Kidnapping, Schüsse, Streit mit Kolumbianern: Aufstieg und Fall eines Koks-Kartells
Drei Tonnen Kokain schmuggelte das Hamburger Kartell von Südamerika über den Hamburger Hafen in die Stadt. Straßenwert: rund 300 Millionen Euro. Doch irgendwann riss die Glückssträhne der drei Gründer ab. Das Misstrauen wuchs, sie verärgerten die falschen Männer, es kam zu einer Schießerei. Am Ende landeten sie im Knast. Was war passiert?
Drei Tonnen Kokain schmuggelte das Hamburger Kartell von Südamerika über den Hamburger Hafen in die Stadt. Straßenwert: rund 300 Millionen Euro. Doch irgendwann riss die Glückssträhne der drei Gründer ab. Das Misstrauen wuchs, sie verärgerten die falschen Männer, es kam zu einer Schießerei. Am Ende landeten sie im Knast. Was war passiert?
Die Geschichte von Mehmet S. (42) beginnt und endet im Gefängnis. 2019 kam er gerade frisch aus dem Knast – und legte innerhalb kürzester Zeit einen rasanten Aufstieg hin. Der frühere Häftling wurde zum Boss eines Drogen-Kartells, war etwa ein Jahr lang der Koks-König von Hamburg. Er nahm in dieser Zeit über 1,7 Millionen Euro ein. Über ihm standen nur noch „die Auftraggeber“.
Hamburg: Kartell-Gründer verdiente 1,7 Millionen Euro
Mehmet S. hatte zwei Männer an seiner Seite: Den IT-Spezialisten Ashraf M. (heute 41) und dessen rechte Hand Hussein M. (35), der während seiner Mitarbeit im Kartell noch ordentlich Sozialleistungen einstrich. Im Kartell bekamen sie alle eine wichtige Rolle: Mehmet S. war der Finanzexperte, er organisierte und delegierte die anstehenden Aufgaben und das Geld.
Ashraf M. war der Logistiker, er griff in die Abfertigungsprozesse am Hamburger Hafen ein. Durch seine Arbeit bei einer Logistikfirma hatte er einen Kunden-Account bei dem Abfertigungssystem der HHLA, konnte Container als „reparaturbedürftig“ einstufen oder zur „Kontrolle“ freigeben – und sie so vom Hafen transportieren lassen. An diesem Punkt kam dann Hussein M. ins Spiel: Er rekrutierte und instruierte die Lkw-Fahrer. Die Container wurden unter anderem nach Seevetal oder Stade gebracht und entladen. All das geht aus Gerichtsunterlagen hervor, die der MOPO vorliegen.
Kartell-Mitglied nutzt Geld für Massagen und Prostituierte
Zunächst lief alles glatt. Das Geschäft florierte. Die Männer bargen kiloweise Kokain, das in Containern aus Südamerika geschmuggelt wurde. Ashraf M., Vater dreier Töchter, bekam für erfolgreiche Kokainbergungen mindestens 175.000 Euro.
Hussein M. verdiente mit der Koordination der Lkw-Fahrer mindestens 55.000 Euro. Und auch sein Bruder, ein kleines Licht in der Hierarchie, bekam für seine Dienste 7000 Euro, von denen er 5000 direkt investiert habe – in Massagen und Prostituierte, wie aus den Gerichtsunterlagen hervor ging.
Kartell-Schießerei in der Hansestadt
So schnell wie der Aufstieg folgte aber auch der Fall. Das Misstrauen innerhalb des Kartells wuchs. Im Februar 2020 erklärte Mehmet S. einem anderen Kartell-Mitglied „den Krieg“, wollte nie wieder mit diesem zusammenarbeiten. Den Ermittlern liegen lange Chatverläufe des Streits vor. In einem schreibt Ashraf M.: „Ich habe euch genommen wie ihr seid (…). Was ist mit euch passiert? Warum? Was war der Grund? Jeder erzählt mir über den anderen nur Schlechtes. Misstrauen über Misstrauen.“ Ende März kam es zu einem folgenschweren Konflikt – und Mehmet S. verärgerte „die Auftraggeber“.
Am 28. März 2020 traf wieder einmal ein Container aus Ecuador ein. Offizielle Ladung: 1080 Kisten Bananen. Schmuggelware: 381 Kilogrammblöcke Kokain. 20 Prozent der Ware, also 76 Kilogrammblöcke, nahm Mehmet S. an diesem Tag für seine Dienstleistungen an sich. Das missfiel „den Auftraggebern“. Sie waren überzeugt, man habe ihm nur 15 Prozent zugesagt. Die Folge: Ein Drogenkurier des Kartells wurde überfallen und entführt, das Kokain eingesackt.
Zur Klärung des Streits traf man sich Anfang April in einem Hamburger Kulturverein in der Fischbeker Heide. Mehmet S. stieß hier auf eine Gruppe Kolumbianer, die von „den Auftraggebern“ geschickt wurden. Alle waren bewaffnet. Mehmet S. schaffte es, die Kolumbianer zu besänftigen. Er bekam seinen Kurier frei, das Koks jedoch nicht zurück.
Ein paar Tage später trafen sich Mehmet S., seine Männer und ein „Vermittler“ der Auftraggeber erneut. Das Gespräch lief zunächst friedlich – doch im Anschluss eskalierte es: Kartell-Schießerei mitten in Hamburg! Allerdings nicht zwischen dem Vermittler und Mehmet S., sondern zwischen dessen eigenen Männern. Sie gingen plötzlich aufeinander los, einem Mann wurde durch die Hand geschossen, der Bruder von Hussein M. ins Bein getroffen.
Französische Ermittler bringen Koks-Kartell zu Fall
Nach dieser Eskalation sollte es für Mehmet S. und sein Kartell nicht mehr besser werden. Französische Ermittler knackten bereits im Frühjahr 2020 den verschlüsselten Messenger-Dienst EncroChat. Über diesen Kanal kommunizierten auch Mehmet S. und seine Kartell-Kollegen. „gunaction“ nannte er sich im Chat, Ashraf M. hieß „hafenmeister“, Hussein M. „millionstreet“.
Die Franzosen leiteten ihre Erkenntnisse an die deutschen Ermittler weiter. Im Dezember 2020 schlugen diese zu, durchsuchten mehrere Wohnungen, nahmen 15 Tatverdächtige fest und beschlagnahmten Drogen und Waffen.
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Mehmet S. und Ashraf M. wurden 2022 wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge schuldig gesprochen. Dazu kam unerlaubter Waffenbesitz. Von Mehmet S. wurde eine Pistole Walther mit zwei Magazinen in einem Erdloch im Wald in Quickborn gefunden.
Ashraf M. hatte eine Pistole Glock in einem Rucksack im Wohnzimmer, eine andere Pistole, einen Schalldämpfer und Munition im Rucksack auf dem Dachboden. Beide Männer wurden zu zwölf beziehungsweise zehn Jahren Haft verurteilt. Hussein M. bekam acht Jahre. Die Urteile sind mittlerweile rechtskräftig.