschaftskompetenz. Wie kann man Menschen, die sich für Wirtschaftspolitik interessieren, davon überzeugen, dass wir ein guter Ansprechpartner sind? Wichtig ist darüber hinaus, dass wir nicht nur Politik für den Bereich der Stadt machen, wo wir die meisten Grünwähler*innen vermuten. Wir müssen uns jeden Tag fragen, wie die Bedürfnisse der Menschen in den Stadtteilen sind, die mehrheitlich nicht Grün wählen. Hier müssen wir Angebote machen mit dem klaren Anspruch, dass wirklich alle in der Stadt mobil sein müssen oder bezahlbaren Wohnraum brauchen.

Ihre Kandidatur begründen Sie unter anderem mit dem Verweis auf Ihren Migrationshintergrund. Die Grünen sind noch immer eine Partei der Weißen. Welche Perspektive wollen Sie einbringen?

Die Partei bemüht sich um Diversität in den eigenen Reihen, deshalb wäre es auch wichtig, wenn eine Person mit Migrationsgeschichte die Führung übernehmen würde. Mehr als ein Drittel der Menschen in Hamburg hat eine Migrationsgeschichte und das muss sich auch in Führungspositionen zeigen. Denn diese Menschen haben einen ganz anderen Blickwinkel darauf, wie Gesellschaft derzeit funktioniert oder wie man gegen Rassismus vorgehen kann. Wir brauchen sie in Führungspositionen, wo Entscheidungen getroffen werden, die etwas verändern. Solange es ein besonderes Beispiel ist, wenn Menschen mit Migrationsgeschichte Führungspositionen innehaben, ist das ein Problem.

Warum eine Diversity-Quote bei den Grünen erst einmal nicht kommt

Setzen Sie sich für eine Diversity-Quote ein?

Ich befürworte eine solche Quote, halte sie aber rein technisch für schwer umsetzbar. Anders als bei der Frauenquote ist es schwierig zu definieren, was Diversität genau ist. Die Grünen haben mit dem Vielfaltsstatut einen richtigen Schritt gemacht. Auch Unternehmen und Institutionen sollten sich daran orientieren.

Die Grünen haben sich auch im Hinblick auf die Klimakrise das Motto „Radikal ist das neue realistisch” gegeben. Wirklich radikal sind die Grünen in Hamburg aber nicht. Da wird ein wenig über die autofreie Innenstadt gestritten und über Bebauungspläne von Eigenheimen – worauf müssen sich Hamburger einstellen, wenn man sich das 1,5-Grad-Ziel wirklich zu Herzen nimmt?

Wir werden unser Klimaschutzgesetz und den Klimaplan für Hamburg konsequent umsetzen. So haben wir kürzlich erst die Solardachpflicht eingeführt. Hamburger*innen können sich darauf einstellen, in einer noch lebenswerteren Stadt zu wohnen. Klimaschutz bedeutet, dass wir eine Stadt haben, die grüner ist, wo wir mehr Plätze haben, um uns zu begegnen. Unser Ziel ist es, die Mobilitätswende wirklich umzusetzen, um damit mehr Aufenthaltsqualität für alle zu schaffen.

Was bedeutet denn eine konsequente Klimapolitk zu Ende gedacht dann für die Aufteilung von städtischem Raum und die Koexistenz von verschiedenen Verkehrsteilnehmern?

Ich glaube, wir müssen uns immer jeweils den Stadtteil angucken. Wenn wir uns zum Beispiel Eimsbüttel ansehen, gibt es hier überwiegend Menschen, die mit dem Fahrrad unterwegs sind. Da geht es dann darum, den öffentlichen Raum gerecht aufzuteilen und zu schauen, was sind die Bedürfnisse der Menschen vor Ort. Gleichzeitig müssen wir aber auch dafür sorgen, dass die Leute, die da zum Beispiel für Besorgungen hinmüssen, auch die Möglichkeit haben, mit dem Auto zu kommen. Das ist kein Ausschlusskriterium, wie man am Anwohnerparken sieht. Langfristig ist aber natürlich Ziel der Mobilitätswende, dass mehr Menschen Lust haben, mit dem Rad oder der Bahn zu fahren.

Mühsam ernährt sich also das Eichhörnchen, solange es noch lebt?

Es geht darum, dass die Stadtgesellschaft unsere Pläne mitträgt. Natürlich kann ich mich auf die Straße stellen und sagen: Ich will jetzt aber das – und so müssen wir es in Hamburg machen. Nur es bringt halt nichts, wenn ich es dann nicht umsetzen kann. Es ist eine Mischung aus Radikalität und Realitätssinn.

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Wenn Sie radikal und realistisch sagen, meinen Sie dann Schwarz-Grün auf Bundesebene?

Da spricht nichts gegen. Ich würde mich aber auch über eine andere Konstellation unter grüner Führung freuen.

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