Rauchfleisch bis Pannfisch: Die wahre Geschichte hinter Hamburger Klassikern
Rauchfleisch, Roter Heringssalat, Franzbrötchen – Hamburgs Küche hat viele Spezialitäten zu bieten. Doch wie sind diese eigentlich entstanden und welche spannenden Geschichte ranken sich um sie? Food-Journalist Jens Mecklenburg hat es der MOPO verraten. Der 62-Jährige forscht seit 23 Jahren an Gastro-Themen und betreibt das Online-Magazin „Norddeutsche Esskultur“. Warum Aalsuppe anfangs gar keinen Fisch enthielt. Welches norddeutsche Gericht als Vorläufer des Burgers gilt. Und warum die so gelobte Mai-Scholle im Sommer eigentlich viel besser schmeckt.
Rauchfleisch, Roter Heringssalat, Franzbrötchen – Hamburgs Küche hat viele Spezialitäten zu bieten. Doch wie sind diese eigentlich entstanden und welche spannenden Geschichte ranken sich um sie? Food-Journalist Jens Mecklenburg hat es der MOPO verraten. Der 62-Jährige forscht seit 23 Jahren über Gastro-Themen und betreibt das Online-Magazin „Norddeutsche Esskultur“. Warum Aalsuppe anfangs gar keinen Fisch enthielt. Welches norddeutsche Gericht als Vorläufer des Burgers gilt. Und warum die so gelobte Mai-Scholle im Sommer eigentlich viel besser schmeckt.
Franzbrötchen: Eine Erfindung aus Altona

Das Franzbrötchen ist eines der wenigen Rezepte, die nachweislich in Hamburg erfunden wurden. Ein Bäcker aus Altona hat das Plundergebäck im 19. Jahrhundert zum ersten Mal kreiert. Damals gab es schon Croissants in Hamburg, denn was viele nicht wissen: Hamburg war von 1806 bis 1814 von Napoleons Truppen besetzt, und die brachten das Croissant mit in die Hansestadt. Außerdem war hier schon das Gebäck Kopenhagener aus Dänemark bekannt. Der Altonaer Bäcker mischte einfach beide Rezepte zusammen – die viele Butter aus dem Croissant und den Zimt-Geschmack aus dem Kopenhagener – das Franzbrötchen war geboren.
Steckrübeneintopf: Darum war er lange verpönt

Im Ersten Weltkrieg gab es in Hamburg quasi nur noch Steckrüben, auch Kohlrüben genannt, zu essen. Der Mangel an anderen Lebensmitteln wie Kartoffeln oder Getreide war groß. Der Winter 1916/17 wurde deshalb auch „Kohlrübenwinter“ genannt. Nach dem Krieg hatten die Leute von Steckrüben erst mal die Schnauze voll – das Gemüse war jahrzehntelang verpönt. Erst ab den 50er Jahren wurde es wieder beliebt. Heute gehören Steckrüben zum Hamburger Traditionsgericht „Hamburger National“, das eine Variante des norddeutschen Steckrübeneintopfs ist – mit Kartoffeln, Möhren und geräuchertem oder gepökeltem Schweinefleisch.
Rauchfleisch: Beliebter Proviant der Seemänner

Rauchfleisch ist die Oberschale vom Rind, die gepökelt und geräuchert und so lange haltbar gemacht wird. Früher war es deshalb ein beliebter Proviant der Seemänner. Schon seit Mitte des 19. Jahrhunderts ist es eine Spezialität in Hamburg. Ob es hier auch erfunden wurde, ist nicht nachweisbar. Was aber der Hamburger Küche zugeschrieben wird, sind die Klößchen aus Rauchfleisch, die mit Milch, Semmelbröseln, Butter und Eiern gekocht werden. Der berühmte Dichter Heinrich Heine war ein großer Rauchfleisch-Fan und beschrieb es als „für den Menschen heilsame Erfindung“. Überschwänglich lobte er: „Was bedeutet die Buchdruckerei und die Reformation im Vergleich mit Rauchfleisch?!“
Rundstück warm: Die Urform des Burgers

Das Gericht „Rundstück warm“ ist die Urform des Burgers. Das einfache Rezept: Kaltes Bratenfleisch auf ein aufgeschnittenes Brötchen legen, darüber warme, dunkle Bratensoße gießen. Es war viele Jahre ein typisches Montagsessen, für das die Reste vom Sonntagsbraten genutzt wurden. Schon im 17. Jahrhundert sollen Metzger „Rundstück warm“ verkauft haben. Doch in die Restaurants brachte das Gericht Robert Renning, Wirt auf der Reeperbahn: 1890 bestellte ein Hafenarbeiter bei ihm warmen Schweinebraten. Renning servierte aber die kalten Bratenreste, goss warme Soße drüber und gab ein Brötchen dazu. Der Bierhaus-Betreiber Heinrich Heckel übernahm das Kiez-Restaurant später und behauptete, das Gericht sei seine Erfindung.
Pannfisch: Früher Not-Essen, heute in Sterneküchen

Der Pannfisch ist ein Hamburger Traditionsgericht. Seit 1923 taucht es in Kochbüchern auf: Dafür wurden Fischreste, zum Beispiel Hering, Kabeljau, Scholle oder Aal, in Brühe gegart, mit Bratkartoffeln in der Pfanne gemischt und mit einer scharfen Senfsoße serviert. Früher sollte diese Soße den muffeligen Geschmack des oft schon verdorbenen Fisches möglichst elegant überdecken. Das Gericht sprach sich auch beim Bürgertum herum – es nutzte dafür aber natürlich keine Reste, sondern Fischfilet. Zudem wurden erste Kühlketten entwickelt. Und aus dem Not-Essen wurde eine Hamburger Spezialität, die heute sogar Spitzen- und Sterneköche servieren.
Finkenwerder Scholle: Im Sommer am leckersten

Die Fischer der Elbinsel Finkenwerder fuhren immer ab April raus zu den Fanggründen in der Nordsee. Von dort brachten sie Schollen mit, die schon damals mit Bratkartoffeln und Speck gegessen wurden. Ein Mythos ist allerdings, dass diese ersten Mai-Schollen am besten schmecken. Eigentlich sind die Fische dann nämlich noch völlig entkräftet vom Laichen und schmecken wässrig. Richtig gut schmecken Schollen erst im Sommer. Man geht davon aus, dass die Holländer diesen Mai-Mythos mal vor Jahrzehnten als Marketing-Gag verbreitet haben – der sich bis heute hartnäckig hält.
Stint: Warum er auch Gurkenfisch genannt wird

Stint gibt es heute kaum noch. Im 19. Jahrhundert war er allerdings eine richtige Plage. Der Fisch war so massenhaft in der Elbe vorhanden, dass man ihn einfach so mit Netzen herausfischen konnte. Bauern haben ihn deshalb sogar als Viehfutter oder als Dünger für die Felder genutzt. Und was viele nicht wissen: Stint wird auch als Gurkenfisch bezeichnet, weil er leicht nach dem Gemüse schmeckt.
Brauner Kuchen: Traditionsgebäck aus Altona
Braune Kuchen sind eine Spezialität, die auch tatsächlich in Hamburg erfunden wurde. Der Altonaer Konditor Johann Kemm hat sie 1782 entwickelt. Bis heute werden seine Kekse als „Kemmsche Kuchen“ produziert und als Hamburger Traditionsgebäck verkauft, das besonders zur Weihnachtszeit beliebt ist. Kurios: Seit 1920 wird der Keks auch gern zum Frühstück gegessen – ein halbes Brötchen oder eine Scheibe Weißbrot wird mit Butter bestrichen, dann kommt der Braune Kuchen als Belag darauf.
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Aalsuppe: Früher war gar kein Fisch drin
Aalsuppe wird seit Mitte des 18. Jahrhunderts gegessen. Es war ein Sommer-Gericht, in das alles hineingeschnippelt wurde, was der Garten hergab: Möhren, Steckrüben, Bohnen und Kräuter wie Basilikum, Majoran und Petersilie. Auch Backobst war und ist eine beliebte Zutat. Anfangs enthielt die Suppe nicht mal Aal! Man vermutet, dass der Name sich davon ableitet, dass in diese Suppe „allens rinkümmt“ („alles hineinkommt“). Die Zusammensetzung der Zutaten war so durcheinander, dass der Gastrosoph Carl Friedrich von Rumohr sie als „chaotische Mengung“ bezeichnete. Erst das Bürgertum hat später zu dem „Arme-Leute-Essen“ auch Aal hinzugefügt.
Roter Heringssalat: Warum er früher scheußlich schmeckte

Hering gab es in der Elbe früher in Massen und war relativ leicht zu fangen – deshalb galt er als Essen für die armen Menschen. Der Fisch war ein typisches Weihnachts- und Silvesteressen, denn seine Schuppen sollten Glück bringen. In einem Rezept von 1800 taucht schon der Rote Heringssalat aus Salzhering, Roter Bete und Mayonnaise auf. Ihn aßen die armen Leute zu besonderen Anlässen. Das Bürgertum wollte sich daraus etwas „Anständiges“ mit teuren Zutaten machen – und gab auch Kalbsbraten, Rinderzunge und Kapern mit hinein. Eine Kombination, die eigentlich scheußlich geschmeckt haben muss …

Noch mehr Gastro-Anekdoten erzählt Jens Mecklenburg in seinem Buch „Das neue Hamburg Kochbuch“, das im Februar als erweiterte Neuauflage erscheint. Mit Rezepten für typische Hamburger Gerichte mit Neuinterpretationen von Thomas Sampl und Einkaufstipps (KJM Verlag, 264 Seiten, 34 Euro).