• Juli 2017: Während des G20-Gipfels kam es auch zu mutmaßlich ungerechtfertigter Gewalt seitens der Polizei (Symbolbild). 
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Polizeigewalt bei G20: Warum noch kein Beamter angeklagt wurde

Die G20-Bilder haben sich tief in das kollektive Bewusstsein gebrannt: Straßenbarrikaden, Ausschreitungen, Plünderungen. Und: verstörende Schilderungen von Polizeigewalt, die bereits kurz nach dem Gipfel bekannt wurden. Drei Jahre später die ebenso verstörende Bilanz: Kein einziger Polizist wurde wegen Übergriffen auf Demonstranten angeklagt.

157 Ermittlungsverfahren gegen Polizisten im Zusammenhang mit G20 sind aktuell bei der Staatsanwaltschaft registriert, davon wurden 120 bereits eingestellt. Grund: mangelnder Tatverdacht.

Polizeibeamter als Dosenwerfer angeklagt

Tatsächlich wurde bisher nur ein Polizeibeamter im Zusammenhang mit G20 angeklagt – ausgerechnet als Dosenwerfer. Der Polizist aus Bayern hatte privat die „Welcome To Hell“-Demo besucht und war auf Videos festgehalten worden, wie er eine Dose von einer Brücke warf. Der Prozess läuft derzeit vor dem Amtsgericht Altona. Der Angeklagte, der den Polizeidienst inzwischen quittiert hat und Medizin studiert, gab an, er habe „Schiss gehabt“ vor den Knüppeln seiner Kollegen, die „brutal und ohne Anlass“ gegen die Demonstranten vorgegangen seien.

G20-Polizist: Milde Strafe für Angriff auf einen Kollegen

Nur ein einziger weiterer Beamte hatte mit (milden) Konsequenzen wegen seines Auftretens bei G20 zu rechnen: Der Polizist hatte einen Strafbefehl bekommen, weil er in der Gefangenensammelstelle einen Hamburger Kollegen leicht verletzt hatte, im Streit um eine Flasche Pfefferspray. Weil er den Strafbefehl nicht akzeptierte, kam es zum Prozess.

Urteil: eine Verwarnung unter Strafvorbehalt, quasi eine Geldstrafe auf Bewährung. Hintergrund: Die beiden Polizisten hatten sich um die Frage gestritten, ob es ihnen erlaubt war, in der Sammelstelle Pfefferspray bei sich zu tragen. Als der eine dem anderen eine Sprayflasche abnahm, erlitt dieser eine Bänderdehnung im kleinen Finger.

Innensenator zu Videos von Polizeigewalt

Dabei gibt es Videomaterial von Polizisten, die auffallend rabiat gegen Protestler vorgehen. Im September 2019 äußerte sich gar der Innensenator gegenüber der MOPO irritiert darüber, dass es in dem Zusammenhang noch keine einzige Anklage gegen einen Polizisten gibt: „Wenn man die Bilder sieht, und die haben wir alle gesehen, dann hat man schon das Gefühl, dass da auch Dinge dabei waren, die tatsächlich strafwürdig sind. Es ist nicht immer so offensichtlich, wie es auf den Bildern aussieht, aber ein paar Dinge, denke ich mir auch, werden da schon dabei gewesen sein.“

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G20: Ein Polizist setzt einen Schlagstock ein.

Foto:

picture alliance / Bodo Marks/dp

Video: Während des G20-Gipfels kam es vielerorts zu Ausschreitungen

Staatsanwaltschaft: Darum gibt es noch keine G20-Anklagen gegen Polizisten

Warum ist fällt es der Staatsanwaltschaft trotz aussagekräftiger Videoaufnahmen so schwer, Polizisten wegen Körperverletzung im Amt anzuklagen?

Nana Frombach, Sprecherin der Staatsanwaltschaft auf MOPO-Nachfrage: „Polizeibeamte können wegen des Gewaltmonopols des Staates durchaus zur Anwendung unmittelbaren Zwanges, also auch zur Gewaltanwendung berechtigt sein.“

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Um eine Straftat anzuklagen, müsse geprüft werden, was das vermeintliche Opfer zuvor getan hat und ob die Gewalt unverhältnismäßig war: „Dies ist oft schwierig, da insbesondere das vorliegende Bildmaterial immer nur Momentaufnahmen zeigt.“ In solchen Fällen gelte dann auch  für Polizisten die Unschuldsvermutung.

Viele mutmaßliche Opfer von Polizeigewalt unbekannt

Wie aus einer Anfrage der Linken hervorgeht, werden die Ermittlungen auch dadurch erschwert, dass die Identität von „60 Geschädigten nicht bekannt“ sei.

G20: 411 Anklagen gegen Zivilisten

Ganz anders sieht das Bild bei Verfahren gegen Zivilisten im Zusammenhang mit G20 aus: Aus 957 Verfahren sind 411 Anklagen und 78 Strafbefehle hervorgegangen. Zusätzlich werden 1667 Verfahren gegen „Unbekannt“ geführt, die nach fünf Jahren eingestellt werden. 

Die Zahl der Urteile, meist wegen schweren Landfriedensbruchs, lag im Juli 2019 bei 147. Danach stellte das Gericht die Zählung ein. Es war der zweite Jahrestag von G20.

Stephanie Lamprecht

KOMMENTAR:

Die hässliche Narbe bleibt – mit Folgen bis heute

„Polizeigewalt hat es nicht gegeben“, hat der damalige Bürgermeister Olaf Scholz (SPD) direkt nach dem G20-Gipfel gesagt. Drei Jahre später ist klar: Eine Aufarbeitung von Vergehen wird es tatsächlich nicht geben. Gründe für das Versagen bei der Aufklärung illegitimer Gewalt von Beamten lassen sich zwar einige finden, mit der eingeführten Kennzeichnungspflicht wurde immerhin eine Konsequenz gezogen – die Bilanz aber bleibt bitter. Und die Wunde, die G20 in die Stadt getrieben hat, wird so nicht völlig verheilen, eine hässliche Narbe bleiben. Mit Folgen: Auch deshalb ist das Misstrauen so groß, wenn es, wie jetzt nach der Antirassismus-Demo, Zweifel am korrekten Vorgehen von Polizisten gibt.

Mathis Neuburger

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