Umstrittene Razzia gegen HSV-Fans: „Keiner durfte aussteigen. Wir hörten nur Brüllen“
Der 20-jährige Robert und sein 16-jähriger Bruder Florian werden an ihren Ausflug zum HSV-Spiel nach Rostock am Samstag wohl noch lange denken. Nicht das Spiel selbst, dafür aber die Rückfahrt mit dem Zug nach Hamburg wird unvergesslich bleiben. Die beiden gehören zu den rund 1000 HSV-Fans, die in dem Regionalexpress saßen, der am Samstagabend in Bergedorf von der Bundespolizei gestoppt wurde. Mit der MOPO sprachen sie über die beklemmenden Stunden des umstrittenen Einsatzes.
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Der 20-jährige Robert und sein 16-jähriger Bruder Florian werden an ihren Ausflug zum HSV-Spiel nach Rostock am Samstag wohl noch lange denken. Nicht das Spiel selbst, dafür aber die Rückfahrt mit dem Zug nach Hamburg wird unvergesslich bleiben. Die beiden gehören zu den rund 1000 Fans und Passagieren, die in dem Regionalexpress saßen, der am Samstagabend in Bergedorf von der Bundespolizei gestoppt wurde. Bis zu sechs Stunden mussten sie in dem Zug ausharren. Vereinzelt sollen Menschen kollabiert sein.
„Alle Türen wurden blockiert, keiner durfte aussteigen. Wir hörten nur lautes Brüllen“, so die Brüder zur MOPO. Es habe lange gedauert, bis die Polizei erklärt habe, worum es bei dem Einsatz ging. Während Florian den Zug recht zeitnah verlassen durfte, weil er minderjährig ist, musste Robert bis 22.30 Uhr im Abteil bleiben. „Die Luft wurde mit jedem Atemzug stickiger, die Klimaanlage war ausgeschaltet“. Das Schwitzwasser sei die Scheiben heruntergelaufen.
Zugtoiletten waren völlig verdreckt
Die Brüder berichten weiter: Lautstark hätten sich die Reisenden beschwert, nach Getränken verlangt und darum gebeten, ein Klo aufsuchen zu dürfen. Die Klos im Zug seien schon nach einer Stunde Fahrtzeit völlig verdreckt und eigentlich nicht mehr zu gebrauchen gewesen.
Anlass für diese nicht gerade alltägliche Großkontrolle der Bundespolizei: Krawalle, die sich bereits im September 2023 in Mannheim ereignet hatten. Am dortigen Bahnhof trafen damals Fans des HSV auf Anhänger von Borussia Dortmund. Dabei sollen 300 Personen aufeinander losgegangen sein, es sei zu Flaschenwürfen gekommen, Menschen seien verletzt worden.
HSV-Fans sollen einen Imbissstand verwüstet haben
Ein Teil der Täter konnte seinerzeit unerkannt flüchten. Sie jetzt – zum Teil mit Hilfe von Bildern aus Überwachungskameras – zu finden, darum ging es bei der Razzia im Zug. Außerdem sei es auch am Samstagabend während und nach dem Zweitliga-Spiel HSV gegen Rostock (2:2) zu „tätlichen Angriffen“ gekommen. Hamburger Fans sollen in der Halbzeitpause einen Imbissstand im Gästebereich des Stadions mit Pyrotechnik beworfen, ihn geplündert und verwüstet haben. Nach dem Spiel sei es im Rostocker Bahnhof außerdem zu Flaschenwürfen gekommen.
Rund 400 Beamte waren an der Razzia im Zug beteiligt. Mit dabei auch ein sogenannter „Super-Recognizer“ – ein Beamter, der über ein hohes Maß an Erinnerungsvermögen verfügt und die Fähigkeit hat, sich Gesichter und Bewegungen überdurchschnittlich gut zu merken. Er kann Straftäter auch nach vielen Monaten identifizieren.
Und so lief die Razzia ab: Gestoppt wurde der Regionalzug RE1 gegen 19.45 Uhr im Bahnhof Bergedorf, wo auf dem Bahnhofsvorplatz bereits eine Kontrollstelle aufgebaut war. Zunächst wurden „normale“ Bahnreisende und als friedlich eingestufte Fans zu einem bereits wartenden Sonderzug in Richtung Hauptbahnhof geleitet. Sie konnten nach Hause fahren.
855 sogenannte „Problemfans“ wurden einzeln kontrolliert und fotografiert
Danach führte die Bundespolizei die mutmaßlichen „Problemfans“ – insgesamt 855 – in Gruppen aus dem Zug, um in acht Kontrollstraßen die Personalien sämtlicher Personen aufzunehmen und sämtliche Personen zu fotografieren. Laut Bundespolizei wurden dabei 31 Personen, die an den Krawallen im September beteiligt gewesen sein sollen, ermittelt. Ihnen wird Landfriedensbruch beziehungsweise schwere Körperverletzung vorgeworfen. Alle Fans hätten nach der Überprüfung der Personalien weiterreisen können, so ein Polizeisprecher.
Die Kontrolle sei weitgehend störungsfrei abgelaufen. Es kam nur vereinzelt zu Zwischenfällen: Ein Fan soll gegen den Helm eines Beamten geschlagen haben. Ein anderer sei aggressiv auf die Polizei zugelaufen und habe bei seiner Ingewahrsamnahme erheblich Widerstand geleistet.
Nicht nur die beiden Brüder Robert und Florian sind empört darüber, dass unter der Polizeiaktion auch völlig Unbeteiligte zu leiden hatten. „Wir verstehen ja, dass die Polizei Straftäter fassen will. Aber sie hätte das Ganze anders organisieren müssen. Dass Hunderte Unschuldige über Stunden in ihren Zugabteilen ausharren müssen – das geht nicht.“
Grüne Politikerin: „Maßnahme der Polizei scheint nicht ausreichend durchdacht gewesen zu sein“
Kritik kommt auch von Sina Imhof, der innenpolitischen Sprecherin der Grünen-Fraktion Hamburg: Sie sagt, Verhältnismäßigkeit müsse stets der Gradmesser rechtsstaatlichen Handelns sein. „Das stundenlange Aufhalten eines öffentlich zugänglichen Regionalzuges mit 1000 Menschen an Bord wirkt vor diesem Hintergrund unangemessen. Die Maßnahme der Polizei, die auch zahlreiche Minderjährige und Frauen betroffen hat, scheint nicht ausreichend durchdacht gewesen zu sein.“ Berichte von Betroffenen in den sozialen Medien, die von verwehrten Toilettengängen, mangelndem Zugang zu Wasser und kollabierenden Personen sprechen, müssten ernstgenommen werden.
Ähnlich äußerten sich die Linken. „Dieser Einsatz wirft auf jeden Fall Fragen nach der Verhältnismäßigkeit auf“, so Cansu Özdemir, innenpolitische Sprecherin der Linksfraktion, zum „Abendblatt“. „Wir werden zu diesem Vorgang morgen eine schriftliche kleine Anfrage an den Senat stellen.“ Die Innenbehörde wollte sich gegenüber MOPO nicht äußern – zuständig sei ja die Bundes- und nicht die Hamburger Polizei.
Kritik auch von den Fanverbänden des HSV: „Der gesamte Einsatz war willkürlich, unverhältnismäßig und rechtswidrig“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung des HSV-Supporters-Clubs und der Fanhilfe Nordtribüne. Alle Betroffenen werden gebeten, Gedächtnisprotokolle anzufertigen. Gegen die Einsatzleitung werde strafrechtlich vorgegangen. Schadenersatzansprüche würden geltend gemacht.
Das sagt die Bundespolizei zu den Vorwürfen
Wie reagiert die Bundespolizei auf die Kritik? Ein Sprecher sagte dazu auf MOPO-Nachfrage, dass man bei der Planung des Einsatzes von einer längeren Dauer ausgegangen sei und deshalb Sanitäter vorgehalten habe. Die seien auch wegen vereinzelt aufgetretener Kreislaufprobleme zum Einsatz gekommen. Niemand habe aber in eine Klinik gebracht werden müssen.
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Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) verteidigt den Polizeieinsatz. „So eine Aktion hat immer zwei Seiten“, so der Hamburger DPolG-Vorsitzende Thomas Jungfer laut „Abendblatt“. „Wenn man konkrete Hinweise auf Tatverdächtige im Zusammenhang mit schweren Straftaten wie Landfriedensbruch hat, ist sie nach meiner Ansicht gerechtfertigt. Dann ist es auch besser, man führt so eine Kontrolle an einem Ort durch, an dem man sich vorbereiten kann, damit sie möglichst reibungslos läuft.“ In dem aktuellen Fall spreche das Ergebnis für sich, so Jungfer: „Es konnten ja Tatverdächtige in einem nicht unerheblichen Umfang ermittelt werden.“
Übrigens: Nicht nur Hunderte Fans kamen mit großer Verzögerung nach Hause. Die Razzia hatte auch für andere Reisende auf der Bahnstrecke zwischen Rostock und Hamburg weitreichende Folgen. Züge, die hinter dem betroffenen Regionalexpress unterwegs waren, hatten teils massive Verspätungen. Sie mussten umgeleitet werden.