Risse, Löcher, Schimmel: Pannen-Baustelle in Hamburg – Mieter klagen über Pfusch
Stellen Sie sich vor, Ihr Vermieter eröffnet Ihnen, das Haus werde saniert und deshalb müssten sie für vier Wochen raus. Und als Sie endlich wieder zurück in Ihre Wohnung dürfen, möchten Sie am liebsten gleich wieder gehen, so furchtbar sind die Zustände. Gibt’s nicht? Gibt’s doch! In Lohbrügge.
Stellen Sie sich vor, Ihr Vermieter eröffnet Ihnen, das Haus werde saniert und deshalb müssten sie für vier Wochen raus. Und als Sie endlich wieder zurück in Ihre Wohnung dürfen, möchten Sie am liebsten gleich wieder gehen, so furchtbar sind die Zustände. Gibt‘s nicht? Gibt’s doch! In Lohbrügge.
Die 80-jährige Karin Joswig ist froh, als die MOPO kommt, um sich anzusehen, in welchem Zustand sich ihre Wohnung befindet. Sie führt uns in ihr Schlafzimmer und zeigt auf den Bereich über dem Fenster: von rechts nach links alles grau. Schimmel! Weiter ins Wohnzimmer: Die Wände übersät mit Rissen. Auch im Bad: Direkt über der Dusche klafft ein Loch in der Decke. In der Duschwanne liegt der herabgerieselte Putz …

Die Häuser aus den 60er Jahren sollen um eine Etage aufgestockt werden
Wir befinden uns in der Goerdelerstraße in Lohbrügge, eine 1964 erbaute Wohnanlage mit 72 Wohnungen, die der gemeinnützigen Baugenossenschaft Bergedorf-Bille gehört. Seit Monaten werden die Gebäude Goerdelerstraße 1a bis 7c saniert. Ein Mammut-Projekt: Auf die bestehenden Gebäude werden 24 Neubauwohnungen aus Holz aufgesetzt. Bei dieser Gelegenheit modernisiert die Genossenschaft auch gleich die Fassaden und die Versorgungsleitungen.
Der größte Teil der Arbeiten findet statt, während die Bewohner anwesend sind. Das bedeutet: Lärm, Schmutz, Staub, Ärger. Ausquartiert werden die Menschen nur für den Zeitraum, in dem die Steigleitungen erneuert werden und die Sanierung der Bäder und Küchen erfolgt. „Ich habe meinen Augen nicht getraut, als ich meine Wohnung wiedersah“, erzählt Karin Joswig, die am 24. Februar nach rund vier Wochen in ihre Wohnung zurückkehrte.

Karin Joswig beklagt Schimmel, Risse, Löcher in den Wänden
Karin Joswigs Mängelliste ist zwei DIN-A4-Seiten lang: Wände beschmiert, Lichtschalter beschädigt, Wasserschäden, zerkratzte Fußleisten und Türrahmen. Anders als versprochen ist statt einer neuen die alte Küche wieder eingebaut worden. Am schlimmsten aber: der bereits erwähnte Schimmel, die Risse und Löcher an Wänden und Decken. Die Frage stellt sich: Was war hier los? Und hat hier allen Ernstes ein Bauleiter die Arbeiten abgenommen?

Karin Joswigs Fall ist wohl der gravierendste, der einzige ist er nicht. Weitere Bewohner haben sich hilfesuchend an den Mieterverein zu Hamburg gewandt: Wie zum Beispiel die 30-jährige Erzieherin Annika Dopp, die statt nach vier Wochen erst nach sechs Monaten zurück in ihre Wohnung konnte – um dann reines Chaos vorzufinden. „Mein Keller stand unter Wasser. Jede Menge Mängel auch in der Wohnung selbst: Feuchtigkeitsschäden, außerdem stümperhaft ausgeführte Maler- und Tapezierarbeiten, im Bad eine elektrische Entlüftung, die nicht funktioniert.“ Vor allem aber: „Die Verantwortlichen von der Genossenschaft weigerten sich, Herd und Kühlschrank, die sie ins Wohnzimmer geräumt hatten, wieder in der Küche anzuschließen. Da habe ich denen gesagt: Dann kann ich auch nicht wieder einziehen.“
„Ich war nicht vier Wochen ausquartiert, sondern sechs Monate“

Der dritte Fall: Helga Böttcher. Die 76-Jährige frotzelt, dass die Handwerker in ihrer Wohnung offenbar „Zerstörungspartys“ gefeiert hätten. In der Küche sind Waschmaschine, Dunstabzugshaube, Kühlschrank und Tiefkühlschrank beschädigt. Es gibt zwar neue Fliesen, aber die Fugen sind teils nicht gemacht. Dafür hat der Maler die Deckenlampe einfach mitangemalt. Im Schlafzimmer und im Keller gibt es Risse in den Wänden.
Pleiten, Pech und Pannen bestimmen das gesamte Sanierungsprojekt in der Goerdelerstraße. Im vergangenen April lösten Dachdecker beim Verschweißen von Bitumenbahnen auf dem Flachdach einen Dachstuhlbrand aus. Durch Löschwasser wurden vier Wohnungen unbewohnbar.
Im Juni die nächste Katastrophe: Bei Starkregen versagte die Notabdichtung der Dächer. Da Arbeiten mangelhaft ausgeführt worden waren, liefen die Versorgungsschächte der Häuser mit Wasser voll – vermutlich die Ursache für Feuchtigkeitsschäden und Schimmel in den Wohnungen.

Helga Böttcher: „Bei mir haben die Bauarbeiter eine Zerstörungsparty gefeiert“
Die MOPO konfrontiert Sabine Semprich, Pressesprecherin der Baugenossenschaft Bergedorf-Bille, mit den Vorwürfen. Sie spielt die Probleme herunter. Aus Sicht der Genossenschaft gebe es „nur noch kleinere Mängel, die im Nachgang behoben werden. Dazu gehören auch die von Ihnen aufgeführten.“
Mit den drei Damen Dopp, Joswig und Böttcher „sind wir im Gespräch“. Die Spannungsrisse in Karin Joswigs Wohnung seien durch „neue Belastungen am und im Gebäude“ entstanden. Ein Statiker habe bestätigt, dass sie ungefährlich seien. Eine Sanierung mache aber erst nach Abschluss der Aufstockung Sinn, denn so lange Bewegung im Gebäude sei, würden neue Risse auftreten.

Aus Sicht des Mietervereins ist die Situation bei weitem nicht so harmlos. Er weist daraufhin, dass Mieter Minderungs-, Aufwendungs- und Schadenersatzansprüche haben. „Eine Mietminderung ist auch in einer Genossenschaftswohnung kein Privileg, sondern lediglich Ausgleich der erlittenen Wohnwertbeeinträchtigung“, so die Mietrechtsexpertin Jasmin Renke. „Aktuell werden die Bewohner für die Verzögerung weiter auf eine nicht näher angemessene Entschädigung nach Abschluss der Baumaßnahmen vertröstet. Minderungen müssen derzeit gegen den Willen der Genossenschaft durchgesetzt werden.“ Zwar habe beispielsweise Annika Dopp zu Beginn 1500 Euro dafür erhalten, dass sie sich für vier Wochen selbst eine Ersatzunterkunft suchte. „Aber da sechs Monate daraus wurden, kann es bei diesem Betrag nicht bleiben“, so Renke.
Mieterverein fordert Entschädigung und Mietminderung
Renke kritisiert, dass die komplette Baumaßnahme und auch die Kommunikation der Genossenschaft chaotisch seien. „Dauernd haben es die Bewohner mit neuen Ansprechpartnern zu tun. Weil sie zu einem bestimmten Zeitpunkt in der Wohnung sein sollen, nehmen sie Urlaub – und dann kommt keiner; oder zu spät oder für bereits erledigte Maßnahmen doppelt und dreifach. Die interne Dokumentation ist schlecht und Versprechungen werden nicht gehalten.“

Mit Ärger, Dreck und Baulärm müssen die Menschen in der Goerdelerstraße noch eine ziemlich lange Zeit leben. Das Projekt ist zeitlich in Verzug geraten. Mit eineinhalb Jahren Bauzeit war kalkuliert worden, jetzt werden es zwei. Die Genossenschaft rechnet damit, dass die Bauarbeiten bis August 2024 fertig sein werden. Wenn nicht wieder Feuer oder Starkregen oder was anderes dazwischenkommt.