Roncalli-Chef: „Ich sah die Trapezkünstlerin und konnte drei Nächte nicht schlafen“
Das güldene Schnörkel-Logo vom Zirkus Roncalli kennt wohl jeder, jetzt hat Zirkusdirektor Bernhard Paul (75) seine Biographie geschrieben: „Meine Reise zum Regenbogen“. Die MOPO sprach mit dem Roncalli-Gründer über ein unvergessliches Zirkuserlebnis als Sechsjähriger, über seine Freundschaft mit John Lennons erster Frau, warum er wegen des bevorstehenden Gastspiels in Hamburg „auf den Oarsch“ gefallen ist – und darüber, was der „Donauwalzer“ mit seiner Familiengeschichte zu tun hat.
Das güldene Schnörkel-Logo vom Zirkus Roncalli kennt wohl jeder, jetzt hat Zirkusdirektor Bernhard Paul (75) seine Biografie geschrieben: „Meine Reise zum Regenbogen“. Die MOPO sprach mit dem Roncalli-Gründer über ein unvergessliches Zirkuserlebnis als Sechsjähriger, über seine Freundschaft mit John Lennons erster Frau, warum er wegen des bevorstehenden Gastspiels in Hamburg „auf den Oarsch“ gefallen ist – und darüber, was der „Donauwalzer“ mit seiner Familiengeschichte zu tun hat.
MOPO: Herr Paul, wie ging das los mit Ihrer Liebe zum Zirkus?
Bernhard Paul: Ich war sechs Jahre alt, meine Eltern hatten kein Geld und ich wollte aber unbedingt in den Zirkus. Da habe ich geholfen, mit aufzubauen, habe Stühle getragen und durfte dann in der Loge sitzen. Ich blickte hoch und über mir war eine wunderschöne Trapezkünstlerin in Netzstrümpfen, die einen Spagat gemacht hat. So etwas hatte ich noch nie gesehen in unserem biederen Dorf, das war ein Kulturschock, ich war die nächsten drei Nächte schlaflos.
Was war das für ein biederes Dorf?
Es war ein kleines Industriedorf in Niederösterreich. 6000 Menschen. Es gab die Wilhelmsburger Porzellanfabrik und die Eisengießerei. Und um Punkt 12 Uhr läuteten die Kirchenglocken und die beiden Fabriksirenen. Dann war Mittag und links kamen 200 Arbeiter aus der Porzellanfabrik geradelt, weiß angestaubt wie a Guglhupf, und rechts 200 schwarze Arbeiter aus der Gießerei. Die fuhren in den Ortskern, vermischten sich, gingen in ihre Häuser und um ein Uhr ging alles retour, nur die Hände waren sauber und dann haben die sich wieder sortiert und sind in ihre Fabriken geradelt. Das hat mich als Kind jeden Tag fasziniert, das war eine Inszenierung, das habe ich später in eine Nummer mit weißen und schwarzen Pferden übersetzt.
Was haben ihre Eltern zu dieser erwachten Zirkusleidenschaft gesagt?
Meine Mutter sagte immer: „Wenn du nichts lernst, wirst du noch beim Zirkus enden.“ Ich bin ja sogar einmal mit dem Zirkus geflüchtet! Da haben mich die Kinder, die kannte ich ja aus der Schule, in einem Zirkuswagen mitgenommen und mein Vater wartete am Ortsausgang und hat mich wieder rausgeholt. Da habe ich zu den Zirkuskindern gesagt: Ich komme wieder. Und ich habe Wort gehalten, allerdings 25 Jahre später, da habe ich Roncalli gegründet.
Hat Ihr Erfolg als Roncalli-Gründer Ihre Eltern mit dem Zirkus versöhnt?
Als ich meiner Mutter sagte, dass der Spiegel sechs Seiten über mich gemacht hat, sagte sie: „Aber der Werner, der war in der St. Pöltener Zeitung.“ Werner, mein älterer Bruder, war für sie immer der Star. Der war Lehrer wie mein Großvater. Ich war ein unerwünschtes Kind für meine Mutter. ,Ich verfluche die Stunde, als dieses Kind zur Welt kam‘, hat sie gesagt, so ist die Überlieferung. Irgendwas muss da im Krieg passiert sein.
Was haben Sie bei ihren eigenen drei Kindern anders gemacht?
Die wurden ja in einen wunderschönen Traumzirkus geboren. Meine Frau kommt aus einer italienischen Zirkusfamilie und meine Kinder dachten, die ganze Welt ist so wie im Zirkus. Für sie und für die nächsten Generationen will ich den Zirkus als Kulturform retten.

Roncalli hat ja so einen nostalgischen Charme, haben Sie sich das ausgedacht?
Als ich als Kind zum ersten Mal einen Zirkus sah, blickte ich mit Liebe darauf. Und es gab ja keine Kamera, es gab nur diese verliebten Bilder in meinem Kopf. Die habe ich idealisiert über die Jahre und dann kam dieses Goldene, Verschnörkelte dabei heraus. So war Zirkus ja eigentlich nie, aber plötzlich war da etwas, was auch den phantasielosen Erwachsenen gefallen hat. Und jetzt hatten wir zum Saisonauftakt in Bonn 80.000 zahlende Gäste. Nur in Hamburg haben wir einen Knick im Vorverkauf.
Wegen dieses Hickhacks um die Moorweide?
Das war ja ein Wahnsinn! Wir sind fast 50 Jahre unterwegs und haben viel erlebt, wir waren in Moskau, aber trotzdem passieren noch immer Sachen, wo man auf den Oarsch fällt. Wir kennen die Moorweide in und auswendig, alle zwei Jahre sind wir da, wie ein Uhrwerk. Und dann kommt ein einzelner Grüner, der sagt, Roncalli ist ein kommerzielles Unternehmen, dabei sind wir ein Kulturbetrieb, wir kriegen bloß keine Subventionen. Jeder kennt Roncalli, wir sind von der EU als immaterielles Kulturerbe anerkannt und dann kommt so ein einzelner Grüner und bezichtigt uns klassenkämpferisch als Konzern!
Am Ende hat aber die Grüne Katharina Fegebank ein Machtwort gesprochen.
Ja, die hat uns gerettet! Danke vielmals, es sind ja nicht alle Grünen so, wie dieser eine. Also bitte, liebe Hamburger: Roncalli kommt vom 11. Mai bis 25. Juni nach Hamburg und zwar auf die Moorweide.
Und ohne Tiere. Die haben Sie 2018 abgeschafft, dabei bezeichneten Sie die Tierschutzorganisation Peta einmal als „Stradivari unter den Arschgeigen“. Wie passt das denn zusammen?
Die Abschaffung hatte doch mit Peta nichts zu tun! Nur mit den Tieren. In Köln etwa, da standen wir auf dem Kölner Neumarkt, mitten in der Stadt, auf Asphalt und direkt neben dem Zelt fuhr die Straßenbahn, da habe ich gedacht, das kann nicht gut sein für die Tiere und habe entschieden, sie abzuschaffen. Ich hatte eine Raubtierdressur, Pferde, ganz früher mal Elefanten. Aber ich habe das für die Tiere getan. Nicht für Peta. Schon als Kind tat mir der Zirkusbär leid, der in einem Käfig saß, so groß wie er selbst. Der webte den ganzen Tag, da habe ich mir gesagt: Sowas machst du nicht. Aber die von Peta haben uns Sachen vorgeworfen, die einfach nicht gestimmt haben. Wir hatten zum Beispiel im Varieté einen Zauberer, der hatte einen Goldfisch im Glas. Und da haben die gesagt, der arme Fisch ist den Blicken des Publikums ausgesetzt. Das ist doch geisteskrank, so ein Goldfisch hat ein Gedächtnis wie eine Eintagsfliege!

Stattdessen treten die Tiere nun als Hologramme auf.
Dreidimensionale Hologramme, dazu brauchst du elf Beamer, damit es plastisch wird. Das hat ein Vermögen gekostet, aber von Kindern bis zu alten Menschen, alle finden es gut, weil da kein Tier leiden muss.
Sie haben mit 75 Jahren ihre Biografie geschrieben. War das schon immer ein Plan?
Ich bin ja mit verschiedenen Talenten gesegnet, ich war Artdirektor bei „Profil“ in Österreich, habe Kunst studiert und war bei einer erfolgreichen Werbeagentur. Auf der anderen Seite habe ich Musik gemacht, Rock’n’Roll, ich habe mit den Lords gespielt, Schlagzeug und Keyboard. Und dann habe ich noch Hoch- und Tiefbau studiert und das Zirkuszelt mit der zu öffnenden Kuppel erfunden. Und dann wollte ich ja auch noch Clown werden. Wo kann ich all das verwirklichen? Musik, Kunst, Architektur, Clownerie? Als Zirkusdirektor! Und nun dachte ich, das muss ich alles mal aufschreiben, und zwar von der Geburt an. Mein Urgroßvater mütterlicherseits ist mit Johann Strauß zur Schule gegangen und hat das Libretto zum Donauwalzer geschrieben – und darum wird bei Roncalli zum Finale immer der Donauwalzer gespielt.
Sie haben ja auch Gott und die Welt kennengelernt als Zirkusdirektor.
Ich hatte als Kind Idole und plötzlich waren die da: Mit Heinz Rühmann habe ich eine Clownnummer gespielt und der Peter Alexander, mit dem war ich fischen. Caterina Valente, Karlheinz Böhm, Gerd Fröbe, die haben mir die dollsten G’schichten erzählt. Die Frau von John Lennon, Cynthia Lennon, die hat mir erzählt, wie sie mal nach Hause kam und Yoko Ono saß am Swimming Pool, solche Sachen. Das muss man doch aufschreiben.
Bernhard Paul: Meine Reise zum Regenbogen, Verlag Brandstätter, 288 Seiten, 26 Euro