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  • Foto: Agentur Stern

Psychische Extremsituation: Wie schaffen wir es unbeschadet durch die Corona-Krise?

Hamburg befindet sich im Ausnahmezustand, für viele bedeutet die Corona-Krise auch eine psychische Extremsituation: Existenzängste und Isolation bei den einen, Überforderung und Druck bei den anderen. Die MOPO hat sich mit der Hamburger Ärztin und Therapeutin Mirriam Prieß darüber unterhalten, was wir jetzt tun können, um an der Krise nicht zu zerbrechen.

MOPO: Frau Dr. Prieß, wie schätzen Sie die psychische Belastung derer ein, die die Gesellschaft im Moment am Laufen halten?

Dr. Mirriam Prieß: Krisen und psychische Belastungen können nur bestanden werden, indem wir unser inneres Gleichgewicht finden – ein Gleichgewicht zwischen Ich, Du und Wir – und dadurch mit uns selbst, mit anderen und auch mit der Krise „in den Dialog“ treten. Menschen in sozialen Berufen oder Verkäuferinnen sind in dieser Krisenzeit mehr bei anderen als bei sich selbst. Die Gefahr ist, dass sie sich selbst dabei verlieren. Auch wenn es unmöglich erscheint, braucht es Pausen, um Kraft zu schöpfen und nicht auszubrennen.

Wie können diese Berufgruppen im Job mehr auf sich achten?

Wichtig ist, auf die eigenen Grenzen zu achten, also mit sich selbst im Dialog zu bleiben. Auch, wenn es manchmal unmöglich erscheint in dieser Situation. Wichtig ist es zudem, anzuerkennen, dass ich mein Bestmögliches geben kann – aber nicht mehr. Manchmal hilft es, einmal zurückzutreten, tief Luft zu holen und erst dann weiterzumachen. Sich bewusst zu machen, dass man nicht allein ist und gemeinsam, im Miteinander, die Kraft finden, die Situation zu bewältigen. Der Austausch mit Kollegen ist zentral und hilft bei einer drohenden Überforderung. 

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Wie können wir als Gesellschaft dabei helfen?

Wir wirken der Angst und Panik entgegen, indem wir eine Atmosphäre des Dialogs schaffen. Das heißt Interesse, Offenheit und Mitgefühl zeigen, aktiv Respekt und Wertschätzung entgegenbringen – uns selbst, aber auch anderen gegenüber. Es kommt auf die Haltung an: In einer unmenschlichen Belastungssituation braucht es eine menschliche Atmosphäre, um das Unmenschliche zu bewältigen. Das heißt: Die Scheuklappen ablegen und nicht nur sich selbst im Fokus haben. Dort, wo direkte Unterstützung möglich ist, diese anbieten. Vor Ort dafür sorgen, die Regeln einzuhalten. Das ist auch Ausdruck von Respekt und Wertschätzung.

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Wie komme ich mit Kurzarbeit oder dem Verlust des Jobs klar?

Um einer Krise zu begegnen, braucht es psychische Widerstandskraft. Die sogenannte Resilienz entsteht durch die Fähigkeit, anzunehmen, was ist, und das Bestmögliche daraus zu machen. Das gilt auch für diese Situation. Wenn ich jetzt durch diese Krise Pleite gegangen bin, dann lässt sich das nicht mehr ändern. Dagegen zu kämpfen, macht es nicht besser. Im Gegenteil: Wer gegen Realitäten kämpft, erschöpft sich. Viel wichtiger ist, die Kraft für Alternativen und Lösungen zu nutzen. Wie kann ich diese Situation jetzt für mich bewältigen? Was brauche ich? Für eine Krisenbewältigung ist es auch wichtig, die Gefühle zuzulassen. Angst, Trauer und Wut nicht zu verdrängen, sondern zu fühlen und darüber zu sprechen. Erst wenn wir Gefühle wirklich zulassen und fühlen, können wir Belastungssituationen verarbeiten, uns von ihnen innerlich befreien und zu unserer alten Kraft zurückfinden. Hierbei ist eine äußere Stütze durch Freunde und Familie wichtig, um die innere Stabilität (wieder) zu finden. Dafür gilt es, sich bewusst etwas Gutes zu tun, auf sich zu achten, konkret nach dem zu suchen, was einen selbst stärkt, sich selbst zur Seite zu stehen und aktiv durch die zu Krise gehen.

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Welche Folgen kann eine solche Krise für die Psyche haben?

Das kann sehr unterschiedlich sein. Es gibt die Möglichkeit, aus der Krise zu lernen, durch sie zu wachsen und erstarkt aus ihr hervorzugehen. Es ist aber auch möglich, in eine Erstarrung, Erschöpfung und depressive Lähmung zu verfallen.

Welche gesellschaftlichen Auswirkungen sind möglich?

Die Welt nach Corona wird eine andere sein. Wie diese aussehen wird, haben wir in der Hand. Um gestärkt aus dieser Krise hervorzugehen, ist es wichtig schon jetzt aktiv für das „wie danach“ zu sorgen. Das Virus legt den Finger in unsere Wunden – in persönliche und in die, die unser ganzes System betreffen. Die Frage ist, wie wir entscheiden, damit umzugehen. Beschränken wir uns nur darauf, die Blutung zu stillen, oder entscheiden wir uns, die Wunden ganz zu heilen? Zurück zum Dialog und zum Wesentlichen zu finden, kann eine Chance sein, die in dieser schweren Krise liegt.

Wie gelingt es mir, die Ausgangsbeschränkungen gut zu überstehen?

Wichtig ist, nicht blind in den Tag hineinzuleben, sondern ihn zu strukturieren. Setzen Sie sich Ziele. Was wollen Sie heute erreichen? Wie können Sie auf Ihre Kosten kommen? Dabei sollten Sie das Gleichgewicht zwischen Nehmen und Geben beachten. Das bedeutet, nicht nur zu konsumieren, sondern auch zu „geben“, also aktiv zu gestalten. Wer nur passiv wartet, dass der Tag vorbei geht, und eine Serie nach der anderen sieht, verstärkt das Gefühl der Abhängigkeit und Hilflosigkeit, das bei vielen durch die Ausgangsbeschränkungen entstanden ist. Seien Sie aktiv und Gestalter Ihres Tages: Etwas neues Lernen, Freunde kontaktieren, den Garten (wenn vorhanden) auf Vordermann bringen, kreativ sein, ein gutes Buch lesen, Yoga oder Sport machen oder meditieren – trotz Beschränkung haben wir selbst es in der Hand, wie wir unseren Tag nutzen und diese Krise überstehen.

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