Verdienst, Schichten, Liefergebiete: So funktioniert das Drogen-Taxi-Geschäft
Schnelles Geld, dicke Autos, Luxus-Leben: Der Großhandel mit Drogen scheint vielen ein lohnendes Geschäft. Auch Aarian M. (25) lockte das Geld – doch er landete vor Gericht. Dort berichtet er aus dem Inneren eines großen Drogen-Taxi-Rings aus Hamburg. Eine Welt, weit weg von Glamour und Ruhm.
Schnelles Geld, dicke Autos, Luxusleben: Der Großhandel mit Drogen scheint vielen ein lohnendes Geschäft. Auch Aarian M. (25) lockte das Geld – doch er landete vor Gericht. Dort berichtet er aus dem Inneren eines großen Drogen-Taxi-Rings aus Hamburg. Eine Welt, weit weg von Glamour und Ruhm.
Aarian M. (25, Name geändert) wirkt müde. Seit Dienstag muss er sich wegen acht Fällen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln vor dem Landgericht Hamburg verantworten. Er will abschließen mit seiner Vergangenheit, ein neues Leben beginnen. Mit seiner Frau und seiner neugeborenen Tochter. „Die von mir begangenen Taten bereue ich sehr“, lässt er seinen Verteidiger vorlesen.
Hamburg: Angeklagter gibt tiefe Einblicke in Drogen-Taxi-Ring
Zwischen Januar und Juli 2021 hat Aarian M. als Fahrer für einen Drogen-Taxi-Ring gearbeitet. Er verkaufte Koks, Marihuana und Ecstasy. Ein Freund brachte ihn in die Szene, Aarian brauchte das Geld. Vor Gericht erzählt der Angeklagte, wie die Arbeit als Dealer in diesem System funktioniert.

Demnach gebe es eine klare Hierarchie in dem Drogenring, der wie eine Firma aufgebaut ist. Die Chefs halten sich im Hintergrund, ihnen untergeordnet ist das Personal für die Organisation und Kommunikation, dann kommen die Fahrer. Der Kontakt läuft über die Messenger-Dienste Signal und WhatsApp.
Die Chefs bestimmen, wie viele Drogen verkauft werden. Koks, Gras und Ecstasy werden den Fahrern vor der Schicht gebracht, wobei diese melden, ob sie noch etwas übrig haben. Wenn einem Kurier auf seiner Tour die Ware ausgeht, sollen seine Kollegen aushelfen. Ausverkauft gibt es nicht. Gegen den Geruch des Marihuanas haben die Fahrer der Drogen-Taxis eine schwarze Dose im Wagen.
Drogen-Taxis: Kuriere arbeiten im Schichtdienst
Der Drogenvertrieb ist als Schichtdienst organisiert. Die Frühschicht beginnt gegen acht oder neun Uhr, es folgt eine Tagesschicht und dann die Nachtschicht. Die Kuriere arbeiten in der Woche acht Stunden am Tag, am Wochenende zehn. Geliefert wird in Hamburg und im Umland, wobei die Preise variieren – im Umland ist es teurer als in der Innenstadt, wo das Geschäft floriert. Der Verkaufspreis ist vorgegeben, sagt Aarian M.: 50 Euro pro Verkaufseinheit, also für fünf Gramm Marihuana, ein sogenanntes Eppendorfer Gefäß mit 0,5 Gramm Kokain und mindestens sechs Ecstasy-Pillen. Der Drogen-Ring habe auch ein Belohnungssystem für seine Kunden gehabt, ähnlich dem Freigetränk durch Stempelkarten in Cafés. Wer fünf Bestellungen aufgibt, also im Wert von 250 Euro einkauft, bekommt eine Bestellung gratis.
Der Angeklagte setzt seine Erzählung fort: Die Hansestadt ist im Norden und Süden in verschiedene Liefergebiete unterteilt. Ist ein Kurier für das Gebiet Wandsbek oder Eimsbüttel eingeteilt, darf er dieses während seiner Schicht nicht verlassen. Die Adressen der Kunden bekommen die Fahrer von „Jimmy“ und „Flummi“, zwei Personen, die für die Kommunikation mit den Käufern zuständig sind. Am Schichtende müssen die Fahrer den Hintermännern die Erlöse melden. Ihr Gehalt bekommen sie zu Wochenbeginn, der Anteil: 20 Prozent vom Umsatz.
Für die Fahrten durch Hamburg musste Aarian M. sein eigenes Auto nutzen. Das Risiko trug er – kein geringes, bei den Mengen an Drogen, die er in der Hansestadt verteilte. Allein im Januar verkaufte er 30 Gramm Kokain, mindestens 300 Gramm Marihuana und 18 Ecstasy-Pillen, wobei diese in Hamburg am schlechtesten laufen, erzählt der Angeklagte. In der Zeit zwischen dem 27. Juni und dem 3. Juli verkaufte er 60 Gramm Kokain, 600 Gramm Marihuana und 42 Ecstasy-Pillen. Sein Verdienst? Vergleichsweise gering. Er habe pro Woche um die 1500 Euro verdient – je Umsatz natürlich.
Das Risiko tragen die Fahrer der Koks-Taxis
Zwischen den acht Fällen, die das Gericht ihm vorwirft, liegen längere Zeiträume. Der Grund: Die Fahrten hätten ihn gestresst. Die Angst, erwischt zu werden, war präsent, auch wenn man ihm versicherte, Drogenfahrten seien in Deutschland keine „schlimme Sache“. Wenn er geschnappt werde, würde man das für ihn regeln. Doch als er am 5. März tatsächlich in eine Polizeikontrolle kam, lief es anders: Die Beamten konfiszierten sein Auto und alle Drogen. Für seine Auftraggeber entstand ein Schaden von 6000 Euro. 2000 Euro werde man übernehmen, sagten seine Auftraggeber, 4000 Euro müsse er abarbeiten. Aarian M. wollte zu diesem Zeitpunkt bereits aussteigen, doch die Schulden zwangen ihn weiterzumachen.
Leon (Name geändert) war der Name von Aarian M. in den Chats des Vertriebs. Seit er 2014 nach Hamburg kam, spielte er in einem Fußballverein. Doch es gab zu viele Jungs mit seinem Namen, deshalb nannte ihn der Trainer kurzerhand Leon – da er „eh nicht wie ein Afghane, sondern wie ein Europäer aussehe“. Leon wurde sein Pseudonym in der Drogenszene.
Angeklagter wurde mit sechs Jahren Vollwaise
Vor Gericht wird das harte Leben von Aarian M. deutlich. Er wurde in Afghanistan geboren und mit sechs Jahren Vollwaise. Seine erwachsene Schwester nahm ihn zu sich, doch ihr Mann misshandelte den Jungen und sie floh mit ihm in den Iran. Sie organisierte ihm eine private Lehrerin, damit er lesen und schreiben lernt. An die Schule konnte er nicht, da er keine Papiere hatte. Mit zwölf Jahren befand die Schwester, dass er arbeiten müsse. Über einen Schleuser gelangte er in die Türkei, wo er schwere körperliche Arbeit leistete. Er floh über Italien nach Deutschland.
Hier besuchte er die Berufsschule, machte seinen Führerschein und wollte als Automechaniker und Lackierer arbeiten. Doch ein schwerer Autounfall, bei dem seine Hüfte brach, kam dazwischen. Die Geldnot trieb ihn letztendlich zu dem Drogenring.
„Eine Haftstrafe würde seinen Neuanfang zerstören“, heißt es am Dienstag vor Gericht. Der Angeklagte habe sich mittlerweile ein bürgerliches Leben mit seiner Frau und seinem Kind in einer anderen Stadt aufgebaut. Außerdem hätte Aarian M. früh und umfänglich gestanden, wodurch die Taten überhaupt erst aufgeklärt werden konnten. Durch seine Berichte über die Szene sei er zudem „Milieu-verbrannt“. Staatsanwaltschaft, Richterin und Verteidiger einigen sich auf eine Verständigung. Das Gericht sichert dem Angeklagten für dieses Entgegenkommen zu, beim Strafmaß zwischen einem Jahr und sieben Monaten und zwei Jahren auf Bewährung zu bleiben.
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Für den Prozess sind zwei weitere Verhandlungstermine angesetzt.