„Manchmal denke ich: Lasst mich alle in Ruhe!“ Wie es ist, polyamor zu leben
Saskia Michalski ist polyamor – das bedeutet: Saskia aus Hamburg ist mit mehreren Menschen gleichzeitig in einer Beziehung – und verheiratet mit der nonbinären Person Lui. In Workshops, einem Podcast, auf TikTok und Instagram klärt Saskia (30) über die Polyamorie auf. Die MOPO sprach mit der Expert:in über heilbare Eifersucht, ein bestimmtes Mantra – und über Feindseligkeiten aus der queeren Community.
Saskia Michalski ist polyamor. Das bedeutet: Saskia ist mit mehreren Menschen gleichzeitig in einer Beziehung – und verheiratet mit der nonbinären Person Lui. In Workshops, einem Podcast, auf TikTok und Instagram klärt Saskia (30) aus St. Pauli über die Polyamorie auf. Die MOPO sprach mit der Expert:in über heilbare Eifersucht, ein bestimmtes Mantra – und über Feindseligkeiten aus der queeren Community.
MOPO: Saskia, du hast Hunderttausende Follower:innen. Warum ist das Interesse an Polyamorie so groß?
Saskia Michalski: Wir hatten nie die Chance, Beziehungsmodelle zu hinterfragen. Man wird ja sozusagen in die Monogamie hineingeboren – wir kennen nichts anderes. Da gibt es dann viel Verwirrung: „Man kann doch nur einen Menschen lieben!“ Auf der anderen Seite ist da ganz viel Interesse von Menschen, die in monogamen Beziehungen nie die Chance hatten, über eigene Bedürfnisse zu sprechen.
Was können denn Menschen in monogamen Beziehungen von polyamoren Beziehungen lernen?
In einer polyamoren Beziehung müssen wir gezwungenermaßen über Dinge sprechen, über der man in der Monogamie nicht verhandelt – zum Beispiel beim Thema Eifersucht: „Was brauchst du, um dich geliebt zu fühlen? Was heißt es für dich zu betrügen?“ Das sind Fragen, die in der Monogamie nicht unbedingt üblich sind.
Muss man also in einer polyamoren Beziehung offener kommunizieren?
Das würde ich gar nicht unbedingt sagen – es liegt vielmehr an den Partner:innen. Eine polyamore Beziehung kann unglaublich in die Hose gehen, wenn die Partner:innen Absprachen nicht halten, Gefühle nicht benennen können, nicht transparent sind. Das gilt für monogame Beziehungen aber genauso. In einer polyamoren Beziehung ist die Bereitschaft wichtig, sich durch unangenehme Gefühle durchzuarbeiten, Rücksicht auf andere Bedürfnisse zu nehmen und sich dabei gleichzeitig nicht zu vergessen.

Ist dann eine polyamore Beziehung schwieriger als eine monogame?
Wenn man frisch in die Polyamorie kommt, dann ist es herausfordernder, ja. Aber die Polyamorie ist auch ein guter Lehrer, es ist wichtig, da reinzuwachsen. Die – vielleicht auch toxische – monogame Denkweise, dass die Partner:in einem gehört, oder dass der oder die andere meine Bedürfnisse erfüllen muss, zu entlernen, das ist harte Arbeit. Und das muss man auch wollen. Manchmal denke ich mir auch: „Och nö, ich will jetzt auf den Mond und lasst mich alle in Ruhe.“
„Wenn ich Eifersucht empfinde, ist das völlig normal für mich“
Ist Eifersucht ein ständiges Thema bei polyamoren Beziehungen oder konntest du dieses Gefühl im Laufe der Zeit ablegen?
Eifersucht ist in der Polyamorie auf jeden Fall da. Aber sie kommt und geht in Wellen. Wenn ich Eifersucht empfinde, ist das völlig normal für mich – der Umgang damit ist das entscheidende. Ich kenne meine Eifersucht zum Beispiel mittlerweile ganz genau. Meine größte Heilung war es für mich, darüber zu sprechen. Mir hat ein Mantra da total geholfen: „Ich will die Wahl sein und kein Muss.“ Ich möchte mit einem Menschen zusammen sein, weil sich dieser Mensch jeden Tag aufs Neue dazu entscheidet, mit mir in einer Beziehung zu sein.
Ihr habt auch die Trennung von einem Mann öffentlich kommuniziert: Habt ihr euch, weil ihr in der Öffentlichkeit steht, unter Druck gesetzt, die Beziehung fortzuführen?
Für mich war es immer wichtig, mich authentisch zu zeigen. Aber ich habe gemerkt, wie hässlich die Öffentlichkeit sein kann: Wenn du eine polyamore Trennung hast, dann ist immer das System schuld. Dann wird gesagt: „Das war ja klar, die Polyamorie kann nicht funktionieren.“ Aber es lag einfach nicht an der Lebensform, sondern an zwischenmenschlichen Problemen.

Ist das für dich verletzend gewesen, dass die Beziehungsform als Grund für die Trennung herangezogen wurde?
Ich bin da schon sehr resilient geworden, weil ich weiß, dass es nicht so ist. Was mich verletzt ist der Hate aus der queeren Community. Ich habe zum Beispiel Bi- und Transfeindlichkeit aus lesbischen Kreisen erlebt – wir haben ein Riesen-Problem mit Unterstützung und Akzeptanz innerhalb der Community.
Das könnte Sie auch interessieren: Freie Liebe? Immer mehr Jüngere sind scharf auf offene Beziehungen
Sind viele monogame Paare neidisch auf euch?
Ich kriege viele Nachrichten, in denen es heißt: „Ich bin seit zehn Jahren in einer Ehe, in der ich überhaupt nicht glücklich bin – aber ich habe das Gefühl, die Beziehung fortzuführen, weil ich mal geheiratet habe.“ Aber es muss nicht unbedingt Neid auf die Beziehungsform sein, sondern kann auch ein Defizit bei sich selbst sein.
Also haben viel insgeheim den Wunsch, in einer polyamoren Beziehung zu leben?
Ich glaube nicht, dass bei vielen der Wunsch da ist, eine Poly-Beziehung zu führen, sondern bei vielen ist der Wunsch da, sich in der Beziehung so zu zeigen, wie man wirklich ist. Mit allen Bedürfnissen, Gedanken und Wünschen – und zwar ohne dafür verurteilt zu werden.