Prostituierte wütend: Es brodelt in der Herbertstraße
Folterkammer, Zewa-Rollen und fleckige Laken: Zum 100. Geburtstag öffnete die Herbertstraße (St. Pauli) am Sonntag ihre Tore für alle – und gewährte sogar Einblicke in eines der Bordelle. Vor allem Frauen nutzten die Gelegenheit, mal hinter die roten Eisentore zu schauen. Was die Besucher aber nicht mitbekamen: Es brodelt in Deutschlands sündigster Straße. Die Prostituierten sind auf Zinne.
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Folterkammer, Zewa-Rollen und fleckige Laken: Zum 100. Geburtstag öffnete die Herbertstraße (St. Pauli) am Sonntag ihre Tore für alle – und gewährte sogar Einblicke in eines der Bordelle. Vor allem Frauen nutzten die Gelegenheit, mal hinter die roten Eisentore zu schauen. Was die Besucher aber nicht mitbekamen: Es brodelt in Deutschlands sündigster Straße. Die Prostituierten sind auf Zinne.
„Zutritt für Männer unter 18 und Frauen verboten!“ Am Sonntag durften die Besucher dieses Schild ignorieren. Etliche Frauen, sogar ganze Familien, schlenderten durch die Herbertstraße. Die Drehstühle in den Schaufenstern, auf denen sich sonst die Prostituierten und Dominas den Männern präsentieren, blieben zwar leer. Was es aber zu sehen gab: Hinter den Scheiben stehen High Heels in verschiedensten Höhen und Farben, da liegen Trillerpfeifen, Desinfektionsmittel, Handcremes, Spiegel. Ein kleiner Schutzengel sitzt auf einem Regal. Und, fast in jedem Fenster, Wasserpistolen, mit denen die Prostituierten sonst schaulustige Frauen vertreiben.
Eine lange Schlange bildet sich vor dem Haus Nummer 25, das besichtigt werden kann. Seit Beginn der Pandemie wird hier zwar nicht mehr gearbeitet, die Einrichtung ist aber geblieben. Abgeklebte Fenster, rote Wände und Glühbirnen – fleckige Laken inklusive. Folterkammer mit Käfig, Pranger und Andreaskreuz. Wer sich traut, die Schubladen zu öffnen, findet Einweghandschuhe, Spritzensets, Zewa-Rollen. Eine Mutter schießt ein Foto ihrer Teenie-Tochter vor einem rot bezogenen Bett. „Du lernst aber was Anständiges!“, sagt sie. Beide lachen.
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Auch auf einen der legendären Drehstühle im Schaufenster dürfen die Besucher sich setzen. So wie Erzieherin Nataša (45) aus München: „Das ist schon aufregend. Aber ich bin schockiert von den Räumlichkeiten. Sie sind so winzig und nicht sauber“, sagt sie. „Wie sollen die Frauen denn in High Heels die steilen Treppen runterkommen?“ Erdrückend nennt Julia (34), Piercerin aus Ladelund (Kreis Nordfriesland), die Atmosphäre: „Die Frauen sitzen hier schon wie in einer Art Zoo.“ Der Puff als Touri-Attraktion. Besucherinnen zwischen Faszination und Ekel.
Was die Besucher nicht wissen: Das Haus Nummer 25 sorgt für Unmut in der Herbertstraße. „Es soll saniert werden. Unten bleibt es ein Bordell, oben sollen Ferienwohnungen entstehen, die Männer mieten können“, sagt Lars Schütze (54), Vorsitzender der Interessengemeinschaft St. Pauli. Vier Wohnungen für jeweils acht Personen plant ein Unternehmer, der das Haus gemietet hat. „Die wirtschaftliche Situation lässt es nicht zu, das ganze Haus mit Sex-Gewerbe zu nutzen. Es sind weder genug Frauen noch Kunden da“, so Schütze. „Das Sex-Geschäft hat sich über die vergangenen Jahrzehnte ins Internet verlagert. Die Pandemie hat diese Entwicklung noch befeuert.“
Ex-Domina: „Die Herbertstraße darf kein Disneyland werden!“
Ferienwohnungen mitten in der Herbertstraße? „Das ist der Worst Case für die Frauen, die hier arbeiten“, sagt Jemina Schwabenthal (46) vom Berufsverband für erotische und sexuelle Dienstleistungen. „Die Frauen wollen hier keine Männer, die sie und ihre Kunden von oben aus den Fenstern beobachten. Die machen ihnen das Geschäft kaputt. Das ist hier kein Sightseeing-Punkt. Die Herbertstraße darf kein Disneyland werden! Und wenn, dann müssen die Mädels dafür zumindest angemessen bezahlt werden.“
Denn schwierig genug ist es für die Frauen ohnehin schon. Manuela Freitag (58) arbeitet in Haus 7A als Domina – seit 35 Jahren. „Die Sexualität ist allgemein freizügiger geworden. Mittlerweile gibt es etliche Plattformen im Internet für sexuelle Partnerschaften. Es kommen viel weniger Kunden zu uns. Und wenn, dann versuchen sie ewig am Fenster, den Preis zu drücken.“ Stammkunden buchen die Dienste der Frauen laut Jemina Schwabenthal nicht mehr alle zwei Wochen, sondern nur noch alle vier oder fünf. „Das Geld sitzt aktuell nicht mehr so locker.“
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Auch Lars Schütze würde sich wünschen, dass die Herbertstraße ein reines Sex-Business bleibt: „Die Herbertstraße ist wichtig für St. Pauli“, sagt er. „Sie ist schließlich das Sinnbild des Rotlichts.“