Raketen und Proteste in Israel: Tschentscher besucht ein Land im Ausnahmezustand
Es sind verdammt schwierige Zeiten, die sich Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), der amtierende Bundesratspräsident, ausgesucht hat, um Israel zu besuchen. Jede Minute müssen Bürger in Tel Aviv und anderen Städten damit rechnen, dass aus dem Gazastreifen Raketen abgeschossen werden und ein Luftalarm sie in die Bunker treibt. Gleichzeitig spaltet die Regierung Netanjahu das Land. Keine Regierung Israels war je so rechtsgerichtet.
Es sind verdammt schwierige Zeiten, die sich Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD), der amtierende Bundesratspräsident, ausgesucht hat, um Israel zu besuchen. Jede Minute müssen Bürger in Tel Aviv und anderen Städten damit rechnen, dass aus dem Gazastreifen Raketen abgeschossen werden und ein Luftalarm sie in die Bunker treibt. Gleichzeitig spaltet die Regierung Netanjahu das Land. Keine Regierung Israels war je so rechtsgerichtet.
Tschentscher kommt aus Anlass des 75-jährigen Gründungsjubiläums des Staates Israel. Er trifft Vertreter der Opposition wie Benny Gantz, den ehemaligen Verteidigungsminister und Ministerpräsidenten, sowie Jair Lapid, den Oppositionsführer, ist am Mittwoch aber auch mit Benjamin „Bibi“ Netanjahu zusammengetroffen, dem aktuellen Regierungschef. Tschentscher wie Netanjahu betonten die Bedeutung der deutsch-israelischen Freundschaft. Nettigkeiten wurden ausgetauscht. Hinter verschlossenen Türen hat Tschentscher aber auch Tacheles geredet und seine Sorgen über die geplante Justizreform geäußert. Netanjahu verteidigte die Reform, versicherte, dass die Demokratie in Israel nicht zur Disposition stehe. Eine Stunde und 15 Minuten Zeit nahm sich der israelische Premier für den Gast aus Deutschland – viel länger als geplant.

Tschentscher trifft auf Netanjahu, der die Demokratie in Israel aushöhlen will
Nach Überzeugung der israelischen Opposition ist die Justizreform der Versuch Netanjahus, den Staat Israel autoritär umzubauen, die Demokratie auszuhöhlen. Ziel sei es, das Oberste Gericht, das wichtigste Korrektiv der israelischen Regierung, zu entmachten, um anschließend ungestört etwa den Siedlungsbau in den besetzten palästinensischen Gebieten vorantreiben zu können. Zwar ist diese „Reform“ vorerst ausgesetzt, aber das hindert große Teile der Bevölkerung nicht daran, jeden Samstag zu Zigtausenden auf die Straße zu gehen. Und manchmal auch an anderen Wochentagen.
Als am Dienstag der deutsche Botschafter Steffen Seibert, ehemaliger Sprecher der Regierung Merkel, zu einem Empfang in seine Residenz einlud, standen plötzlich Hunderte Demonstranten vor der Tür, schwenkten israelische Fahnen und riefen wieder und wieder das Wort, das ihnen so wichtig ist: „Demokratie!“ Warum sie das ausgerechnet beim deutschen Botschafter taten, der nie einen Zweifel daran gelassen hat, was er von den Plänen Netanjahus hält, bleibt ein Rätsel. Aber so bekam Bürgermeister Tschentscher die Stimmung im Land aus unmittelbarer Nähe mit, denn auch er und seine rund 35-köpfige Delegation waren zum Empfang geladen.
Noch nie wurde Israel so rechts regiert wie heute
Inzwischen ist es nicht mehr alleine die Justizreform, die Netanjahus Gegner empört. Mindestens genauso scharf wird kritisiert, dass er sich gerade mit viel Geld den Zusammenhalt seiner rechts-religiösen Koalition erkauft hat. Er gab bei der Verabschiedung des Staatshaushalts den Forderungen zweier Koalitionspartner nach: Die Parteien Vereinigtes Thora-Judentum (UTJ) und Jüdische Stärke hatten Hunderte Millionen Schekel zusätzlich für bestimmte Ministerien verlangt – und haben sie erhalten. Fachleute kritisieren diesen Geldregen, der nun über jüdischen Religionsstudenten niedergehen soll, die sich, statt zu arbeiten, rund um die Uhr mit religiösen Fragen beschäftigen. Deren Alimentierung werde Israel ökonomisch nicht voranbringen, sondern dem Land schweren Schaden zufügen, so die Kritiker.

Das könnte Sie auch interessieren: Tschentscher erlebt in Israel die Zukunft der Medizin
Die Opposition spricht von einer „Kapitulation“ Netanjahus vor seinen Koalitionspartnern. Auch die Protestbewegung, die sich über den Widerstand gegen die Justizreform geformt hatte, greift das Thema auf. Gerade unter den jungen, westlich orientierten Eliten Israels, die beispielsweise in den zahlreichen Start-ups arbeiten, wächst die Unzufriedenheit mit der politischen Lage. Manche kündigen an, das Land so schnell wie möglich verlassen zu wollen, wenn es mit der Demokratie bergab geht. Ein Unternehmer aus der Hightech-Branche drückte kürzlich aus, was viele denken: „Unsere DNA ist demokratisch und liberal. Wir wollen ein Leben in Freiheit und uns nicht vorschreiben lassen, was wir zu tun haben.“
Israelis kennen die Gefahr: Jede Sekunde kann eine Rakete in Tel Aviv einschlagen
Als wäre es nicht genug, dass in Israel die Freiheit zur Disposition steht, wird das Land auch noch von außen bedroht: Zuletzt vor drei Wochen feuerten palästinensische Terrororganisationen mehr als 300 Geschosse auf den jüdischen Staat ab. Eine Vergeltungsaktion für einen vorausgegangenen Angriff der israelischen Armee, bei dem im Gazastreifen Menschen ums Leben gekommen waren. Wieder einmal schaukelt sich die Lage hoch. Das Land kommt auch im 75. Jahr seines Bestehens nicht zur Ruhe. Jeden Moment könnte ein neuer Raketenangriff erfolgen. Niemand weiß, wann. Die Israelis haben gelernt, mit dieser Gefahr umzugehen.
Was getan werden muss, damit endlich Frieden herrscht im Nahen Osten, das wird sicher Thema sein, wenn der Hamburger Erste Bürgermeister am Donnerstag die palästinensischen Gebiete besucht. Gespräche mit Mahmoud Abbas, dem Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde, dem palästinensischen Premierminister Mohammed Shtayyeh und dem palästinensischen Außenminister Riad al-Maliki stehen auf dem Besuchsprogramm. Freitag reist Tschentscher wieder zurück nach Hamburg.