„Santa Fu“, nicht resozialisierbar: Wie Hamburgs Justiz an Intensivtätern scheitert
Vergewaltigung, versuchter Totschlag: Wegen schwerer Gewaltdelikte sitzt Abdullah A. (29) in „Santa Fu“, der berüchtigten Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel. Er sorgte nicht nur in Freiheit immer wieder für Ärger, sondern auch in Haft. Nun soll er einem Mitgefangenen sogar eine Schere in den Hals gerammt haben. Hätte die Tat verhindert werden können? Ein Häftling, mit dem die MOPO sprach, sagt: „Ja. Der Typ ist krank. Er hätte nicht hier sein dürfen.“ Tatsächlich saß A. bereits in der Psychiatrie - wurde aber nach kurzer Zeit entlassen. Auch hätte er längst abgeschoben werden sollen, doch auch das scheiterte. Dafür stand sogar eine vorzeitige Entlassung im Raum, trotz der Gefahr, die von A. ausgeht. Der Fall erinnert an Ibrahim A., den mutmaßlichen Doppelmörder von Brokstedt – und zeigt, wie die Justiz an solchen Intensivtätern scheitert.
Vergewaltigung, versuchter Totschlag: Wegen schwerer Gewaltdelikte sitzt Abdullah A. (29) in „Santa Fu“, der berüchtigten Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel. Er sorgte nicht nur in Freiheit immer wieder für Ärger, sondern auch in Haft. Nun soll er einem Mitgefangenen sogar eine Schere in den Hals gerammt haben. Hätte die Tat verhindert werden können? Ein Häftling, mit dem die MOPO sprach, sagt: „Ja. Der Typ ist krank. Er hätte nicht hier sein dürfen.“ Tatsächlich saß A. bereits in der Psychiatrie – wurde aber nach kurzer Zeit entlassen. Auch hätte er längst abgeschoben werden sollen, doch auch das scheiterte. Dafür stand sogar eine vorzeitige Entlassung im Raum, trotz der Gefahr, die von A. ausgeht. Der Fall erinnert an Ibrahim A., den mutmaßlichen Doppelmörder von Brokstedt – und zeigt, wie die Justiz an solchen Intensivtätern scheitert.
Am 24. Februar um 13 Uhr gehen in einem Trakt in „Santa Fu“ die Zellentüren auf. Martin O. (Name geändert), wegen Drogendelikten verurteilt, sieht den Angriff nicht kommen. Es geht alles ganz schnell. A. sticht zu, O. sackt zusammen. So erzählen es Zeugen der Tat. Auch Akten, die der MOPO vorliegen, dokumentieren die Geschehnisse. Sie skizzieren zudem A.s Gewaltbereitschaft und Ausbrüche in Haft.
„Ich habe meine Tabletten nicht genommen. Bitte! Bitte!“
Abdullah A. soll sich nach der Attacke in der Zelle eines Mithäftlings versteckt und immer wieder geschrien haben: „Ich habe meine Tabletten nicht genommen. Bitte! Bitte!“
Das Opfer ist Anstaltsfriseur, macht eine Maurer-Ausbildung, ist eine der „guten Seelen“ der Anstalt, heißt es. Martin O. engagiert sich und betreibt Aufklärungsarbeit, berichtet Teenies vom Leben im Knast.
Er kommt schwer verletzt in eine Klinik, wird notoperiert – und überlebt. Mittlerweile befindet er sich wieder in „Santa Fu“. Abdullah A. soll in Isolationshaft sitzen.
Gefängnis-Mitarbeiter und Anwältin bedroht
Der 29-Jährige A. habe Stimmen gehört und einen verwirrten Eindruck gemacht, so ein Häftling. „Aber niemanden scheint das zu interessieren.“ A. soll wenige Wochen zuvor eine Justizvollzugsbeamtin mit dem Satz „Ich bringe dich um“ bedroht haben. Ähnliches kündigte er auch seiner Anwältin an, die daraufhin ihr Mandat ablegte. Ein MOPO-Gespräch lehnt sie ab.

„Jeder weiß, dass er krank ist“, sagt der Häftling weiter. A. springe auf alles direkt an, fühle sich schnell unbegründet beleidigt. „Der will jeden Tag einen anderen töten, teils wegen einer Dreiersteckdose, die man ihm nicht geben will.“
2013 kommt der Afghane mit 19 nach Deutschland. Schnell hat er Drogenprobleme, seit 2015 sitzt er in „Santa Fu“. In einem Asylheim war er in Streit geraten, es ging um das Ende eines Kartenspiels. Dabei stach A. einem Mann ein Küchenmesser in den Hals. Er wird zu sechs Jahren Haft wegen versuchtem Totschlag verurteilt, dazu kommen ein Jahr und neun Monate, die zuvor zur Bewährung ausgesetzt waren. In dem Fall ging es um eine Vergewaltigung.
Er kommt in die Psychiatrie – aber nur kurz
2019 wird er in die Psychiatrie in Ochsenzoll eingewiesen. Es bestehe „dringender Behandlungsbedarf“, heißt es in einem Gutachten. A. habe Angstzustände und Panikattacken, zeige sich in Haft psychisch auffällig und aggressiv gegenüber Mitgefangenen und Beamten. Vier Monate später kehrt er schon wieder in den Regelstrafvollzug zurück. Ärzte sehen keinen weiteren Behandlungsbedarf mehr.

Nur wenige Wochen später greift er einen Häftling an, sticht ihm mit einer Art Schraubendreher in den Hals. Er sitzt kurz in Isolationshaft, kommt dann zurück auf die Entwicklungsstation, die zweite von drei Stufen, ehe man vorzeitig entlassen wird. „Wir wollen uns resozialisieren, müssen aber mit so einem leben“, sagt der Häftling. „Das kann nicht sein.“ A. kann aufgrund seiner mangelnden Deutschkenntnisse an keine der ohnehin nur überschaubaren Therapie-Möglichkeiten in Haft teilnehmen.
Der Schraubendreher-Angriff verlängert die Zeit im Knast für A. um ein Jahr, eigentlich hätte er im Januar dieses Jahres rauskommen können. Dass er im nächsten Jahr die Haftanstalt verlassen wird, ist unwahrscheinlich, dabei stand vor dem neuerlichen Angriff sogar eine vorzeitige Entlassung im Raum, sollte er sich bereit für eine Therapie zeigen. Nun wird es erneut zum Prozess gegen den Mann kommen. Das Urteil wird noch für dieses Jahr erwartet.
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Hätte A. bei seinem Verhalten nicht in der Psychiatrie bleiben müssen? Rechtsexperten wollen hier keine pauschale Antwort geben. Man müsse sich auf Gutachten, die während der Prozesse entstehen, verlassen. In A.s Fall sah das Gericht keine verminderte Schuldfähigkeit. Der JVA sind die Hände gebunden; sie hat keine Gewalt, zu entscheiden, ob ein Häftling woanders besser aufgehoben wäre.
Was Experten allerdings sagen, ist, dass A. viel länger in Einzelhaft hätte sitzen müssen. Das war wohl, so zeigen es Vermerke, nur sporadisch passiert. „Er hätte seinem Verhalten nach eigentlich dauerhaft getrennt untergebracht werden müssen“, sagt ein Rechtsexperte.

Und wie sähe es mit der Verlegung in die Sicherungsverwahrung aus? Schwierig, so das Fazit der Experten. Sie sei an strenge Bedingungen geknüpft, meistens würde diese nicht bewilligt. Die Sicherungsverwahrung müsse im Urteil vorbehalten sein oder direkt verhängt werden – auf A. trifft beides nicht zu. Aber: Im neuen Prozess könnte die Staatsanwaltschaft eine entsprechende Unterbringung anregen, ein Gutachter in seinem Ergebnis diese empfehlen. Auch die dauerhafte Unterbringung in einer Psychiatrie ist möglich. Die Entscheidung liegt letztlich beim Gericht.
Denkbar ist auch, dass A., der mittlerweile ob seiner wiederholten Gewaltdelikte als Intensivtäter eingestuft wird, seine Strafe – auch die demnächst dazukommende – weiter regulär in der JVA absitzt. In dem Fall kann nach Ende der Haftzeit eine sogenannte Führungsaufsicht angewiesen werden. A. müsste sich in Therapie begeben, meistens geschieht dies wegen einer Drogensucht oder psychischer Probleme. Mindestens zwei Jahre müsste er regelmäßig, oft zweimal die Woche, an Sitzungen teilnehmen, bei nichterfolgreicher Teilnahme verlängert sich die Anweisung, manchmal unbefristet. Schwänzt er Termine, wird gegen ihn ermittelt und er kann wieder im Knast landen.
Die Justizbehörde bestätigt den Angriff, lässt aber weitere Fragen unbeantwortet. Die Sache sei an die Polizei abgegeben worden. Es obliege der Staatsanwaltschaft, ob sie weitere Angaben zum Fall und zum Beschuldigten mache. Dort heißt es, dass man wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung ermittele. „Nähere Auskünfte sind vor dem Hintergrund der laufenden Ermittlungen nicht möglich“, sagt eine Sprecherin.
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Offene Fragen bleiben, genau wie die Sorge unter den Häftlingen. Unbekannt ist auch, was mit der Tatwaffe passiert ist, von wo A. die Schere überhaupt hatte und wie es mit ihm weitergeht. Auch das Motiv der Tat ist noch unklar.
Abgeschoben wird er nicht, trotz eines vom BAMF abgelehnten Asylantrages; das Amt erkannte bei ihm keine Flüchtlingseigenschaften an. Die Ablehnung bekam er, als er schon in Haft war. Ein Einspruch seines Anwalts wurde zurückgewiesen. In Deutschland muss er mindestens die Hälfte der ihm auferlegten Strafen absitzen. Wiederholte Taten, Einsprüche und Klagen, langsam mahlende behördliche Mühlen haben den Vorgang in die Länge gezogen. Und seit der Taliban-Machtübernahme im Jahr 2021 schiebt Deutschland niemanden mehr nach Afghanistan ab.
„Man weiß nie, was in seinem Kopf vorgeht“
Ein Justizvollzugsbeamter, der unerkannt bleiben will, beschreibt A. als eher zurückhaltend, schüchtern. Er mache auf ihn nicht den Eindruck eines gestandenen Mannes. Ihm fehle Selbstvertrauen, er sei zierlich, schlank und könne sich nicht gut, ob auf Deutsch oder seiner Heimatsprache, ausdrücken. „Aber er ist und bleibt unberechenbar. Man weiß nie, was in seinem Kopf vorgeht. Und was er im nächsten Moment tut.“