Er wäre bald entlassen worden – warum Häftling Sven B. trotzdem verschwand
Er ist ein mehrfach verurteilter Straftäter, der acht Jahre in der Haft viel an sich gearbeitet hat. Im offenen Vollzug genoss er bereits Lockerungen. Er hatte einen Job und Anfang des nächsten Jahres wäre er frei gekommen. Genau dieser Mann kehrte plötzlich von der Arbeit nicht in die Anstalt zurück. Warum riskiert jemand so kurz vor der Entlassung seine Freiheit? Die MOPO hat mit dem Mann, der nun vielleicht nie mehr aus dem Gefängnis entlassen wird, gesprochen.
Er ist ein mehrfach verurteilter Straftäter, der acht Jahre in der Haft viel an sich gearbeitet hat. Im offenen Vollzug genoss er bereits Lockerungen. Er hatte einen Job und Anfang des nächsten Jahres wäre er frei gekommen. Genau dieser Mann kehrte plötzlich von der Arbeit nicht in die Anstalt zurück. Warum riskiert jemand so kurz vor der Entlassung seine Freiheit? Die MOPO hat mit dem Mann, der nun vielleicht nie mehr aus dem Gefängnis entlassen wird, gesprochen.
Mittlerweile sitzt Sven B. (Name geändert) nicht mehr im offenen Vollzug in Bergedorf, sondern wieder in Fuhlsbüttel, der Hauptstelle der Sozialtherapeutischen Anstalt. Sie liegt direkt auf dem bekannten „Santa Fu“-Gelände.
Er habe viel gelernt und sich vorbildlich verhalten
B. redet mit leiser Stimme, man versteht ihn schlecht. Er nuschelt nicht, wirkt dafür mitgenommen. Es gehe ihm gar nicht gut, sagt er, die Situation sei sehr belastend. Der 25. Mai, der Tag seines Verschwindens, habe alles verändert.
Er ist ein kräftiger Mann mit weichen Gesichtszügen. Wegbegleiter beschreiben ihn als freundlich, zuvorkommend und hilfsbereit. Ähnliches lässt sich aus seiner Resozialisierungsprognose lesen: Er arbeite viel an sich, habe gelernt und würde sich vorbildlich verhalten, heißt es da. Eine Bekannte sagt über ihn: „Er hat immer ein Lächeln im Gesicht.“ Von diesem Lächeln ist heute nichts mehr zu erkennen. Ihm droht nun nämlich Sicherungsverwahrung, weil er nicht zurückkam. Dass er für unbestimmte Zeit weggesperrt bleiben kann, diese Option war in seinem letzten Urteil festgehalten.
Um die Gründe dafür zu verstehen, muss man zurückblicken: B. wächst in Baden-Württemberg auf, mit drei Geschwistern. Seine Mutter wurde von seinem Vater geschlagen, weil dieser dachte, die Mutter würde fremdgehen.
Sven B. wird übermäßig behütet, in der Schule gehänselt. Seine Mutter schickt ihn ins Internat, wo er sich unwohl fühlt. Mit 17 fängt er an, erstmals straffällig zu werden: Er will eine Bank um eine Million Mark erpressen. Es folgen abgebrochene Lehren und weitere Verbrechen, viele der nächsten Jahre muss er unter anderem wegen Nötigung, Raubes und gefährlicher Körperverletzung im Gefängnis verbringen. Im Jahr 2015 wird er zuletzt verurteilt, sitzt seitdem in Hamburg ein, weil er vor Jahren hergezogen war.
Sven B. überfiel eine Frau und fesselte sie mit Kabelbindern
Wegen der Schwere der Taten und seiner gefüllten Strafakte wurde bei seiner letzten Verurteilung auch der Hinweis einer möglichen Sicherungsverwahrung vermerkt. Es ging um erpresserischen Menschenraub: Er hatte via Ebay Kontakt zu einer Frau aufgebaut, die er beim Treffen überfiel und mit Kabelbindern fesselte. Er verlangte von ihr Geld und Schmuck.
Das ist acht Jahre her. In seiner Zeit im Gefängnis soll er sich an jeder Therapie beteiligt und aktiv an sich gearbeitet haben. Das geht auch aus Gutachten hervor, die von ihm erstellt wurden. Daher hatte man ihm eine günstige Prognose nachgesagt. Und darum galt er im vergangenem Jahr als geeignet für den offenen Vollzug in Bergedorf. Er hatte sofort einen Job bei der Bahn, war pünktlich und zuverlässig.

Am 25. Mai dieses Jahres, einem Donnerstag, kehrt Sven B. aber abends nicht in die Anstalt zurück. Sein Fehlen wird erst einen Tag später bemerkt, vorher war im Rahmen der Zählung seine Anwesenheit nicht korrekt überprüft worden. Der Kontrolldienst hatte B. nicht persönlich gesehen, aber Geräusche aus der Dusche gehört und war deshalb davon ausgegangen, dass sich der Mann in der Dusche befand.
Das könnte Sie auch interessieren: Waffenverbot am Hauptbahnhof – Großeinsatz mit 120 Polizisten
Doch warum kehrte der Mann nicht zurück? Im Gespräch mit der MOPO erzählt er, dass ihn ein Mithäftling gefragt habe, ob er für ihn Handys aus Mönchengladbach abholen könne. „Ein Gefallen, mehr nicht“, sagt B. Dort angekommen, habe ihm ein Mann aber gesagt, dass er nicht Handys, sondern Drogen zurück nach Hamburg nehmen solle.
„Ich wusste nicht, was ich tun sollte.“
„Damit wollte ich nichts zu tun haben“, sagt er. Ihm seien daraufhin Schläge angedroht worden, vor allem von dem besagten Mithäftling. Er habe sehr große Angst gehabt, dazu sei immer weniger Zeit gewesen, es rechtzeitig zurück nach Bergedorf zu schaffen. „Ich wusste nicht, was ich tun sollte.“ Er flüchtete, hielt sich in Amsterdam auf, schlief an Bahnhöfen. Er sei total verzweifelt gewesen. Der Kontakt zu seiner Anwältin habe ihm die Augen geöffnet: Am 22. Juni, drei Wochen nach seinem Verschwinden, stellte er sich. Seitdem sitzt er in Fuhlsbüttel. Raus darf er nicht mehr. Seinen Job ist er los.
Seine Entscheidung, nicht zur Anstalt zurückzukehren, kann für ihn fatale Konsequenzen haben: Nun könnte die Sicherungsverwahrung greifen, er käme im Zweifel nie wieder frei. In jedem Fall würde sich seine Haftzeit verlängern – auf unbestimmte Zeit. „Eine grausame Vorstellung“, sagt er. Er wisse nicht, wie er mit der Situation umgehen solle.
„Resozialisierung ist eines der wichtigsten Vollzugsziele, um den Gefangenen nach der Freiheitsentziehung wieder einzugliedern und die Begehung weiterer Straftaten zu verhindern“, sagt die Anwältin von Sven B. Die Eignung für den offenen Vollzug werde sorgfältig geprüft. Die Prognose umfasse auch die Einschätzung der Gefährlichkeit. „Bei meinem Mandanten wurde die Eignung festgestellt. Jede gewissenhafte Prognose bietet jedoch keine Sicherheit.“
Wie es mit mit Sven B. weitergeht, ist noch unklar. Ende des Jahres wird erneut ein Gutachten von ihm erstellt. Eine Sprecherin der Justizbehörde sagt: „Es wird geprüft, ob die Voraussetzungen für die Sicherungsverwahrung nach wie vor vorliegen.“
Das könnte Sie auch interessieren: „Klima-Kleber“ auf Rollfeld – wie konnte das passieren?
Die tatsächlichen Gründe seiner Flucht bleiben unbekannt. Nach MOPO-Informationen hat eine Prüfung der Aussagen des Mannes ergeben, dass er vermutlich überhaupt nicht in Mönchengladbach war. In einem früheren Verfahren hatte B. einmal angegeben, sich um seine todkranke Tochter kümmern zu müssen. Damals war er ebenfalls vom Ausgang nicht zurückgekehrt. Sven B. hat gar keine Tochter. „Dafür früher aber einen Hang zum Schwindeln“, so die Bekannte.