Jan Delay zeigt sein Hamburg: Wo aus einem blassen Jungen der Chefstyler wurde
Von Neuenfelde aus eroberten die Absoluten Beginner um die Jahrtausendwende mit deutschsprachigem Hip-Hop die Musiklandschaft. 26 Jahre später kehrt Sänger Jan Delay an den Ort zurück, an dem alles begann – und begibt sich von dort aus gemeinsam mit MOPO-Chefredakteur Maik Koltermann und Chef Arist von Harpe auf einen Roadtrip in die eigene Vergangenheit. Die Tour führt zum U-Bahnhof Hoheluftbrücke, dem Knotenpunkt seiner Jugend, und geht weiter zu einem Jugendstilhaus in Eppendorf. Dort wuchs er seinerzeit unter ganz besonderen Bedingungen auf.
- Deutsch (Deutschland)
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Verrückt ist ja der Kontrast: Ein oller Backsteinwürfel mitten in der Pampa. Nincoper Straße. Apfelbäume, so weit das Auge reicht. Nirgendwo ist Hamburg dörflicher. Und ausgerechnet hier: Keimzelle von urbanen Mythen. Eine ganze Generation, angezündet für Rap auf Deutsch. Die meisten Hamburger wissen nicht mal, dass dies ein Teil ihrer Stadt ist. Gleichzeitig ist für große Teile der Generation X das genäselt-gesungene „Neuenfelde“ Teil ihrer Identität. Jetzt gerade regnet’s und Jan saugt an einem neuerdings legalen Stumpen.
„Bambule“ hieß das Album, erschienen 1998. Absolute Beginner hieß die Band. Und Jan Eißfeldt, der damals immer blasse Junge, der immer ein Käppi trug und dessen Augen immer nach langen Nächten aussahen, steht heute mit uns am Straßenrand. Erinnerungen. „Wir sind immer bis Landungsbrücken mit der Bahn gefahren, dann auf die Fähre bis Neuenfelde, dann hierher mit dem Bus.“ Am Anfang von „Bambule“ hört man den Kapitän der Fähre und das Piepen der Gangway, die runtergelassen wird. Die Herren haben die Anreise für die Materialsammlung verwendet.
Was Jan Delay mit Neuenfelde verbindet
Der Bäcker von damals: weg. „In dem Getränkemarkt da drüben haben wir damals ein Soli-Konzert gespielt, gegen die Airbus-Erweiterung.“ Der einstige Hausherr und Produzent Matthias wohnt jetzt neben dem ehemaligen Apfelspeicher, den er einst zu Wohnhaus und Studio ausgebaut hatte. Er musste raus, „Eigenbedarf“. Auch sein Nachname ist heute sehr vielen Endvierzigern ins Hirn gebrannt: „Arfmann, an den Reglern, macht den Shit tight“ (Aus dem Song „Hammerhart“).
Als ich meine Frau in München kennenlernte, war ihr Bruder entzückt über Infos aus erster Hand aus der Beginner-Stadt. Als MOPO-Chef Arist von Harpe, der uns auch auf diesem Roadtrip durch die Stadt fährt, noch in Düsseldorf wohnte, hörte er „Bambule“ aus dem Apfelspeicher und träumte von Hamburg. Das alles nur zur Einordnung. Die deutschlandweite Bedeutung. Die Strahlkraft. Der Impact. Weil nämlich diese kiffende Abiturienten-Truppe aus Eppendorf/Eimsbüttel/Lokstedt das ziemlich gut hinbekommen hatte mit den Beats und dem Scratching und den Reimen, als das hierzulande noch recht neu war. Knallte. Und war lässig. Eingängig und originell im Yin und Yang. Aber der Witz ist: So richtig groß wurde Jan erst später.
Nervt das eigentlich, wenn einen alle (gerade ich) immer vollquaken mit dem sentimentalen Kram von früher, frag’ ich, als wir zurückfahren Richtung City. Könnte schlimm sein, wenn danach nichts gekommen wäre, sagt Jan und listet Songs auf, Hits allemal. Karriere-Meilensteine. „Johnny“, „Ahnma“, „Eule“, „Klar“. Der 47-Jährige, der sich schon lange Jan Delay nennt und sein eigenes Ding macht, ist auch 26 Jahre später gut im Geschäft. Die Hallen wurden immer größer. Früher gehörte auch mal Stänkern, Abgrenzen und Attitüde zum guten Ton („Ich will nicht, dass ihr meine Lieder singt“). Jetzt, mit Funkband im Rücken, bietet der Familienvater Delay hauptsächlich Gute-Laune-Spaß für die ganze Familie. Live auch mal mit Stopptanz. Die Zeiten, sie ändern sich.
U-Bahn Hoheluftbrücke. Doch noch mal zurück. Der Knotenpunkt seiner Jugend. Jan wurde geboren in Eppendorf. Dann Kinderladen in Ottensen, weil’s da nicht so viel gekostet hat, die Eißfeldts hatten es nicht dicke. Was er in der Grundschule in Eppendorf erstmals spürte. Dann nach Eimsbüttel auf die Jahnschule (heute Ida-Ehre-Schule). Und von da in der 7. auf das Helene-Lange-Gymnasium nebenan.
Hoheluftbrücke war der Treffpunkt mit den Kumpels
In der Schule läuft’s okay. Die Hoheluftbrücke ist danach Treffpunkt mit den Kumpels, die später Rap-Kollegen werden. Jans Vater hat mit Freunden den ersten erschwinglichen Sampler gekauft, mit dem man Musikschnipsel erzeugen und in Schleifen abspielen konnte. „Ensoniq Mirage“. 1,6 Sekunden Samplezeit. Jan verschlang die Gebrauchsanleitung. „Und dann hab’ ich den Erwachsenen erklärt, wie das Ding funktioniert“, sagt er und lacht. Der Rest: ergab sich schnell. Der Public-Enemy- und Beastie-Boys-Fan wollte Beats machen. Und deutsch rappen, denn „auf Englisch hatte ich keinen Bock“. An der Hoheluftbrücke verkauften die Teenager ihre ersten Platten an Passanten, machten danach noch Fotos mit Pelzmänteln, den Klamotten seiner Eltern.
Jan Delay wuchs in legendärem Wohnprojekt in Eppendorf auf
Apropos Eltern. Wir sind weitergefahren, durch den Regen und stehen vor einem prächtigen Jugendstilhaus in Eppendorf. Haynstraße 1. Legendäres Wohnprojekt. In den wilden 70ern den Eigentümern durch die linke Mieter-Gemeinschaft quasi entrissen worden. Durch einen aberwitzig besonderen Mietvertrag, den einer der damaligen Bewohner, Jura-Student, ihnen untergejubelt hatte. Der Vertrag? „Unfickbar!“, sagt Jan. Und das ist sehr anerkennend gemeint. Die Folge: bis heute 3,25 Euro Miete pro Quadratmeter. Wer einziehen durfte, entschied die Hausgemeinschaft. Hier ist Jan Eißfeldt, Sohn eines Künstler-Paares (er Filmemacher, sie Foto-Künstlerin) aufgewachsen. Inzwischen gibt’s hier allerdings auch allerhand Eigentumswohnungen. Der Lauf der Dinge. „Lasst uns mal nicht so lange hier herumstehen“, sagt er zu uns MOPO-Leuten. „Ich will hier nicht so einen Medienzirkus machen …“
Wir fahren dann los und reden über Politik. Und da geht’s manchmal wild zu bei Jan Delay. Früher hat er mal einen Reggae-Song namens „Söhne Stammheims“ gemacht, aus dessen Text nicht wenige eine romantische Verklärung der RAF herauslasen. Das gab damals Ärger. Und heute, da RAF-Rentner wieder in den Schlagzeilen sind, fragen wir, ob sich sein Blick aufs Thema verändert hat. „Nee“, sagt er, „gar nicht“. Und spricht davon, dass das ja krass sei, dass Leute selbstlos ihr Leben in die Waagschale geworfen hätten, gegen die Ungerechtigkeit, die Menschen auf der anderen Seite der Welt angetan werde. Über die Art und Weise könne man aber natürlich streiten.
Da ist man dann baff, weil das nach linksradikaler Mottenkiste klingt. Und das ja bei ihm ganz einfach unter einen Hut zu passen scheint mit einem Faible für Markenklamotten und anderen Annehmlichkeiten des Kapitalismus. Neulich, erzählt der noch frische Führerschein-Inhaber, habe er noch einen Elektro-Mercedes gefahren.
Lob für Jürgen Trittin
Sieht er sich denn als politischer Mensch? Am Betrieb interessiert? Wählen gehen? Parteien? Die Ampel? „Schon. Niederes Grundlevel, würde ich sagen. Für mich als Laien gibt es aber wenig Politiker, die konkret etwas verändert haben, so dass ich davon etwas gemerkt habe. Kann ich an einer Hand abzählen. Und umso mehr ist man desillusioniert von diesen Legislaturperioden-Junkies.“ Jürgen Trittin sei aber zum Beispiel eine Ausnahme. Dosenpfand. Gegen alle Widerstände durchgezogen. „Ganz groß.“
Und später lobt er auch noch Modern Talking. Man staunt.
Sechs Jahre lebte Jan Delay in Berlin
Aber natürlich nicht beim Thema Hamburg-Liebe. Sechs Jahre hat er in Berlin gelebt. Der Liebe wegen. Seit Corona ist er zurück. Was hat er in Berlin am meisten vermisst? „Alles. Das Grün. Das Blau. Also: das Wasser. Die Lebensqualität. Die Schönheit. Und dass man lauter Leute von früher trifft. Das hab’ ich sehr genossen. Und das freut mich heute, da ich es lange nicht hatte, mehr als vorher.“
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Was macht denn Hamburgs Lebensqualität aus, im Vergleich zu Berlin? „Bäume! Ich saß mit Dennis in Berlin im Auto und meinte zu ihm: Alter, hier sind nirgends Bäume! Hier in Hamburg bist du hingegen in 30 Minuten raus und im Grünen.“ Und manchmal sind’s sogar Apfelplantagen.